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LINZ / Alter Dom: Oper DER FINDLING

Bemerkenswerte musikdramatische Hommage an Anton Bruckner

18.06.2024 | Oper in Österreich
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Alle Fotos: Landestheater Linz / Reinhard Winkler

LINZ / Alter Dom: Oper DER FINDLING

17. Juni 2024 (Premiere 7. Juni 2024)

Von Manfred A. Schmid

Der Findling, ein Auftragswerk des Landestheaters Linz anlässlich des Anton Bruckner-Jahres 2024, nennt sich zwar Oper, könnte aber genauso gut als ein szenisch angereichertes Oratorium bezeichnet werden. Dazu passt, dass das Werk im Alten Dom aufgeführt wird, wo Bruckner 15 Jahre als Organist gewirkt hat, und wo auch die Orgel nach ihm benannt ist. (Auch wenn die akustischen Verhältnisse alles andere als ideal sind, da der ganze Kirchenraum bespielt wird und vom Altarraum aus eine Art Laufsteg zwischen den beiden Kirchenbankreihen durch die Kirche führt. Dazu kommt, dass das 110-minütige Sitzen in den Kirchenbänken alsbald zur Tortur wird: per aspera ad astra!) Dass das Ganze wie eine Messe wirkt, der oftmalige Einsatz der mächtigen Orgelklänge (Bernhard Prammer), das wiederkehrend gesungene „Halleluja“  und der gewaltige Männerchor, einstudiert von Elena Pierini, der gegen Schluss mit einen donnernde Memento-Mori-Psalm das Zittern und Bangen vor dem Letzten Gericht beschwört, spricht dafür, hier von einem Oratorium zu reden. Die Orgel, Bruckners Lieblingsinstrument, findet auch Eingang in die Bühnengestaltung (Margherita Palli) vor dem Altar: Orgelpfeifen ragen in unterschiedlichen Größen in die Höhe. Auch das ist von Bedeutung: Die Oper zeigt Anton Bruckner in verschiedenen Etappen seines Lebens, von der Kindheit bis ins hohe Alter, wenn er den Kampf mit seinen inneren Dämonen endlich bestanden hat und ein gelassenes, gottergebenes Fazit ziehen kann: „Eigentlich habe ich – was manche jetzt groß nennen – nur fertiggebracht, weil ich von Jugend an Ehrfurcht gehabt habe vor allem Echten und Heiligen.“

Hermann Schneider, Chef des Linzer Landestheaters und ein erfahrener Librettist, der für Text und Story verantwortlich zeichnet, geht es dabei aber nicht um eine biographische Darstellung, sondern anhand von Naturschilderungen, Erlebnissen in den Bergen, mit Flüssen, Brücken und Stegen, aber auch unter Einbeziehung ländlicher Überlieferungen, mythischer Vorstellungen in der Region, Sagen, Bräuchen und Legenden und jeder Menge dämonischer Geistern ergibt sich ein Kaleidoskop, das zeigt, wie aus dem schüchternen Sohn eines Dorfschullehrers, der sich gesellschaftlich kaum integrieren konnte, ein Leben lang wie ein Meteor wirkte, der von Himmel gefallen ist und irgendwie immer fremd als Solitär dastand – was im Titel Der Findling treffend ausgedrückt wird – der Komponist wurde, dessen Werke von großen Orchestern seiner Zeit aufgeführt wurden und an dem sich die Geister schieden. Ganz zu fassen und zu erfassen ist der erratisch wirkende Anton Bruckner ohnehin nicht, weshalb Schneider im Stück gleich mehrere Personen auftreten lässt: einen mysteriösen, nur als X bezeichneter Mann, von Martin Achrainer charismatisch, geheimnisumwittert und immer todernst dargestellt, einen Knaben, zwei Gesellen, auch als S und A gekennzeichnet, was auf die Stímmlage Sopran und Alt hinweist (Gotho Griesmeier und Manuela Leonhartsberger), eine Figur mit dem Namen T (Tenor), auch Zwerg genannt (Matthäus Schmidlechner), ein B steht für den profunden Bass von Dominik Nekel. Sie alle sind auf irgendeine Art Erscheinungsformen Anton Bruckners oder ganz eng mit ihm verwoben. Dazu kommt auch eine 10-köpfige Ballettformation (Tanz Linz), die z.T die Volkstänze und Spiele der ländlichen Jugend aufleben lassen, die wohl daran erinnern, dass der junge Bruckner bei Kirchtagen auf der Geige aufspielte, drücken an anderen entscheidenden Stellen aber auch seine inneren Konflikte und Herausforderungen und Sehnsüchte aus (Choreografie Yuko Harada). Regie führt Lukas Hemleb, der den Kirchenraum kreativ zu nützen weiß und das Rätselhafte, das Anton Buckner ausmacht, nicht aufzulösen versucht, sondern zum Schillern bringt. Dabei wird er von Luca Scarazellas Videoeinspielungen, der den Barockaltar in allen Farben und mit Animationen leuchten lässt, trefflich unterstützt

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Marrin Achrainer (X)

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Als Komponist war ursprünglich Franz Hummel vorgesehen, der aber nach Beginn der Arbeit bald verstarb, weshalb dann der Großteil von seiner Frau und Schülerin Susan Oswell vollendet wurde. Mit ihrer herben, rhythmisch akzentuierten Musik gelingt es ihr, das Auf und Ab im Leben und Schaffen Anton Bruckners zu beschwören. Es gibt Klangmassen, die sich zusammenballen und wie reinigende Gewitter herunterströmen, aber auch Momente des Innehaltens, der Reflexion und Meditation, und sogar bukolische Zwischenspiele, wie etwa im vorletzten Teil der zwölfteiligen Oper. Auch Zitate aus Werken des Meisters finden sich geschickt eingebaut. Besonders viel Platz wird in der Komposition dem Einsatz von Chören eingeräumt. Besondere Erwähnung verdient der engagierte Kinder- und Jugendchor.

Eine bemerkenswerte musikdramatische Hommage an Anton Bruckner, der bekanntlich selbst keine Oper und auch kein Oratorium komponiert hat. Grandios und wertschätzend interpretiert vom Bruckner Orchester Linz unter der der souveränen, animierenden Leitung von Markus Poschner.

Es gibt leider ein Manko, das diese grandiose Aufführung trübt: Das Textheft, das jedem Besucher zur Verfügung steht, kann bei den herrschenden Lichtverhältnissen nicht gelesen werden. Da Textverständlichkeit mangels guter Akustik kaum möglich ist, hätte man den Text unbedingt rechts und links des Altarraums zum Mitlesen einblenden müssen. Der Zauber des Librettos kann sich ansonsten dem Publikum nicht eröffnen. So aber bleibt das Verstehen des Dargebotenen für die meisten rudimentär. Jammerschade.

 

 

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