Linz: „Alpensinfonie“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 20. 12.2024
Bruckner Orchester Linz unter David Afkham, Gesangssolo Matthias Goerne
Vor dem Konzert auf der „Roten Couch“: David Afkham, Norbert Trawöger. Foto: Petra und Helmut Huber)
Die Zeitgenossen Hugo Wolf (* 1860) und Richard Strauss (*1864) waren ohne Zweifel beide Genies – aber mehr Glück war zweiterem beschieden. Trotz seines durch Armut, sozialen Konflikten und Krankheit bedrückenden und ziemlich kurzen Lebens konnte sich Wolf eine Reputation als Liedkomponist schaffen. Natürlich setzte er viele dieser Lieder als „Gedichte für Singstimme und Klavier“, aber war auch, trotz nur rudimentärer formeller Ausbildung, ein geschickter Orchestrator – siehe auch seine „1½“ Opern. Er vertonte Texte von Goethe, Heine, Heyse, Mörike und anderen.
David Afkham, Matthias Goerne. Foto: Petra und Helmut Huber
Der heutige Gastdirigent David Afkham hat sich heute des großorchestralen Liedkomponisten Wolf angenommen. Mit 74 Damen und Herren des Bruckner Orchesters und dem internationalen Spitzenbariton widmet er sich den genau an Text und Sprachmelodie entlangkomponierten Werken Fußreise/Auf ein altes Bild/Neue Liebe (Eduard Mörike) sowie Anakreons Grab/Harfenspieler I – III und Prometheus (Johann Wolfgang von Goethe). Matthias Goerne hat diese Lieder mit Orchester zuletzt vor 27 Jahren gesungen und war dementsprechend erfreut, daß er wieder einmal mit Wolf in der großen Form konfrontiert war. Er gestaltete die Werke mit seinem gewaltigen nutzbaren Stimmumfang vom satten Baß bis in mittlere Tenorlagen, er lebte mit dem Text mit. Der Dirigent malte bei den ersten Liedern wunderbar schwebende und zarte Klänge mit dem Orchester. Doch bei der Ode „Prometheus“, wo Wagner-verehrer Wolf und der erfahrene Wagner-Sänger Goerne mit einem an Wagner geschulten Dirigenten zusammenkamen, ging es auch höchst dramatisch zu: einerseits mitreißend und plastisch, dann und wann auch mit etwas zu üppiger Orchesterlautstärke zu Lasten der Verständlichkeit des Sängers. Nichtsdestoweniger hochzufriedener Applaus, verdientermaßen für eine vorzügliche Leistung aller Beteiligten.
Mit etwa 110 (nicht ganz den gewünschten bis zu 129) Orchesterpositionen ging es nach der Pause in die „sinfonia maxima“ op. 64 des bayrischen Musiktitanen – nicht nur nach Entstehungs- und Uraufführungszeit eine nahe Verwandte seiner ebenso extrem aufwendigen und den Kulminationspunkt eines Genres bildenden Oper „Die Frau ohne Schatten“. Vordergründig die Nacherzählung einer nicht ganz problemlosen Bergwanderung, die der 15-jährige Richard auf den knapp 1.800 m hohen Heimgarten, einem Voralpenberg nahe Murnau am Staffelsee, unternahm, ist das Werk wohl auch wesentlich durch Friedrich Nietzsches „Antichrist“ beeinflußt und als Beschreibung eines ganzen Menschenlebens lesbar. Oder…? „Für mich ist das poetische Programm nichts weiter als der Form-bildende Anlaß zum Ausdruck und zur rein musikalischen Entwicklung meiner Empfindungen – nicht, wie Sie glauben, nur eine musikalische Beschreibung gewisser Vorgänge des Lebens.“ (RS an Romain Rolland). Aufschlußreich dazu auch: Helmut Lachenmann zur Alpensinfonie von Richard Strauss (2018).
David Afkham begnügt sich folgerichtig nicht mit Naturmalerei. Sein Pinselstrich geht unter die Oberfläche, malt Stimmungen, analysiert sie gleichzeitig, schafft Spannung und kostet die Dynamik des gewaltigen Orchesters aus – ganz, wie er es im einleitenden Interview mit Orchesterchef Norbert Trawöger auf der „Roten Couch“ versprochen hatte. Das Bruckner Orchester spielt – nach einwöchiger Probenarbeit mit dem Gast – brillant, insbesondere die unendlich fein dosierten Streichertremoli begeistern sowohl technisch als auch mit berückender Ätherizität. Ebenso überzeugten die Bläser fast durchwegs mit ihrer Perfektion und Bernhard Prammer legte auf der nun endlich wieder mit Orchester spielbaren Brucknerhaus-Orgel einen kontrapunktischen Teppich aus.
Dirigent und Orchester beim Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Nur poliert und „schön“ ist die Interpretation keineswegs. Trotzdem: die allertiefste Ergriffenheit, die innere Bewegung mag sich nicht einstellen. Die knapp über 50 Minuten lange Aufführung kratzt sicher nicht nur an der Oberfläche, aber so ganz nimmt sie auch nicht unsere Seelen (oder was immer da drin ist…) in Besitz: Ca. 8 Minuten kräftiger Applaus, aber auch keine tosende Begeisterung aus dem nicht wirklich voll besetzten Saal (obwohl fast ausverkauft!). Am Erscheinungstag dieses Berichtes wird das Konzert im Musikverein um 15:30 wiederholt.
Petra und Helmut Huber