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LINZ/ Brucknerhaus: BRUCKNER 9. IM ORIGINALKLANG. Les Siècles unter Jakob Lehmann

11.10.2024 | Konzert/Liederabende

Linz: „Bruckner 9. im Originalklang“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 10. 10.2024

Les Siècles unter Jakob Lehmann

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Jakob Lehmann, Jan David Schmitz,  Foto: Petra und Helmut Huber

„Vergöttern“ lautete das Motto des letzten Konzertes der Serie „alle Symphonien Bruckners im Originalklang“, die Jan David Schmitz für das Fest zum 200. Geburtstag des musikalischen Revolutionärs aus Ansfelden organisiert hat. Hier wird die symphonische Vollendung eines Mozart derjenigen Bruckners gegenübergestellt: Symphonie Nr. 41 in C-Dur KV 551 und die (unvollendete) Symphonie Nr. 9 in c-Moll WAB 109, die eine 30 Jahre nach ihrer Entstehung 1788 von Impresario J. P. Salomon für ein Konzert in Edinburgh erstmals „Jupiter“ genannt, die andere lt. angeblicher Aussagen des Komponisten gegenüber seinem Arzt als Widmung „der Majestät aller Majestäten, dem lieben Gott“ geplant – wozu es freilich durch Bruckners gesundheitlichen Verfall in den letzten Lebensjahren nicht mehr kam.

Eingeladen war dafür das 2003 gegründete französische Orchester, das seine Zielrichtung im Namen trägt: „Die Jahrhunderte“ meint, daß man als Originalklangensemble für alle Epochen von etwa Barock bis zur Moderne das jeweils historisch passende Instrumentarium, die korrekte Spielweise parat hat. Im Falle des heutigen Konzertes: knapp 40 Damen und Herren auf der Bühne, Stimmung a‘ = 430 Hz für Mozart, nach der Pause (aus Rücksicht auf einige Blasinstrumente) doch eher „moderne“ (aber da und dort auch in früheren Epochen verwendete) 442 Hz und natürlich die rund 80 Personen umfassende Besetzung, darunter bis zu 9 Hörner. Diese sind rechts positioniert (weil auch teils auf Tuben gewechselt wird?), die Pauken links.

Als Dirigent fungierte der 33-jährige Deutsche Jakob Lehmann, der vom Violinspiel kommt und in einigen Originalklang- und Kammerorchestern Konzertmeister war, bevor er ab 2021 ganz aufs Dirigieren setzte und in diesem Metier weltweit Erfolge feiert.

Mozarts letzte Symphonie wird schwerelos, luftig angelegt; besonders tänzerisch, also der Wurzel als Menuett entsprechend, der dritte Satz. Das abschließende „molto allegro“ wird tatsächlich sehr schnell gegeben, bleibt aber immer präzise. Trotz aller Wechsel im Duktus, besonders im ersten Satz, bleibt alles kompakt, ist aus einem Guß. Insgesamt eine hervorragende Interpretation dieses wohlbekannten Klassikers, in samtiger wie lebendiger Tongebung.

Langer Applaus, durchaus lautstark, auch wenn er nur aus dem fast ausverkauften Parkett ertönt – der Balkon bleibt heute geschlossen, der Saal ist also von 1.470 auf rund 1.000 Sitze kapazitätsreduziert.

Die riesigen Klangflächen der Bruckner-Symphonie präsentiert das Orchester mit ebensoviel Präzision und Transparenz wie den Mozart. Auch hier wählt der Dirigent relativ hohe Tempi (Gesamtdauer gut 50 Minuten! – Aufführung ohne Ergänzung des 4. Satzes), wobei der Gesamteindruck aber immer plausibel und emotionell aufwühlend bleibt. Die Violinen-None im Thema des dritten Satzes imponiert erschreckend als Aufschrei in Todesangst, der schon ein bißchen überirdisch strahlende Bläserchoral zum Finale des ersten läßt die Geschichte der geplanten Widmung plausibel erscheinen. Ein sehr spezieller Glanz durch die vielen Hörner kommt immer wieder wunderbar zur Geltung: Jakob Lehmann hat die Klangbalance ebenso exakt im Griff wie er die gewaltige Gesamtdynamik des großen Orchesters dosiert und sorgfältigst Steigerungen und Spannungsbögen baut. Die Getragenheit und (womöglich nur hohle??) Würde von langsameren Aufführungen kann so durchaus fundiert hinterfragt werden – wobei z. B. bei Furtwänglers besonders durch das Adagio – langsam, feierlich sehr viel länger dauernden Aufnahme von 1944 (in der der Spannungsbogen aber schon bisweilen etwas sehr durchhängt) das Scherzo sogar schneller imponiert als in Lehmanns Tempo. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Interpretationen aber der ins Nirwana verebbende Schlußton, der auch heute lange und ergreifend verklingt.

Es ergibt sich der Eindruck, daß mit diesem letzten Konzert der Serie ein aus der Perspektive der „Originalklangwelt“ betrachteter Bruckner schließlich mit dessen moderner Interpretation konvergiert – und keineswegs nur, was die verwendete Stimmung anlangt (das Bruckner-Orchester verwendet 443 Hz), sondern auch hinsichtlich der Tempoauffassung, denn in Markus Poschners aktueller Gesamtaufnahme dauert die Neunte auch „nur“ 55 Minuten.

Abgesehen von den durch diese wertvolle Programmidee angestoßenen Diskussionen und Interpretationsüberlegungen war auch dieses Konzert ein höchstklassiger Genuß, der vom Publikum mit lautstarker Begeisterung und standing ovation belohnt wurde.

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Petra und Helmut Huber

 

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