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LIÈGE/ Opera Royal de Wallonie: „LA SONNAMBULA“ – ein Opernabend der Superlative

28.01.2023 | Oper international

Liège/Opera Royal de Wallonie: „LA SONNAMBULA“ – EIN OPERNABEND DER SUPERLATIVE – 26.1.2023

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© J. Berger-ORW-Liège

Die Opera Royal de Wallonie ist schon seit einiger Zeit ein Ort, von dem in Opernkreisen positiv bekannt ist, dass hier eine zielgerichtete und tolerante Auseinandersetzung mit der hehren Kunstgattung Oper stattfindet, wo Regie und musikalische Umsetzung gleichwertig und jeweils auf Augenhöhen-Nveau stattfinden. Es werden Sänger mit wichtiger internationaler Strahlkraft engagiert und Ihnen das Recht zu singen nicht verwehrt. Die Repertoireauswahl in Lüttich ist stark italienisch geprägt, verstärkt mit französisischen Werken und liest sich für einen Deutschen sehr spannend. Allein in dieser Spielzeit werden zwei Verdi-Opern gespielt, welche auf unseren Bühnen quasi nicht präsent sind und zwar Verdis – so sagt man – schlechtestes Werk „Alzira“ und die „Lombardi“.

Aktuell gab es in Lüttich aber Bellinis „La Sonnambula“, und der positive Ruf Lüttichs wurde einmal mehr bestätigt, was sowohl die Regie, die Musik im allgemeinen und speziell den Gesang anbelangt. Letzteres ist kein Wunder, denn wer Jessica Pratt für Belcanto bekommt, denkt und handelt durchaus richtig. Die australische Sängerin ist in Deutschland nur Belcanto-Fans bekannt. In Österreich kam sie noch gar nicht zum Zuge, aber in Italien, Westeuropa und den USA sowie in ihrer australischen Heimat weiß man, wer das ist. Sie war in der Titelrolle besetzt und sang famos. Die Stimme mag durchaus Geschmackssache sein, aber wie sie phrasiert, eben koloriert (im eigentlichen Sinn des Wortes), gestaltet und stilistisch meisterhaft singt, macht schon eine besondere Sängerin aus. Kleine Vibrati in der oberen Bruchlage, weiß sie schnell zu korrigieren, indem sie sich immer in ein kultiviertes piano rettet.

Aber auf noch höherem, quasi sagenhaft gutem, Niveau sang an dem besuchtem Abend der amerikanische Tenor René Barbera den Elvino. Barbera ist ein lirico leggero, gesegnet mit einer schmelzbehafteten schönen Stimme (was für diese Tenorgattung eher selten zutrifft), welcher Duca und Alfredo gelegentlich schon singt, aber vorrangig die Belcanto-Herren a la Ernesto pflegt. Das Barbera kein reiner Schönsänger ist, konnte man nicht nur an seinem in dieser Inszenierung gemässigten darstellerischen Möglichkeiten bewerten, sondern durch seine stimmlich und gesangliche Gesaltung sowie durch eine feine gestige Interaktion.

Der Kroate Marco Mimica, einst beliebtes Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin, sang einen formidablen Conte Rodolfo mit seinem bombastischen Bass und bewies, dass man mit großem Material auch sehr schön singen kann.

Maria Monzó als Lisa besitzt eine sehr interessante und wohltimbrierte Stimme und sollte mit mehr Ruhe auf dem Körper singen, denn ihre, vor allem im oberen Register vibratoreiche Stimme könnte so besser klingen. Ihre Rolle legte sie eher als verzweifeltes Landmädchen an, was nicht unbedingt sehr böse sein muss, sondern eher etwas unglücklich verliebt, was ziemlich sympathisch wirkte.

Julie Bailly war mit Aminas Mutter irgendwie sängerisch total überfordert und Ugo Rabec war ein quirliger und stimmlich angenehmer Alessio.

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© J. Berger-ORW-Liège

Der neue musikalische Chef der Opera Royal de Wallonie, Giampaolo Bisanti, welchen ich von seinen mäßigen Dirigaten an der Semperoper und in der Wiener Staatsoper in Erinnerung habe, hatte hier bei seinem Orchester die Zügel sehr gut in der Hand, trug die Sänger mustergültig durch den Abend und war mit angemessener Leidenschaft bei der Sache.

Der Chor des Hauses sang auf den Punkt genau und hatte im Grunde eine sehr leichte Aufgabe, denn dieser war zum Dasitzen verdammt und konnte sich seiner Aufgabe mit direktem Blick zum Dirigenten bravourös entledigen.

Die Regie oder besser die Show stammte von Jaco van Dormael. Der belgische Filmregisseur mit dem Schwerpunkt des Imaginären schuf eine Performance der Superlative. Die bisherigen Arbeiten von Dormael bezogen sich bislang auf die Sichtweisen von Behinderten und Außenseitern. Die Filmfestspiele in Venedig und Cannes wussten diesen Filmemacher oft zu schätzen und auszuzeichnen. Aber mehr und mehr zog es Jaco van Dormael in den letzten Jahren zum Theater und jetzt eben zur Oper. Irgendwie passt da die handlungsnaive „Sonnambula“ in dieses Schema.

Was hat er gemacht bzw. auf die Bühne gebracht: Die Sänger agieren ausschließlich an der Rampe und das mehr oder weniger semiszenisch. Der Chor sitzt neutral kostümiert links und rechts auf einer zusätzlichen Bühne, welche als Tanzparkett, Projektionsfläche und Trampolin dient. Neun Tänzer tanzen, springen, liegen, acten, performen, laufen, breakdancen und spielen auf eine Weise die Handlung nach, dass ich aus dem Staunen nicht herausgekommen bin. Dies wird mit einer 90-Grad-Spiegelung an eine Wand am Bühnenende projiziert und für den Zuschauer visuell anschaulich gemacht. Alles passt zum Text, zur Musik und ist vom Timing exzellent getaktet. Diese wunderbare Choreografie schuf Michele Ann de Mey.

Das heißt aber nicht, dass die Sänger zu Vocalstatisten verdammt wurden. Nein, sie agieren und interagieren mit den Tänzern und eine Verschmelzung, ja vortreffliche Symbiose entsteht. Sicherlich gab es solche Ansätze schon früher, aber ich persönlich habe derart Perfektes noch nie gesehen. Romeo Castelucci und La Fura dels Baus sind ähnliche Künstler in dieser Art, nur interessiert sie das Stück und dessen Handlung zumindest oft nicht ansatzweise. Die Spiel- und Projektionsfläche schuf Vincent Lemaire und die pauschal neutralen Kostüme Fernand Ruiz, welcher bei dem nahezu scheußlichen Kostüm des Conte Rodolfo allerdings völlig daneben lag.

Bleibt zu hoffen, dass man östlicher von Belgien zukünftige Arbeiten von Jaco van Dormael auch einmal erleben kann.

Ein erhebender und sehr inspirierender Opernabend in Liegé.

Rico Förster

 

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