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LINZ/ Brucknerhaus: „BRUCKNER 4. IM ORIGINALKLANG“

05.10.2024 | Konzert/Liederabende

Linz: „Bruckner 4. im Originalklang“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 04. 10.2024

Concerto Köln unter Kent Nagano

Shunske Sato, Solovioline

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Foto: Petra und Helmut Huber

Brucknerhaus-Musikdramaturg Jan David Schmitz hatte die Idee zur Originalklang-Weltpremiere eines kompletten Zyklus aller Bruckner-Symphonien etwa 2021. Sicherlich auch im Bestreben, für „nach Corona“ wieder das Publikum motivieren zu können, aber natürlich schon im Hinblick auf das herannahende Bruckner-Jahr 2024. Es galt, wie er uns sagte, zunächst die Fokussierung der Orchester und die daraus folgenden Möglichkeiten für welches der Bruckner-Werke abzuschätzen, und dann Stücke vorzuschlagen, die sich jeweils sinnvoll mit den Symphonien paaren ließen. Das Resultat war ein Programm vom Concentus Musicus mit der „Studiensymphonie“ WAB 99 bis zu Les Siècles mit der Neunten. Ein Punkt war auch, daß die jeweilige Symphonie für das Jahr 2024 Österreich-exklusiv war; ansonsten konnte der Linzer Auftritt in eine Tournee nach Belieben des Orchesters eingebunden werden.

Der heutige Abend ist dem Werk gewidmet, das Bruckners ersten Erfolg als Symphoniker darstellt. Aber bis es dazu kam, war auch ein längerer Prozeß. Jedenfalls wurde die Komposition 1874 fertiggestellt, in einem für Bruckner nicht leichten Jahr: finanzielle Enttäuschungen kumulierten, und aufgrund fragwürdiger Anschuldigungen verlor er seine Stelle an der Lehrerinnenbildungsanstalt St. Anna. Trotzdem ist die Vierte seine erste Symphonie in einer Dur-Tonart. Doch noch vor einer möglichen Uraufführung begann Bruckner, aus eigenem Antrieb oder zumindest mittelbar von dritter Seite motiviert, mit ausgedehnten Umarbeitungen. Auch der Name „Romantische“ und ein (definitiv nachträglich) unterlegtes Programm gehen, wohl als Marketingideen, auf diese Zeit der Unsicherheit zurück. Schließlich wurde die zweite Fassung im Februar 1881 unter Hans Richter von den Wr. Philharmonikern uraufgeführt; sie ist die bis heute fast ausschließlich gespielte.

Was wurde aus der Ursprungsfassung? Sie blieb erhalten, wurde aber erst 1975 von Kurt Wöss mit den Münchner Philharmonikern uraufgeführt, am Ort des heutigen Konzertes. Die Unterschiede der beiden Fassungen sind groß: der dritte Satz wurde ausgetauscht und rhythmisch komplett anders strukturiert, der vierte Satz verlor die Quintolen, welche durch den ähnlichen, aber eben nicht identen „Bruckner-Rhythmus“ Viertel-Viertel-Triole ersetzt wurden. Auch die ersten beiden Sätze wurden gestrafft und – vor allem! – geglättet. Insgesamt ist die „Ur-Vierte“ ein weitaus wilderes und rauheres Stück Musik als ihr polierter Stiefzwilling – somit durchaus, wenn auch weit abseits Bruckners „Verkaufsargument“, im ursprünglichen Sinne romantisch: frei in der Form, nicht-akademisch, mit ausdrucksstarken Dur/Moll-Wechseln etc. Das kommt in Markus Poschners soeben erschienener Komplettaufnahme der Bruckner-Symphonien in moderner Instrumentenbesetzung sehr gut zur Geltung, und macht erst recht neugierig auf den Vergleich mit einem Originalklangensemble.

Unter dem Motto „Verklären“ hatte Herr Schmitz die Kölner eingeladen, die bekanntlich auch an einem „Ring“-Projekt in historischem Klang beteiligt sind. Für groß besetzte Werke verstärkt man sich durch Mitglieder der Duisburger Philharmoniker (natürlich mit entsprechend abgestimmten Instrumenten), heute auf etwa 70 Personen. Man stimmt auf a‘ = 437 Hz.

Vor der Pause gab es die Ouverture romantique op. 75 des Bruckner-Mitschülers bei Simon Sechter, Béla Kéler. Ein höchst eingängiges und effektreiches Stück, ein Aufwärmer an diesem kühlen und regnerischen Oktoberabend. Beeindruckend vor allem, wie makellos das Orchester dem Dirigenten bei der ausgeprägten Agogik bis hin zu fetzigen Csárdás-Rhythmen folgt.

Es folgt das Concerto romantique op. 35 in a-Moll von Benjamin Godard, 1876 uraufgeführt von der Geigerin Marie Tayau (die übrigens schon damals Stahlsaiten verwendete!). Das viersätzige Werk beginnt für den Solisten heftig mit einer wüsten Kaskade von Doppel- und Dreifachgriffen, an der Niccolò Paganini seine wahre Freude gehabt hätte. Im 2. geht es deutlich lyrischer zu, der 3. ist ein wunderbar verspieltes Pizzicato, bevor der Solist im Finalsatz noch einmal alles geben muß… für Herrn Sato, der ein Instrument von Jakob Stainer (Absam/Tirol, um 1650) mitgebracht hat, eine wunderbare Aufgabe. Er begeistert mit seiner saalfüllenden Tongebung, dabei musikantischer Leichtigkeit und Präzision – ein Glissando irgendwo ganz hoch auf der e-Saite am genau richtigen Zehntelmillimeter enden zu lassen, alle Achtung! Die Begeisterung des Publikums erheischt eine Zugabe: mit der finalen Bourée aus J. S. Bachs Partita I, BWV 1002, glänzt er nochmals, wenn auch in einem völlig anderen Stil.

Nach der Pause dann das wilde (wildeste??) Kind des Jahresregenten. Die Zug- sind durch Ventilposaunen ersetzt worden, was sich klanglich beträchtlich bemerkbar macht und den rauhen und bisweilen ungestümen Charakter des Werkes exzellent unterstreicht. Auch abgesehen von diesem Detail funktioniert die Interpretation durch dieses Orchester und Kent Nagano großartig, bis hin zum Interpretationsstil: auch der Streichercorpus dieses Orchesters kann mit Glissandi präzise umgehen, die ja erst im 20. Jahrhundert außer Mode, um nicht zu sagen in Mißkredit gerieten, und daher für eine zu Bruckner zeitgenössische Rekreation absolut plausibel sind. Insgesamt ist der Eindruck verglichen mit der neuen Gesamtaufnahme emotioneller, weniger geschliffen, ja stupender, ohne bei Transparenz oder Präzision Kompromisse einzugehen: auch diesmal – bezogen auf unser erstes Erlebnis in dieser Serie – gleichrangig und dabei auf höchst interessante Weise unterschiedlich.

Das Publikum war wohl derselben Meinung, wie der lange und begeisterte Applaus zeigte.

 

Petra und Helmut Huber

 

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