Linz: „Bruckner 5. im Originalklang“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 08. 10.2024
Orchestra of the Age of Enlightenment, unter Ádám Fischer
„Schlussapplaus Mozart“ vor Chor und Orchester v. l. Heinz Ferlesch, Ádám Fischer, Michaela Selinger, Alexandre Baldo, João Terleira und Fenka Lukas. Foto: Petra und Helmut Huber
Programmgestalter Jan David Schmitz hatte diesen Abend der Originalklangserie zum Jubiläums-Brucknerfest unter das Motto „Anbeten“ gesetzt und eine auf den ersten Blick monströse Programmierung erstellt: W. A. Mozarts Requiem in d.Moll KV 626 (in der Ausgabe von 1877 – Vervollständigung von Franz Xaver Süßmayr, Edierung Johannes Brahms); nach der Pause die (angeblich „katholische“) 5. Symphonie von Anton Bruckner, entstanden und überarbeitet 1875 – 1878. Wohlbegründet ist diese Paarung aber mit der Tatsache, daß sich Bruckner thematisch wichtige Inspirationen bei dem Mozart-Werk geholt hat. Und der fast ausverkaufte Saal sprach jedenfalls für eine gelungene Programmierung.
Das „Orchester der Aufklärungszeit“, kurz: OAE, wurde 1986 in London gegründet und hat sich als Motto „Questioning. Challenging. Trailblazing.“ gegeben. So widmet man sich Programmen von Bach bis Brahms mit epocheentsprechendem Instrumentarium, Darmsaiten usw. in einer Stimmung von a‘ = 438 Hz. Nur Ventilposaunen sind keine vorhanden, aber dafür ein fünftes Horn. Ja, und: dies heute ist das Bruckner-Debut des Orchesters!
Normalerweise ist das Mozart-Requiem ja Höhe- und Angelpunkt eines Konzertes, aber diesmal dient es „nur“ als Einleitung. Diese Dirigent-/Orchester-Paarung schließt freilich eine bloße Pflichtabsolvierung aus. Aufgeboten werden, neben den ca. 45 Damen und Herren im Orchester, der renommierte, in St. Valentin beheimatete Chor „Ad Libitum“ unter Heinz Ferlesch sowie Fenja Lukas, Sopran am Linzer Landestheater, Mezzo Michaela Selinger (Oberösterreicherin in Berlin), der portugiesische Tenor João Terleira, derzeit in Heidelberg engagiert und der der Originalklangwelt verbundene Franzose Alexandre Baldo als Bass.
Mit diesem Stück ist Ádám Fischer natürlich vertraut. Er läßt duftig und elegant, fast swingend musizieren. Die seidigen Streicher verwenden epochegemäß kaum Vibrato. Das „dies irae“ fällt wild bewegt, ja stürmisch aus, doch bleibt alles äußerst präzise und transparent, auch in den geradezu atemlos, aber mitreißend dahineilenden Fugen. Die stilistisch perfekt abgestimmte Tonbildung von Orchester, Chor und Solisten schafft eine dichte, warme Stimmung, in der z. B. ein wunderbares Duett von Baßsolist und Posaune bei „tuba mirum“ gedeiht.
Fenja Lukas klingt feingliedrig lyrisch, samtig, aber tragfähig – mit ihrer erstklassigen Pamina im Linzer Landestheater ist sie derzeit bestens auf Mozart eingestellt. Auch Frau Selinger ist in hervorragender Kombination von Saalfüllung und Stimmkultur exakt die richtige Besetzung. Herr Terleira ist ein Tenor mit Schmelz mit präziser wie eleganter Lyrik, Herrn Baldos Baß ist schön timbriert, mit guter Tiefe. Maestro Fischer dirigiert mit größter Expressivität bis zum fugengetriebenen, dunkel strahlenden Finale. Das ist keine Totenmesse, sondern eine Auferstehung, nichtsdestoweniger Thema absolut nicht verfehlt: ad astra ohne zuvor per aspera zu gehen… Nach 45 Minuten Mozart vom feinsten langer, begeisterter Applaus.
Nach Aufstockung auf fast 80 Orchesterpositionen, u. a. 6 Kontrabässe, beginnt das „kontrapunktische Meisterstück“ des Jahres- und Festspielregenten. Von der ersten Sekunde an finden die Bruckner-Debütanten den exakt richtigen Tonfall, als hätten sie seit Jahren nichts anderes gespielt. Doppelt bemerkenswert dabei: auch für Ádám Fischer ist das seine erste Bruckner-Symphonie!
Orchester und Dirigent beeindrucken uns mit gewaltigem, aber immer genau kontrolliertem Dynamikumfang, präzise gelungener Agogik, sind jederzeit transparent bis ins letzte und leiseste Instrument, wozu auch manchmal eine kaum hörbar tremolierende Pauke zählen kann… und das, obwohl z. B. die Violinen mit ihrer Darm-e“-Saite einen Brillanznachteil gegenüber modern bespannten Instrumenten haben; aber die OAE-Mitglieder wissen damit perfekt umzugehen. Bei einer Gesamtdauer von gut 70 Minuten (samt Nachstimmen zwischen den Sätzen) fällt die Aufführung rasch aus, wobei aber die Tempi gefühlt perfekt gewählt sind und die großen Bögen wie die Details ebenso makellos dastehen wie das höchstkomplexe Fugengewürm im vierten Satz. Der Dirigent meint ja auch, daß mit Originalinstrumenten weniger schwerfällig als mit heutigen gespielt werden könne und liefert an diesem Abend auch den Nachweis dafür. Insgesamt eine geradezu unglaubliche Leistung aller, ein überwältigend stimmiges Gesamtbild, gerecht der „Phantastischen“, wie sie Bruckner auch nannte, ohne sie je orchestral selbst gehört zu haben.
Der Schlussapplaus Bruckner“ zeigt Ádám Fischer mit Linzer Torte und dem Orchester. Foto: Petra und Helmut Huber
Begeisterung, standing ovation.
Petra und Helmut Huber
PS: es waren viele Mikrophone gestellt bzw. gehängt – möglicherweise kann man das Konzert in nächster Zeit im Radio nachhören. Wäre einfacher als den nächsten Termin von OAE und Fischer mit Bruckners Fünfter wahrzunehmen, denn der ist in 4 Tagen (So., 13.) in London.