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LINZ/ Alter Dom/ Ingnatiuskirche: DER FINDLING – Musiktheater in zwölf Kapiteln von Hermann Schneider, Musik von Franz Hummel und Susan Oswell. Uraufführung

08.06.2024 | Oper in Österreich

Linz: „DER FINDLING“ – Uraufführung im Alten Dom/Ignatiuskirche von Linz, 07. 06.2024

Musiktheater in zwölf Kapiteln von Hermann Schneider, Musik von Franz Hummel und Susan Oswell

Auftragswerk des Landestheaters Linz zum Anton Bruckner-Jahr 2024; in Kooperation mit der Katholischen Kirche Oberösterreich

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Jazzauftakt: vor dem Alten Dom spielte beim Einlaß ein Jazzensemble passend zum Wetter „On the Sunny Side of the Street“ (erinnert sich noch jemand an Walter Richard Langers „Vokal, Instrumental, International“?). Der Herr am Akkordeon ist nicht Anton Bruckner 😉, sondern Bernhard Walchshofer – bis zu seiner Pensionierung Solocellist des Brucknerorchesters, aber damals wie heute auch auf vielen anderen Instrumenten und in vielen Musikgenres sattelfest. Foto: Petra und Helmut Huber

Am 8. Dezember 1855 hatte Anton Bruckner, noch als provisorischer Domorganist, seinen ersten Dienst in der damaligen Linzer Hauptkirche. Definitvgestellt wurde er in dieser Position im darauffolgenden Jänner. Auch als er längst nach Wien übersiedelt war und als gefeierter Orgelimprovisator durch Europa reiste, kehrte er immer wieder an diesen Ort und „seine“ Orgel zurück. Umso lieber, als das aus den 1780er-Jahren stammende Instrument nach seinen Vorstellungen umgebaut worden war und in dieser Fassung bis heute spielt.

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Die Brucknerorgel. Foto: Petra und Helmut Huber

Grund genug, im Bruckner-Jahr ein neues, dem Ansfeldner Meister gewidmetes Werk an dieser Stelle aufzuführen: Aber nicht eine einfache Biographie… „Vielmehr ist dieses Werk eine vielschichtige musiktheatrale Spurensuche zum Thema Bruckner, die der speziellen klanglichen und ideellen Aura, die die Werke dieses Komponisten auszeichnet, auf den Grund gehen möchte.“, so die Werksbeschreibung im Landestheater-Programm. Von einer „Art Brückenschlag zur tiefsten Herzkammer von Bruckner“ spricht Dirigent Markus Poschner.

Beauftragt wurde mit der musikalischen Arbeit der 1939 im Altmühltal geborene Komponist Franz Hummel, der schon als Wunderkind im Volksschulalter die Aufmerksamkeit von Richard Strauss erregt hatte. Leider verstarb Hummel, bevor er den „Findling“ vollenden konnte, im August 2022. Seine Witwe Susan Oswell, die auf solide musiktheatralische Erfahrung, auch als Komponistin, zurückblicken kann, hat das Werk vollendet und zur Aufführungsreife gebracht.

In diesem über viele Jahre seiner Existenz als Jesuitenkirche fungierenden Dom ist die theatralische Tradition der Jesuiten mitzudenken, mit der sie in der Gegenreformationszeit ihren Einfluß ausübten. Übrigens mit einer frühen Version des Mitlauftextes: zu den lateinisch verfaßten szenischen Oratorien oder Kirchenopern gab es fürs Volk Textheftchen zum Mitlesen auf Deutsch…

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Martin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Tatsächlich lag ein solches mit dem Libretto des Landestheater-Intendanten auch an jedem der knapp 200 Zuschauerplätze in den Sitzbänken der prachtvollen, einschiffigen Barockkirche, gegen die die Sessel im Bayreuther Festspielhaus freilich urgemütlich-fläztaugliche Clubfauteuils sind. Naja, knapp zwei Stunden sind da gerade noch durchzustehen bzw. -sitzen. Allerdings war aufgrund der Lichtverhältnisse nicht daran zu denken, während der Aufführung mitzulesen. Textprojektion gab es nur bei manchen Chorstellen – die aber stammen meist aus der Bibel, tragen wenig zum Verständnis des vordergründigen Bühnengeschehens bei. Der Text ist zwar auf Deutsch, aber trotz des kleinen Auditoriums und meist intimer Nähe der Bühnenpersonen zum Publikum kommt die an sich sehr deutliche Diktion der Sängerinnen und Sänger nicht durch – 8 Sekunden Nachhall sind da eine (allzu) große Hürde.

Das 45köpfig auf der Orgelempore angetretene Bruckner Orchester hat mit diesen Umständen allerdings kein Problem: unter Markus Poschner musizieren die Damen und Herren ebenso glasklar, wie man es aus Musiktheater und Brucknerhaus gewohnt ist. Was natürlich auch dafür spricht, daß es Herr Poschner versteht, auf diese spezielle Akustik einzugehen. Auf der Bruckner-Orgel spielt Bernhard Prammer, seit 2007 an diesem geschichtsreichen Instrument beruflich zu Hause, nicht nur Fertigkomponiertes, sondern er improvisiert auch.

Auf Seitenemporen singen Chor und Extrachor samt Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz, einstudiert (und auch in perfekter Abstimmung mit dem Hauptdirigenten relaismäßig dirigiert) von Elena Pierini und David Alexander Barnard. Diese Chöre klingen wirklich himmlisch, luftig, transzendierend – eigentlich punktgenau dem historischen jesuitischen Vorbild, aber auch dem mystischen Charakter des aktuellen Werkes entsprechend.

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Bruckner und Matin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Die Inszenierung von Lukas Hemleb muß, verglichen mit den im erwähnten Heftchen nachzulesenden Regieanweisungen, mit wenig bühnentechnischen Hilfen auskommen; nichtsdestoweniger hat Margherita Palli in den Kirchenraum eine überraschend vielseitig nutzbare, nur auf den ersten Blick einfache, Bühneneinrichtung eingebaut, sogar mit einer Versenkung. Außerdem spielen sich einige Auf- und Abtritte über einen langen, über dem Mittelgang der Kirche errichteten, Laufsteg ab, wie wir ihn von z. B. der Bühne der Rolling Stones kennen. Sogar maschinelle Unterstützung einer autonom rollenden Plattform (als Nachen bei einer Flußüberquerung) ist vorhanden. Warum aber der titelgebende dunkel glitzernde Findling hinter einem Metallgerüst versteckt bleibt, das genau 2x kurz von einer einzigen Person (szenisch nicht rasend gut motiviert) bestiegen wird, erschließt sich uns nicht. Das Gesamtbild, sei es die Ausdruckskraft der Sängerinnen und Sänger, deren Zusammenwirken mit dem Bewegungsensemble und den Videoprojektionen, ist jedenfalls vordergründig zur Musik stimmig – auch wenn viele Szenarien wie ein Flußufer, Voralpenlandschaft mit Bach und Steg, oder ein unterirdischer Kristallpalast fehlen.

Die Kostüme von Sasha Nikolaeva sehen für die Hauptrollen eine Kleidung vor, wie sie Bruckner um 1870 herum trug, etwa auf einem Foto von Eduard Pfeiffer: schwarzer Anzug mit Weste, weißes Hemd mit Kläppchenkragen, schwarze Schleife, drüber ein langer dunkelblaugrauer Mantel. Was nahelegt, daß diese Figuren verschiedene Seiten der Persönlichkeit des Komponisten repräsentieren. Austoben kann sich die Kostümabteilung hingegen bei der Tanzgruppe, die in vielen Verkleidungen auftritt, vom schwarzen Ganzkörpertrikot für einen Sternentanz oder ein Meeresgetierballett bis hin zu sehr konkretem nahöstlichen Landvolk. Besonders fantasiereich und nicht ohne Humor gestaltet ist ein vogelartiger Bote (aus dem Jenseits?), der meist von Pavel Povrazník dargestellt wird, im achten Abschnitt vom Sänger des “T”.

Abgestimmt mit dem barocken Kirchinterieur sind die teils wirklich überwältigenden Videoeffekte von Luca Scarzella – Feuer, Wasser, wild bewegter Sternenhimmel… Wohl nicht beabsichtigt: als bei einer Orgelimprovisation der Dirigent innehält und nur versunken lauscht, wird auf eine Vignette hoch oben am Altar ein feuriger Ring projiziert. In den Dirigatmonitoren erscheint dadurch ein flackernder Heiligenschein für Herrn Poschner.

Immer wieder bietet auch die Choreografie von Yuko Harada aufregende Bilder; umgesetzt werden diese mit akrobatischem Geschick von TANZ LINZ: Elena Sofia Bisci, Matteo Cogliandro, Mischa Hall, Katharina Illnar, Pavel Povrazník, Lorenzo Ruta, Nicole Stroh, Hinako Taira, Pedro Tayette und Fleur Wijsman.

Die Musik beginnt mit einem intensiven cluster, gefolgt von mikrotonalem Gewebe. Der Großteil der Komposition dürfte der Zwölftontechnik folgen. Darin aber finden sich immer wieder Bruckner-Zitate – besonders bewegend gleich nach der Einleitung der Beginn des zweiten Satzes aus der 7. Symphonie. Mitunter werden die Bruckner-Zitate durch Einsprengsel zerschnitten oder angeknabbert, mitunter durch einen heftigen Schlag beendet, mitunter gehen sie quasi unmerklich in der Komposition auf. Besonders interessant (auch durch die tänzerische Umsetzung) im 11. Abschnitt eine komplexe und temporeiche Fuge aus kleinteiligen Bruckner-Motiven, die immer wieder zwölftönerisch aufgelöst werden. Der sängerische Anspruch an die Solorollen ist sehr hoch. Jedenfalls: auch wenn es nicht möglich ist, sich ohne wirklich verständlichen Text ein Gesamtbild zu machen (dauernd mittels Smartfon-Lampe im Libretto mitzulesen ist auch keine realistische Option!!), ist dieses neue Werk musikalisch farben- wie spannungsreich.

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Martin Achrainer und Tanzensemble. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

X (also der eigentliche Bruckner): Martin Achrainer; er spielt alle seine darstellerischen und körperlichen Fähigkeiten aus, welch letztere weit ins Metier des Tanzensembles hineinreichen. Dazu füllt er den Kirchenraum mit seiner modulationreichen, wunderbar angesetzten Baritonstimme bis in den letzten Winkel.

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Manuela Leonhartsberger, Dominik Nekel, Matthäus Schmidlechner, Gotho Griesmeier. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater

Gotho Griesmeier singt und spielt S (wie Sopran), auch Erster Geselle, ein Knabe, mit Verve und Präzision; auch sie ist eine engagierte Schauspielerin. A(lt), auch Zweiter Geselle, wird von Manuela Leonhartsberger dazu ebenbürtig verkörpert.

T(enor), auch Der Zwerg, ist für den exzellenten Charaktertenor Matthäus Schmidlechner mit seiner extremen Höhenfähigkeit bis weit in den counter-Bereich ein toller Abschluß für sein langjähriges Engagement in Linz. Dominik Nekels vorzüglich fundierter und technisch erstklassig geführter “B” = Baß rundet das solistische Ensemble ab.

Begeisterter Applaus, Jubel, 8 Minuten lang, ein einsames Buh.

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Manuela Leonhartsberger, Gotho Griesmeier. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

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Schlussapplaus mit Susan Oswell und Hermann Schneider. Foto: Petra und Helmut Huber

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Petra und Helmut Huber

 

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