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LINZ/ Brucknerhaus: MESSA DA REQUIEM von Giuseppe Verdi

04.03.2022 | Konzert/Liederabende

Linz: „DREI – MESSA DA REQUIEM“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 03. 03.2022

Giuseppe Verdi

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Markus Poschner. Foto: Volker Weihbold für Bruckner-Orchester

Die Geschichte des ursprünglich als Erinnerung an Gioacchino Rossini von Giuseppe Verdi als Gemeinschaftswerk von insgesamt 13 italienischen Komponisten geplanten Requiems ist ja hinlänglich bekannt; auch, daß es schließlich nicht zu einer widmungsgemäßen Aufführung kam – erstmals erklang es erst 1988! Aber Verdis dafür verfaßtes „Libera me“ sollte zum Anker seines zweiten Anlaufes zu einer groß angelegten Totenmesse werden.

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 San Marco zu Mailand (nach 1871), gefunden bei Bibliothek Universität Würzburg

Dieses zum ersten Jahrestag des Todes des Dichters Alessandro Manzoni am 22. Mai 1874 in San Marco, der zweitgrößten Kirche von Mailand, uraufgeführte Werk weckte schon beim Komponisten die Idee, daß es eher in den Konzertsaal als in die Kirche gehöre – gespeist auch durch die Erfahrung der „nicht-liturgischen“ Folgeaufführungen in der Scala, 25. – 27. des selben Monats. Was Verdi freilich auf die akustischen Bedingungen bezog, die für die Rezeption der hochkomplexen, feingewebten Partitur in einem „trockenen“ Konzertsaal günstiger seien als in einem Kirchenraum mit unendlichem Nachhall.

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Manzoni und Verdi, gefunden bei Bibliothek Universität Würzburg

Das anfänglich „Manzoni-Requiem“ genannte Werk, das 1875 schon in allen wichtigen Musikstädten Europas und in Übersee zu hören gewesen war, zog allerdings einige Kritik auf sich, die sich auf die Adjektive „zu opernhaft“ und „zu wenig sakral“ konzentrierte. Hans von Bülow, der noch dazu die Uraufführung, zu der er eingeladen war, „geschwänzt“ hatte,  polemisierte in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ sogar über „eine Oper im kirchlichen Gewande“ vom „allgegenwärtigen Verderber des italienischen Kunstgeschmacks“, einen „Triumph romanischer Barbarei“. Das wiederum veranlaßte den „Lutheraner“ Johannes Brahms zur Bemerkung „Bülow hat sich lächerlich gemacht. So ein Werk kann nur ein Genie schreiben!“. Das Ehepaar Wagner war zugegen und auch nicht begeistert – aber das fand wenigstens nur Eingang in Cosimas Tagebuch, nicht in eine Zeitung. Die Kritiken, zeitgenössisch, teils aber bis heute („das Requiem als beste Oper Verdis“), stoßen sich – reichlich unsachlich – daran, daß Verdi an religiösen Fragen wenig Interesse zeigte, ja vielleicht, wenn auch durchaus tugendhafter, Atheist oder Agnostiker war; und schließlich käme ja religiöse Machtdurchsetzung in „Don Carlo“ und „Aida“ nicht gerade gut weg…

Giovanni Bietti schreibt über den Hintergrund dieser Diskussion: “Der springende Punkt ist ja, daß der Totenmesse-Text, speziell des „Dies irae“, reich an Beschwörungen und Bildern ist: Tod, Licht, Feuer, die Posaunen des Jüngsten Gerichtes, die ungeheure Majestät, Tränen, Verdammte, Selige. Schwer vorstellbar, daß sich ein Komponist verkneifen kann, diese Texte nicht wenigstens zum Teil in musikalische Bilder umzusetzen.“ Also: Verdis Requiem ist sicher ein dramatisches, außerordentlich farbenreiches Werk, aber zur Opernhaftigkeit fehlen ganz wesentliche Elemente.

Jedenfalls: das Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner hat sich hier eine wahre „pièce de résistance“ vorgenommen, bei der es vom Tschechischen Philharmonischen Chor Brno (Leitung: Petr Fiala) und dem Chor Ad Libitum (Heinz Ferlesch) aus St. Valentin unterstützt wird – beide mit reicher Erfahrung  im Chorwerke- wie Opernbetrieb. Die Soli kommen vom auf die großen Chorwerke spezialisierten Sopran Susanne Bernhard, vom jungen ukrainischen Mezzosopran Olga Syniakova, vom aus Sibirien stammenden, seit 2007 in Europa, den USA und Israel aktiven Tenor Alexey Dolgov und dem künstlerisch in München verwurzelten Bass Tareq Nazmi, der ebenfalls eine Reihe prominenter internationaler Engagements vorweisen kann.

Die Programmierung erfolgte vor ungefähr zwei Jahren. Die besondere Aktualität des Requiems ist nun eine beklemmende Fügung, die den Dirigenten zu einer kurzen Einleitung drängte, sinngemäß: „Die Musik kann leider keinen Krieg beenden. Aber sie bringt uns mehr Humanität, Verständnis und Zusammenhalt.“

Optimale Akustik – im Sinne von Verdis zitierter Aufführungspräferenz – des diesbezüglich ohnedies gut angelegten Brucknerhauses war durch den endlich wieder einmal weitestgehend ausverkauften Saal garantiert. Diese war auch wichtig, denn Markus Poschner leitete sein Orchester zu immensem Dynamikumfang an – besonders die leisen Stellen, von Streichern wie Bläsern feinst ziseliert, hört man atemlos. Natürlich endet aber auch die Wucht des „Dies irae“ niemals im Tumult – nein, Chor und Orchester halten immer Disziplin, klare Diktion, Differenzierung, Präzision und, könnte man fast sagen, Swing! Und darüber hinaus gerät auch über die gesamten 1½ Stunden Aufführungsdauer der große Spannungsbogen perfekt, auch dank organischer und plausibler Tempi.

Neben den perfekt studierten Chören überzeugen auch die fast immer in perfekter Balance zu Chor und Orchester stehenden Solistinnen und Solisten: Frau Bernhard läßt ihren druckvollen, niemals scharfen Sopran leuchten; das tatsächlich zumindest in der ersten Hälfte im Opernidiom verfaßte finale „Libera me“ gestaltet sie auch großartig dramatisch. Olga Syniakova ist, eine Stimmlage tiefer, zwischen Milowsor an der Scala (lt. Operabase noch unter Gergiew gelistet!) und Cherubino in Seattle hier und heute die wunderbar samtig strahlende Ergänzung, glänzt besonders bei „Lux aeterna“ und mit ihrer Soprankollegin und drei Flöten beim „Agnus Dei“. Tenor Alexey Dolgov klingt zu Beginn nicht ganz frei, ab dem „Ingemisco“ aber läßt er lyrische Perfektion hören, auch mit ausgewogenem Passaggio. Von A – Z perfekt die Leistung von Herrn Nazmi mit samtigem Ansatz und scheinbar müheloser Saaldominanz.

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 Schlußapplaus © Peter Rieder

15-minütiger Jubel, Begeisterung, standing ovation.

Petra und Helmut Huber

Zitate aus

Giovanni Bietti, „Ascoltare Verdi“, Laterza/Bari 2021

Torsten Roeder, „Die Rezeption der Messa da Requiem von Giuseppe Verdi im deutschsprachigen Raum 1874–1878“, Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 2017

 

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