Benjamin Appl. Foto: Sony Classical Uwe Arens
LINZ / Brucknerhaus, Mittlerer Saal: Liederabend BENJAMIN APPL, „Heimat“ – mit kluger Programm-Zusammenstellung
29.1. 2020 (Karl Masek)
Mit Konzeptalben oder Themen-zentrierten Liederabenden erreicht der deutsche Bariton Benjamin Appl nach eigenen Worten mehr Menschen. Man könne mit einer speziellen Programmierung, die auch Wege außerhalb eines Kernrepertoires eröffnet, ein Statement abgeben über das, was in einem selbst vorgehe.
So war es 2017 mit der Präsentation der Lieder-CD „HEIMAT“ (mit James Baillieu am Klavier) und mit Liederabenden in mehreren Kontinenten mit diesem Titel. Überall auf der Welt leben Emigranten, Menschen mit Heimatverlust, die könne man alle mit einem „Überthema“ nicht nur intellektuell, sondern vor allem emotional erreichen.
Die intellektuelle Arbeit, die müsse man als Interpret vorher machen, nicht erst auf dem Liedpodium. Hier gelte es verständlich zu bleiben (oder wieder verständlich zu werden).
Der Regensburger wählte vor einigen Jahren London als seinen Wohnsitz, ist also kein Emigrant, sondern einer, der jetzt eine neue Wahlheimat hat. Mit „Heimat“ ergründet Appl nun in Liedern des 19. und 20. Jhts ein Stück seines eigenen Lebenswegs, seiner persönlichen und künstlerischen Entwicklung, die den Dietrich-Fischer-Dieskau-Schüler in den letzten Jahren weg von der Opernbühne, hin zum Konzert- und Liedpodium zu führen scheint. Thematische Unterschiede, Mentalitätsunterschiede zwischen seinen alten und neuen Landsleuten scheinen ihn dabei besonders zu interessieren. Aber auch Rückblenden in die Kindheit in Regensburg gibt es, zurück zu den Wurzeln…
Klug die Programm-Zusammenstellung, die der Sänger auch im Programmheft ausführlich argumentiert. Die Zusammenstellung mit Liedern von Franz Schubert, Max Reger, Johannes Brahms, Franz Schreker, Alma Mahler-Werfel, Richard Strauss und einer absoluten Rarität von Adolf Strauss erweckte im Vorfeld großes Interesse. Nach der Pause wurde es mit Benjamin Britten, Ralph Vaughan Williams, Henry Rowley Bishop und Peter Warlock „very british“, um mit 6 Liedern auf deutsche Texte von Edvard Grieg wieder zur Muttersprache zurück zu finden. Heimat als Geborgenheit und Identität, die einem durch Orte vermittelt wird, Heimat als Beziehung zu prägenden und geliebten Menschen, aber auch als „Einengung, Vorurteil oder Schmerz“. Bei Schuberts Lied „Drang in die Ferne“, D 770 (1823) kommt letzteres besonders deutlich zum Ausdruck: „Vaterland’s Felsenthal/ Wird mir zu eng, zu schmal / Denn meiner Sehnsucht Traum / Findet darin nicht Raum“ lautet der Text…
Eine intellektuell und emotional bestechende Planung eines solchen Programms ist das Eine – die praktische Umsetzung auf dem Liedpodium das Andere. Und ich gestehe, ich tat mir schwer an diesem Abend. War er doch für mein Dafürhalten allzu sehr auf ein unglückliches, melancholisches Grundgefühl fixiert („Dort, wo du nicht bist, ist das Glück“, heißt es in Schuberts „Wanderer“), das außer einem nebelverhangenen Grau kaum andere Farben, andere Stimmungen, zuzulassen schien.
Nun ist Benjamin Appl unbestritten mit einer balsamischen, hellen, schlanken, feingliedrigen Baritonstimme gesegnet. Er kann (atem)technisch alles mit ihr anstellen. Die Stimme hat Farben, Obertonreichtum! Wunderbares Legato! Er besticht darüber hinaus durch exzellente Wortbehandlung und Textdeutlichkeit. Dennoch, die Einzelteile wollten sich für mich (jedenfalls an diesem Abend) nicht so recht zu einem Ganzen fügen. Appl sang sehr verhalten, in perfektionistischem Bestreben Gefühle „buchstabierend“. Es kam nur selten zu einem Aufbau eines Spannungsbogens. Leises wurde noch leiser, mitunter fast zur Unhörbarkeit zurückgenommen. Langsames wurde noch langsamer – und durch Generalpausen fast bis zum Stillstand ausgereizt.
Verdienstvoll war es, wieder einmal Max Reger als Liedkomponist zu begegnen ( („Des Kindes Gebet“, op.76), Alma Mahler-Werfel als Komponistin zur Diskussion zu stellen („Bei dir ist es traut“, Text: Rainer Maria Rilke). Tief berührt war ich beim Lied des Adolf Strauss (1902-1944, tschechisch-deutscher Komponist), „Ich weiß bestimmt, ich wird‘ dich wiedersehen“, das während seiner KZ-Internierung , 1943 in Theresienstadt, entstand. Mit anrührend ergreifender Melodik, die an die allerschönsten Lieder des Robert Stolz gemahnt. Ihm hat der legendäre Marcel Prawy ja attestiert, die schönsten Melodien seit Schubert geschrieben zu haben. Adolf Strauss war ein Wiedersehen mit der Geliebten nicht vergönnt. Er starb 1944 im KZ Auschwitz.
Nach der Pause ging Appl etwas mehr aus sich heraus. Mit Bishops „Home, Sweet Home“ kam eine Liebeserklärung an die neue Wahlheimat. Endlich auch über gepflegtes Mezzoforte hinausgehend die Schilderung Peter Warlocks (1894-1930), „The Bachelor“, in der der Jüngling Jack lieber sein Reisebündel schnürt und wieder weiterzieht – obwohl er von den kleinen und großen Mädchen mit Liebe überschüttet wird. Aber: „Kein schöner Leben gibt’s auf dieser Welt, als jung und ohne Weib zu sein“, so lautet das Motto dieses „Beziehungsunwilligen“. Der Text stammt von einem Anonymus aus dem 15. Jht.
Edvard Griegs Lieder nach Texten von Heine, Geibel, Uhland, Simrock, Goethe und Bodenstedt, erwiesen sich als Kleinodien eines, von dem man unverdienter Weise fast nur die Peer-Gynt-Suiten kennt.
Der Pianist James Baillieu (mit Wurzeln in Südafrika, nun ebenfalls in London lebend und – wie Appl – mittlerweile auch unterrichtend) war mit dem Samtbariton eines Sinnes und ein sensitiver, ebenfalls den superleisen Tönen nachspürender Begleiter.
Ein Programm, das lange Strecken in einem „Con sordino“- Modus blieb, wurde vom Publikum wohlwollend aufgenommen. Der Beifall blieb allerdings verhalten, sozusagen ebenfalls „Con sordino“.
Karl Masek