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LINZ/ Brucknerhaus: „BEETHOVENS FÜNFTE“. Oder: wie Covid-19 aus Mahler Beethoven macht

19.10.2020 | Konzert/Liederabende

Linz: „BEETHOVENS FÜNFTE“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 18. 10.2020

Oder: wie Covid-19 aus Mahler Beethoven macht


Markus Poschner. Foto: Bruckner-Orchester

Angekündigt war dieses erste Konzert der neuen, Bruckner-Orchester-eigenen Konzertreihe als „Mahlers Neunte“. Und dann schlug das Virus zu – wegen einer einzigen Infektion im Orchester mußten mehrere Personen in Quarantäne gehen, und damit konnte das ursprüngliche Programm nicht aufrecht erhalten werden. Die öffentliche Ankündigung der Änderung erfolgte am Donnerstag, den 15., also standen wohl nicht mehr als vier Tage zur Probe zur Verfügung.

Unverändert blieb der erste Teil des Programms: die Kammersinfonie Nr. 3 (1969) des Georgiers Sulchan Nassidse (1927 – 1996), in einer nunmehr uraufgeführten Überarbeitung durch Markus Poschner, zusammen mit dem Saxophonisten Hugo Sigmeth. Das Orchester spielte hier in Streicherbesetzung von etwa 30 Personen, dazu kamen der Bearbeiter als Dirigent und Pianist und der Solist an Sopransaxophon und Baßklarinette. Das Werk von Nassidse, das Poschner seit seiner Zeit als Chefdirigent des in Ingolstadt exilierten Georgischen Kammerorchesters vertraut ist, kann man sich dem Charakter nach ähnlich Bernard Hermanns Musik zu Alfred Hitchcocks „Psycho“ oder Francois Truffauts „Fahrenheit 451“ vorstellen. Die Einwürfe von Klavier und Blasinstrumenten werden in den ersten Sätzen als – auch in der Tonsprache – getrennte, eher jazzige Elemente eingesetzt, erst im vierten Satz mit dem Orchesterspiel integriert. In der Harmonik bleibt Nassidse tonal, Melodik und „ungerader“ Rhythmik seiner Heimat verbunden, wobei erstere Beziehungen zu altgriechischer Musik aufweisen soll; leider hat es nicht einmal Thomas Alva Edison geschafft, die Klänge, die Aristoteles und Phidias umschwirrten,  auf Wachszylinder festzuhalten, also müssen wir das einfach so glauben…

Wie auch immer: spannungsreiche Musik, wobei die Einwürfe von Poschner und Sigmeth anfänglich vorzügliche, aber charakterlich eben völlig andersartige Kontrapunkte setzen, auch mit „unorthodoxen“ Spieltechniken am Klavier. Schließlich läuft alles sehr schön zusammen, und die Musik verebbt, immer unter Spannung, mit einem gaaaaanz leisen Tremolo in den zweiten Geigen.

Großer Applaus, und als Draufgabe des Duos Sigmeth/Poschner eine Improvisation über ein irisches Thema „Give Me Your Hand“ (Tabhair dom do Lámh – nun ja, aktuell nicht immer passend, meinte Poschner), bei dem die beiden, die musikalisch schon seit fast 30 Jahren immer wieder zusammenarbeiten, wunderbare „fremd-vertraute“ Harmonien produzierten, vielleicht ein bißchen in Richtung Dollar Brand/Abdullah Ibrahim.

Nach der Pause mit knapp 60 Damen und Herren am Podium das „Ersatzwerk“, eine der meistgespielten Symphonien und als solche DER Vergleichsmaßstab mit sämtlichen relevanten Orchestern und Dirigent(inn)en der auf Tonträgern erfahrbaren Geschichte – und natürlich auch dermaßen bekannt, daß es an Spannung fehlen könnte, wenn nicht…

Schon das Hauptmotiv elektrisiert, weil die Pause vor dem zweiten „dadada-dah“ nur sehr kurz ausfällt und damit sofort ein Vorwärtszug ins Rollen kommt, der bis zum Finale nichts an Dynamik einbüßt; nichts von Eiche dunkel gebeizt, nichts Altfränkisches, purer Sturm und Drang. Rasche Tempi, fordernd, aber nicht überfordernd. Und dabei Präzision und Transparenz, die ihresgleichen suchen – ein außerordentlich delikates, feingliedriges Bläserensemble im Andante, geradezu körperlich schmerzliche Spannung in der Überleitung vom 3. zum 4. Satz, was zu spontanem Applaus (!) beim erlösenden Erstrahlen des finalen C-dur-Marsches führt. Unglaublich Präzision und Perfektion der 4 Kontrabässe, wenn sie im Scherzo die höllisch schnelle „Fuge mit Anlauf“ anreißen, am anderen Ende der Tonskala die glasklaren Piccolo-Akzente im Finale. Probenmangel durch die kurzfristige Programmänderung? Aber woher!

Überhaupt, das Finale: mitunter zieht sich das halt, mit diesen ewigen Anläufen Beethovens, einen Schluß zu finden – zumindest vermitteln einem viele Aufnahmen, auch „live“ entstandene, dieses Gefühl einer Art unschlüssiger Verbissenheit. Nicht so an diesem Abend! Poschner und „sein“ Orchester produzieren einen gradlinigen, logischen, zwingenden Duktus – weniger Noten, weniger Anläufe und Umwege zum Ende? Nein, das kann nicht sein: dieses brausende, stürmende, auftrumpfende und aufregende Werk KANN nur so und nicht anders enden!

20minütige Begeisterung, standing ovations.

Und eine bange Frage: wird man diese Symphonie je wieder dermaßen frisch und lebendig erleben können wie an diesem Abend?

 

Petra und Helmut Huber

 

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