Francesca Cilea: Adriana Lecouvreur • Opéra Royal de Wallonie-Liège • Premiere: 11.04.2023
Ein grosser Theaterabend
Zum Abschluss der Osterfeiertage hat Cileas «Adriana Lecouvreur» in der Königlichen Oper zu Liège Premiere. Die rundum gelungene Produktion wird vom Publikum begeistert und heftig akklamiert.
Foto © ORW-Liège/J. Berger
Regisseur Arnaud Bernard (Mise en scène) zollt mit seiner Inszenierung den grossen französischen Schauspielerinnen wie Adriana Lecouvreur, Élisabeth Rachel Felix, die das Drama über Adrienne Lecouvreux bei Eugène Scribe und Ernest Legouvé in Auftrag gab, und Sarah Bernhardt, die im Scribschen Drama rauschende Erfolge feierte, im Besonderen und «der Theaterfamilie» im Allgemeinen Tribut. Da liegt das Theater auf dem Theater natürlich nahe und so erinnert die Inszenierung, wenn sie das Verschwimmen von Realität und Fiktion, Leben und Theater bei den Schauspielerinnen ins Auge fasst, an Robert Carsens Tosca-Inszenierung aus den 1990ern und die Adriana Lecouvreur an Floria Tosca. Es bleibt aber bei der Erinnerung, Bernard hat seinen eigenen, stimmigen Zugang. Das in seinem Detailreichtum beeindruckende Bühnenbild (Décors: Arnaud Bernard, Virgile Koering) zeigt nicht die Hinterbühne mit allen Beteiligten der Aufführung von Racines «Bajazet», die gerade beginnt, sondern auch die Kulissen und den Bühnenhimmel mit dem Schnürboden und der ganzen Technik, die dazu gehört. Prominenten Raum nimmt eine im Schmuck des Zuschauerraums gehaltene Treppe ein, die direkt von den Logen (im Parkett stand damals die Dienerschaft und das einfache Volk) auf die Hinterbühne führt. Sie steht für das Drama, denn über sie kommt die Aussenwelt wie die Fürstin von Bouillon oder Moritz von Sachsen, die Adriana letztlich die Vernichtung bringen, auf die Bühne, und sie erinnert daran, dass die grosse Mehrheit der Schauspielerinnen (an der Oper auch Sängerinnen und Tänzerinnen) ihren Unterhalt nicht allein mit der Schauspielerei bestreiten konnten. In diesem Rahmen wendet Bernard die drei klassischen Einheiten (der Aktion, der Zeit und des Ortes), die der klassischen Tragödie am Herzen lagen, an. So spielen der zweite und vierte Akt immer noch an, im Vergleich zu den anderen Akten, private Orte. Diese sind aber nur noch Kulissen (die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist ja aufgehoben). Wenn Adriana im vierten Akt ihren finalen Auftritt beginnt, sie bewegt sich hin zum Portal der Bühne auf der Bühne, werden die Kulissen nach oben weggezogen, bleiben aber gut sichtbar hängen. Wenn es Adriana wie eine Motte zum Licht zu ihrem letzten Auftritt zieht, hängen die Kulissen, nicht ganz ruhig, über ihr. Die farbenfrohen, höchst ästhetischen und stimmigen Kostüme von Carla Ricotti und die Beleuchtung von Patrick Méëus tragen ganz wesentlich zum positiven Eindruck des Abend bei. Die Chorégraphie des Balletts besorgt Gianni Santucci.
Das Orchestre Opéra Royal de Wallonie-Liège unter musikalischer Leitung von Christopher Franklin gestaltet die Partitur auf höchstem Niveau. Es gelingt dem Orchester hervorragend, den satten Klang des Verismo und das Sentiment der französischen Musik zu kombinieren. Denis Segond (Chef des Choeurs) hat dieChoeurs Opéra Royal de Wallonie-Liège bestens vorbereitet.
Foto © ORW-Liège/J. Berger
Nur zwei Monate nach ihrem fulminanten Debut als Elisabetta I. in Donizettis «Roberto Devereux» am Opernhaus debütiert Elena Moşuc nun sensationell als Adriana Lecouvreur. Und das fern der Heimat. Den Fachwechsel vom Belcanto zum Verismo bewältigt sie mit Bravour, die Partie kommt genau im richtigen Moment. Die Stimme sitzt und trägt perfekt, ob beim Sprechen oder beim Gesang. Die Opernliteratur bietet ja verschiedene «Brief-Szenen», so in «Eugen Onegin» oder «La Traviata», aber wann hat man einen Monolog von einer Sängerin so intensiv und mit so grosser Textverständlichkeit vorgetragen gehört? Mit wunderbar voller Stimme und überragender Bühnenpräsenz wird diese Adriana zur bewegenden Charakterstudie. Luciano Ganci als Maurizio ist ihr ein ebenbürtiger Partner und gibt den Maurizio mit strahlendem Metall und guten Höhen. Ein ganz klein wenig weniger wäre hier aber wesentlich mehr, den verschiedentlich geht das Temperament mit ihm durch und die Stimme droht flach zu werden. Mario Cassi gibt mit grosser Bühnepräsenz und bestens geführtem Charakter-Bariton einen sorgenden Michonnet. Noch nicht ganz im klassischen Alter für Vaterrollen scheint ihm diese Partie auf den Leib geschrieben. Anna Maria Chiuri als La principessa di Bouillon und Mattia Denti als Il principe di Bouillon bleibenim Vergleich mit den übrigen Solisten eher blass. Pierre Derhet als L’abate di Chazeuil neigt zum Outrieren und legtdie Rolle etwas gar vulgäran. Luca Dall’Amico als Quinault, Alexander Marev als Poisson, Hanne Roos als Madamigella Jouvenot und Lotte Verstaen als Madamigella Dangeville ergänzen das Ensemble.
Ein grosser Theaterabend!
Weitere Aufführungen:
FR 14. April 2023, 20.00 (Adrianna Lecouvreur: Elena Moşuc);
SO 16. April 2023, 15.00 (Adrianna Lecouvreur: Elena Moşuc);
DI 18. April 2023, 20.00 (Adrianna Lecouvreur: Elena Moşuc);
DO 20. April 2023, 20.00 (Adrianna Lecouvreur: Carolina López Moreno);
SA 22. April 2023, 20.00 (Adrianna Lecouvreur: Carolina López Moreno).
11.04.2023, Jan Krobot/Zürich