Linz: „Bruckners 6. im Originalklang“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 17. 09.2024
Les Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski
Der – leider, anscheinend als Kollateralschaden der Luger-Kerschbaum-Affaire – nun scheidende Musikdramaturg des Brucknerhauses, Jan David Schmitz, hatte für das Bruckner-Jahr die großartige Idee, alle 11 Symphonien des Jubilars von Originalklangensembles zyklisch aufführen zu lassen, weil: „warum sollten wir das Programm des Bruckner Orchesters, das heuer an unterschiedlichen Orten ohnehin alle Bruckner-Sinfonien spielt, duplizieren? So entstand meine Originalklang-Idee, die mit allen elf Sinfonien von einem Festival noch nie verwirklicht worden ist.“ (OÖ Nachrichten, 7. 9. dJ). Die Verteilung der Werke auf die unterschiedlichen internationalen Klangkörper und Dirigenten wird wohl ein ziemlich schwieriges Stück musikologisch unterlegter Diplomatie und Terminakrobatik gewesen sein…
Heute sind die 1982 vom Fagottisten (als solcher vor 40 Jahren mit René Clemencic schon einmal im Brucknerhaus) Minkowski gegründeten „Louvre-Musiker“ an der Reihe. Kombiniert mit Bruckner kommt dessen Zeit- und Organistengenosse César Franck mit seiner spät im Leben entstandenen ersten und einzigen Symphonie in d-Moll FWV 48 zu Ton. Dieses thematisch originelle wie eingängige Stück („Ohrwaschlkräuler“ © Voodoo Jürgens) erklingt vor der Pause. Auffälligster Unterschied zu Bruckner: Während dieser seine harmonischen Progressionen noch nach der klassischen Kontrapunktik entwickelt, wenn auch in weitestmöglicher und kühnster Auslegung, spielt Franck schon mit einer recht freien Aneinanderreihung von Tonarten, insoferne recht „wagnerisch“. Beiden gemeinsam aber ist der dramatische Umgang mit Dynamikumfang, den das Orchester auch wunderbar umsetzt.
Das dreisätzige Werk beginnt mit einem zwar mit „Lento“ bezeichneten Satz, was aber, nach dem ruhigen und trotzdem spannungsreichen Beginn, eine wild wogende und aufregende Durchführung nicht ausschließt, vom Dirigenten energetisch-ansteckend angeführt. „Allegretto“ und schließlich „Allegro non troppo“ gelingen ebenso überzeugend lebendig und mitreißend. Zwar ist der Klang der 35 Streicher nicht so brillant und analytisch wie der von modernen Orchestern, aber gespielt wird mit höchster Delikatesse, Präzision und Transparenz. Zusammen mit dem sanften, fast schmeichelnden Klangbild, das von den Darmsaiten und der Stimmung auf a‘ = 440 Hz ebenso geprägt ist wie von den epocheentsprechenden Bläsern, ergibt sich ein geradezu immersives, hedonistisches Hörerlebnis. Allerdings wurde 1885 in Wien ein Kammerton von 435 Hz international beschlossen, der noch dazu auch dem damals in Frankreich üblichen entsprach… es ginge also noch mehr „Originalität“. Aber: Verdientermaßen großer Applaus.
Nach der Pause also WAB 106, die einzige Bruckner-Symphonie, die in nur einer Version existiert. Die schon zuvor geschilderten Qualitäten von Orchester und Dirigat kommen auch hier wunderbar zum Tragen und zum Blühen, besonders im langsamen Satz. Scherzo und Finalsatz brodeln dann vor Energie, beim dritten Satz noch garniert mit dem ansteckend vergnügten Musikantentum der Orchestermitglieder. Das abschließende „Bewegt, aber nicht zu sehr“ wird vom Dirigenten entschieden vorwärtsstürmend (aber eben trotzdem nicht zu schnell!) genommen, ohne daß darunter die Präzision leiden würde: hier musizieren 60 Virtuosinnen und Virtuosen, von ganz leisen, oft exponierten, perfekt „syntonierten“ Geigentönen bis zum explosiven, paukenumtosten Ausbruch.
Verglichen mit der Aufführung des letzteren Werkes durch das Brucknerorchester und Markus Poschner vor wenigen Monaten im selben Saal: kein Qualitätsunterschied, auch kein gravierender Auffassungsunterschied – aber doch ein bemerkenswert anderes, durchaus faszinierendes Klangerlebnis, das den Eintrittspreis entschieden wert war!
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Begeisterter Applaus aus dem leider nicht gut gefüllten Saal; Marc Minkowski bedankt sich mit einer kleinen, sehr persönlichen und bewegten Ansprache.
Petra und Helmut Huber