Leonard Bernstein: SYMPHONIEN Nr. 1 „Jeremiah“ und Nr. 2 „The Age of Anxiety“
Baltimore Symphony Orchestra; Marin Alsop NAXOS America Classics CD
Es ist DAS Album der vielleicht besten Dirigentin in den USA geworden. Nach der Kaddish Symphonie die zweite Auseinandersetzung von Marin Alsop mit dem symphonischen Schaffen Leonard Bernsteins. Alsop, seit 2007 mit der musikalischen Leitung des renommierten Baltimore Symphony Orchestra betraut (ihr Vertrag läuft bis 2021!), hat echte Pionierarbeit geleistet. Die Präzision und breite Ausdrucksspanne, die Klarheit und Durchsichtigkeit des Klangs, die Macht der Tutti und die immer rein der Musik geschuldete Dramatik und Intensität, das Drängende und Packende der symphonischen Welt Bernsteins, das Leuchten und Lodern im Glauben an die Kraft der Musik, machen diese CD zu einem tiefen Erlebnis.
Assistiert von Jennifer Johnson Cano, einem klang- und charaktervollen Mezzo, im dritten Satz der ersten Symphonie Bernsteins, den Lamentations of Jeremiah, sowie dem französischen Pianisten Jean Yves Thibaudet in der zweiten Symphonie, ersteht die gesamte Klangwelt Bernsteins, wie neu und nie gehört. Und es zeigt sich, nicht die West Side Story oder andere populäre Bühnenwerke, nein, die Symphonie war das ureigenste Ausdrucksmittel dieses genialen Dirigenten, Musikpädagogen, Showmasters mit dem Stab und ganz in der abendländischen Musiktradition verhafteten Tausendsassas. Heute sind diese in den 40-er Jahren entstandenen Kompositionen aktueller denn je, die zweite Symphonie hat Bernstein 1965 noch einmal revidiert. Die Klagen des Jeremias rund um das zerstörte Jerusalem wecken massive Assoziationen ausgelöst von Fernsehbildern von ausgebombten Städten im Mittleren Osten.
Die zweite Symphonie besteht aus einem Prolog, den zwei mal sieben Variationen „The Seven Ages“ und „The Seven Stages“ sowie den abschließenden drei Sätzen des Teils 2 „The Dirge“, „The Masque“ und „The Epilogue“, aufbauend auf W. H. Audens 80-seitigem Poem „The Age of Anxiety“. Und wieder verblüfft, wie Maestra Alsop diese Reihe an rein instrumentaler, den Konversationen dreier Männer mit einer Frau, die sich in einer New Yorker Bar abspielen, nachempfundenen Musik in spannende Klangrede wandelt. Eine Oper ohne Worte ist diese Koussevitzky gewidmete Symphonie geworden. Stilistisch ist dieses Meisterwerk eine Symbiose aus Reminiszenzen aus der Alten Welt (Britten, Shostakovich, Schoenberg lassen grüßen) vermischt mit Anleihen aus der Jazzmusik, im Charakter insgesamt Filmmusik nicht unähnlich. Die neue Aufnahme zeigt auch hier Referenzcharakter, besser hat das auch Bernstein selber nicht dirigiert.
Dr. Ingobert Waltenberger