L’Orfeo-Barockorchester. Copyright: Waltraud Dandler
LINZ / Brucknerhaus / Großer Saal: Sonntagsmatinee mit Michi GAIGG, Midori SEILER & dem L’ORFEO BAROCKORCHESTER
Von der Essenz der Musik
16.2. 2020 – Karl Masek
Die Sonntagsmatineen im Brucknerhaus Linz kommen, so scheint es, besonders gut an beim Linzer Publikum. Der Große Saal war brechend voll, das 1996 von Michi Gaigg gegründete oberösterreichische L’Orfeo Barockorchester bestritt ein Heimspiel, das herzlich akklamiert wurde. Auf dem Programm: Mozart, Beethoven, Schubert. Und doch ging es nicht um ein bloßes Wunschkonzert-Programm, das mit applaustreibenden „Glitzer-&-Glamour“-Effekten abgespult wurde. Ganz im Gegenteil! Von der Essenz der Musik erfuhr man sehr, sehr viel an diesem Vormittag!
Was natürlich erwartbar war, wenn auf dem Programmzettel neben dem vielfach ausgezeichneten Orchester die Namen Michi Gaigg und Midori Seiler stehen!
Die Dirigentin Michi Gaigg: geboren in Schörfling am Attersee, mit prägender Ausbildung in der Hochschule Mozarteum Salzburg (v.a. Barockvioline), entscheidende Impulse kamen von Nikolaus Harnoncourt. Zwei Orchestergründungen. Langjährige Professur für Alte Musik und Historische Aufführungspraxis an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz (1994-2017). Intendanz der „donauFESTWOCHEN“, vielfältige CD- und DVD-Aufnahmen. Gastspiele u.a. bei den Salzburger Festspielen, zuletzt ein viel beachtetes Debüt in der Elbphilharmonie Hamburg…
Die Violinistin Midori Seiler: in Osaka in eine Musikerfamilie hineingeboren – beide Eltern Pianisten, die Mutter Japanerin, der Vater aus Bayern. Kosmopolitisch aufgewachsen und ausgebildet in Salzburg, schlussendlich in Basel, London, Berlin. Neben der solistischen Laufbahn ist sie eine besonders geschätzte Pädagogin, um die sich Student/innen in den Hochschulen Mozarteum Salzburg und Weimar geradezu reißen. Künstlerische Leiterin des „BachCollektivs der Köthener Bachfesttage“…
Das Programm im Detail: Es begann mit Wolfgang Amadeus Mozart und seiner Sinfonie Nr. 33, B-Dur, KV 319. Vom ersten Einsatz an: Klarheit und Durchsichtigkeit des Klanges. Alles schlank, von federndem Schwung. Sachbetont, zugleich mit menschlichem Puls. Mit der Rhetorik musikalischer Klangrede, von Harnoncourts Intentionen gestreift. Akzente kommen allerdings nicht mit der Schroffheit des charismatischen Mentors, sondern mit subtilem Sforzato oder angetipptem Fortepiano. In der Tempowahl betont Michi Gaigg jeweils das zweite Wort. Ein Andante moderato wird nie zu einem quasi Adagio verschleppt. Allegro assai wird tatsächlich ziemlich rasch und hurtig genommen. Die Musik hat Rundung, sie fließt mäandernd, klingt apart und zart, aber nicht verzärtelt. Gaigg hat es keinen Augenblick lang nötig, dirigentische Selbstdarstellung walten zu lassen, auf die „Gefühligkeitstube“ zu drücken oder sich auf einem Akzent „auszuruhen“. Sie hält permanenten Kontakt zu jedem Orchestermitglied, und ihre Zeichen scheinen von den Fingerspitzen die Direttissima zu den Streicherbögen, zur Lippenspannung bei den Bläsern zu nehmen. Folge: perfekte Klangrede, gelöstes Spiel. Schade nur, dass die Hörner sich eine Matinee lang nicht so recht von einer ungünstigen Vormittagsdisposition (mit etlichen heiseren Ansätzen) befreien konnten…
Midori Seiler. Foto: Maike Helbig
Midori Seiler verlieh dem Konzert für Violine und Orchester Nr. 3, G-Dur, KV 216 aus dem Jahr 1775 galante Eleganz, eine Leichtfüßigkeit, die an Spitzentanz gemahnte, tief empfundene Dialogbereitschaft mit dem Orchester (man spielte ohne Dirigentin!), rhythmische Prägnanz und betörende Melodik. Als Zugabe schließlich: Joseph Haydn, mit dem schwebenden Mittelsatz aus seinem Violinkonzert C-Dur, zu dem das Orchester kaum mehr als tropfende pizzicati beizusteuern brauchte. Eine zauberhafte Coda vor der Pause!
Ludwig van Beethoven durfte im Jubiläumsjahr nicht fehlen. 8 Ausschnitte aus den Zwölf Contretänzen für Orchester, WoO 14 (aus den Jahren 1791-1801) wiesen den jungen Wahlwiener aus Bonn als fabelhaften Unterhaltungsmusiker der damaligen Zeit aus.
Schließlich die 5. Sinfonie, B-Dur, D 485 des 19-jährigen Franz Schubert – schon mit vielem aus den Kleinodien seiner „unendlichen Melodien“. Ganz ohne das Pathos der vorangegangenen 4. Sinfonie, der „Tragischen“, und mit harmonischen Wendungen, die sich bereits deutlich von klassischen Vorbildern abgrenzen. In diesen Schubert-Klangkosmos sind Michi Gaigg und ihr Ensemble zurzeit besonders tief eingedrungen, hat man sich für CD-Aufnahmen zuletzt intensiv mit dem gesamten sinfonischen Werk Schuberts beschäftigt. Auch hier kommt die Essenz dieser Musik, mit aller Durchhörbarkeit und den idealen Valeurs zum Tragen.
Gelöste Stimmung am Ende, sowohl auf dem Podium, als auch im Auditorium. Starker Applaus, Bravorufe.
Karl Masek