Peter Autengruber / Ursula Schwarz
LEXIKON DER WIENER GEMEINDEBAUTEN
Namen – Denkmäler – Sehenswürdigkeiten
320 Seiten, Pichler Verlag
Die Kirchen, die Palais, die Repräsentationsbauten, ja und auch die Kaffeehäuser oder Beiseln von Wien – wie oft sind sie schon zwischen Buchdeckeln gelandet. Die Wiener Gemeindebauten bieten da eine aus vielen Gründen willkommene Abwechslung. Erstens wird wieder einmal der „Geschichte von unten“ die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, und zweitens entdeckt man erstaunt, wie viele dieser Gemeindebauten es gibt und was man alles darüber nicht weiß. Das ist ein Stück Sozialgeschichte, von Bau- und Kulturgeschichte einmal ganz abgesehen.
Wien hat 347 (!) Gemeindebauten, 90 Prozent davon sind nach Menschen benannt – manche erst jüngst, etwa nach dem verstorbenen „Mundl“-Erfinder Ernst Hinterberger, den man nicht in Kaisermühlen verewigt hat, sondern am Margaretengürtel, wo er sein Leben lang gewohnt hat – auch als er sich von seinem Mundl / Kaisermühlen / Trautmann-Fernsehhonoraren vermutlich eine Luxusvilla hätte leisten können… (Übrigens bekamen auch Rosa Albach-Retty, Oskar Werner, Maxi Böhm, Helmut Qualtinger oder Leon Askin „ihren“ Hof.)
Es war das „Rote Wien“ nach dem Ersten Weltkrieg, das Gemeindebauten errichten ließ, um zumindest einen Teil der Bevölkerung aus den Miets- und Zinshäusern zu erlösen, in denen man schlecht und teuer hauste. Man hat das Wohnungselend damit einigermaßen bekämpft, und auch in der Zweiten Republik baute man zügig weiter. Was im Austrofaschismus und im Dritten Reich umbenannt wurde, hat man begreiflicherweise schnell rückbenannt…
Das Buch bietet nun alphabetisch (nach Vornamen, der Karl-Marx-Hof rangiert bei „K“) einen Spaziergang durch die reiche Gemeindebauten-Landschaft Wiens. Man erfährt Adresse, Bauzeit, Architekten, Anzahl der Wohnungen und einiges über die Geschichte, von Fotos ganz zu schweigen. Diese zeigen übrigens, dass der Bauwille in der Zwischenkriegszeit bedeutend war und man sich nicht, wie nach dem Zweiten Weltkrieg, damit begnügt hat, seelenlose Betonklötze hinzustellen: Da ist in Form und Außendekoration oft vieles geleistet worden. Auch sind Gemeindehöfe Lieblingsplätze der Lokalpolitiker, wenn es darum geht, moderne Plastiken unterzubringen.
Wobei besagter Karl-Marx-Hof von seinem Ruf her und von der eigenwilligen Architektur (Karl Ehn, erbaut 1922-1933) mit 1272 Wohnungen nicht der größte ist, wie man meinen sollte. Da stößt man beim Blättern und Lesen schon auf Größeres, nämlich die Großfeldsiedlung mit ihren 5533 Wohnungen. Immerhin noch stattlich ist der nach George Washington benannte Gemeindebau auf Triester / Wienerbergstraße (1028 Wohnungen), die Per-Albin-Hansson Siedlung mit 1097 (nach dem Zweiten Weltkrieg mit schwedischer Hilfe erbaut), der Rabenhof (1112 Wohnungen) oder der Hugo-Breitner-Hof auf der Linzerstraße mit 1278 Wohnungen. Andere Höfe sind mit einem Dutzend Wohnungen klein.
Berühmte Namen der österreichischen Geschichte tauchen auf, natürlich vordringlich jene mit der Sozialdemokratie verbundenen wie etwa Adelheid Popp oder Bertha von Suttner, aber man hat auch dem entführten und ermordeten italienischen Politiker Aldo Moro einen Hof namensgewidmet. Natürlich sind Österreichs „rote“ Politiker dominierend vertreten, so man findet Bruno Kreisky in Hernals.
Am Ende des Buches, das nicht nur blätternswert, sondern immer wieder auch lesenswert ist, gibt es zwar eine Liste, welche Höfe in welchen Bezirken zu finden sind sowie eine der Architekten, aber man vermisst dann doch zwei Register: Jenes, das die Gemeindebauten nach der Chronologie ihrer Entstehung und jenes, das sie nach der Größe auflistet. Auch hätte man bei vielen neu benannten Höfen gerne die Namen davor gekannt. Aber kleine Einwände angesichts einer bemerkenswerten Arbeitsleistung.
Renate Wagner