Linz: „Anton Bruckner: Symphonie Nr. 3 in d-moll (WAB 103; Erstfassung 1873)“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 29. 05.2024
Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner
„Die rote Couch“ mit Markus Poschner, Lia Vielhaber und Nobert Trawöger. Foto: Petra und Helmut Huber
Wie immer eine ¾ Stunde vor Konzertbeginn im orchestereigenen Abonnement „die rote Couch“ – diesmal Lia Vielhaber, seit 2022 Solocellistin und Stimmführerin, im Gespräch mit Markus Poschner und dem Orchesterchef Norbert Trawöger; es ging u. a. um Homogenität und Abstimmung innerhalb der Instrumentengruppen.
Das Konzert war wieder mit einer didaktischen „Hinführung“ von knapp 40 Minuten vor der Pause gekoppelt – aber: es begann mit einem Skandal! Das Orchester spielt einen Teil des 4. Satzes, aber einige Musiker brechen ab, reißen Noten vom Pult, zerknüllen sie, marschieren, ja stampfen hinaus… so ungefähr nämlich könnte die Szenerie bei der Uraufführung dieser Symphonie, schon in der Drittfassung, unter Leitung des Komponisten am 16. Dezember 1877 ausgesehen haben. So vehement wie beim legendären Watschenkonzert knapp 36 Jahre später soll es zwar nicht zur Sache gegangen sein, aber jedenfalls erlebte nur ein kleiner Teil des Publikums, darunter ein junger Gustav Mahler, das Finale, von einem (nicht ganz so radikal wie bei Haydns Abschiedssymphonie) ausgedünnten Orchester gespielt.
Nach diesem historisch fundierten gag demonstrierte der wahrhaft und überzeugend für Wagner brennende Dirigent mit eifriger Hilfe des Orchesters, von Solistinnen und Solisten, von ganzen Instrumentengruppen, Details des Werkes: von der Referenz zur 9. von Beethoven in der Exposition über die Tricks, mit der Bruckner ein Flirren der Streicher erreichte oder die sorgfältig kalkulierten Dysrhythmien im 4. Satz, bis zu den subtilen, meisterlich eingebauten Zitaten von Isoldes Verklärung und Brünnhildes Schlaf. Manche Stellen erscheinen, zumindest retrospektiv, wie serielle Kompositionen oder ein Gitarrencluster von Jimi Hendrix (und unsererseits sei angemerkt, daß die 2. Geigen im Scherzo ein Ostinato spielen, was sehr an „The Man Who Sold the World“ von David Bowie erinnert… bzw. umgekehrt). Garniert wird die Sache mit dem Lob des dunklen fränkischen Bieres, das wohl eine gewisse Rolle bei der Auswahl Wagners bezüglich der von Bruckner angetragenen Widmung der 2. oder dann doch eben der 3. Symphonie hatte.
Nach der Pause servierten uns die 80 Damen und Herren im Orchester geradezu ein Musterbeispiel des im Vorprogramm von der Obercellistin Gesagten: die 16 ersten, 14 zweiten Violinen, die 12 Bratschen, 10 Violoncelli und 8 Kontrabässe intonieren nicht nur glasklar und rein, auch bei der Lautstärke gibt es innerhalb der Gruppen keine Ausreißer. Sichtbares Zeichen dafür die absolut gleichartige Bogenbehandlung – angefangen von den ausdrücklich von Bruckner bei gewissen Stellen verlangten „Abstrichen“ über die absolut synchrone Nutzung dessen Spitzen- oder Mittelbereiches (was beachtlichen Einfluß auf die Tonbildung hat!). Abgesehen davon leisten sich die Bläser, namentlich die 5 Hörner, keinerlei auch nur geringste Unsicherheiten.
Das Resultat: vordergründig absolute Präzision, die aber erst dem Publikum ein völliges Aufgehen im komplexen und langen Werk ermöglicht und gleichzeitig Transparenz wie perfektes Zusammenklingen bewirkt. Besonders zur Versenkung und zum Schwelgen in Bildern fordert der zweite Satz auf, der gleichzeitig in dieser Interpretation glühende Spannung erhält. Kurz, flott, knackig und mitreißend das Scherzo. Die atemberaubende Qualität der Darbietung trägt, nein, läßt das Orchester auch durch das rhythmisch effektreiche und hochkomplexe Finale fliegen, schwerelos, mit berückender Klangkultur – und jetzt natürlich mit voller Besetzung bis zum vehementen Schlußakkord!
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Jubel, Begeisterung. Und große Vorfreude auf ebendiese Konzertreihe in der Saison 2024/25, die uns unter anderem einen Abend mit allen Leonoren/Fidelio-Ouverturen bringen wird. Außerdem: die meisten (oder alle?) Aufnahmen der Edition „Bruckners Symphonien in allen Fassungen“ mit Markus Poschner und dem ORF-Symphonieorchester sowie dem Bruckner-Orchester sind schon als CDs erhältlich; die Gesamtausgabe wird aber wohl erst um den tatsächlichen 200. Geburtstag des Komponisten im September des Jahres erscheinen.
Petra und Helmut Huber