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LEIPZIG/WAGNER 22: Zwischenbericht zur Halbzeit des Leipziger Wagner-Festivals 7. Juli 2022

07.07.2022 | Oper international

LEIPZIG/WAGNER 22: Zwischenbericht zur Halbzeit des Leipziger Wagner-Festivals 7. Juli 2022

 Im Prinzip ein gutes Resümee

 Heute beginnt bei den Leipziger FESTTAGEN WAGNER 22 „Der Ring des Nibelungen“, dem am 14. Juli noch der „Parsifal“ folgen wird. Und so wie Wagner unter die Partitur der „Götterdämmerung“ schrieb „Ich sage nichts weiter“, wird Intendant und GMD Ulf Schirmer, der dieses ganze Festival mit allen 13 Opern und Musikdramen Wagners zu seinem Abschied von der Oper Leipzig konzipiert hat, den Taktstock niederlegen und ebenfalls nichts weiter sagen. Denn dann wird er bis zum 1. Januar 2024 in ein Sabbatical ohne Oper und Konzert gehen, mit seiner Frau reisen, wandern, Neues entdecken, schon im Sommer völlig entschleunigen.

Unterdessen läuft WAGNER 22 nun auf Hochtouren, mit Schirmer seit dem „Fliegenden Holländer“ bei jeder Aufführung bis auf den „Lohengrin“ am Pult des Gewandhausorchesters. Und so ist es vielleicht Zeit für einen Zwischenbericht, zumal über die Hälfte nun gelaufen ist.

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„Die Feen“. Sandra Maxheimer, Anastasia Zöhrer. Foto: Kirsten Nijhof

Man begann völlig schuldlos etwas unglücklich mit dem Erstlingswerk „Die Feen“, da krankheitsbedingt gleich der Dirigent und die beiden Hauptrollen ersetzt werden mussten. Das gelang beim Einspringen von Matthias Foremny für Christoph Gedschold, der ab der Saison 2022/23 erst mal für zwei Jahre neuer GMD in Leipzig werden wird, und bei der Einspringerin für die Rolle der Ada noch einigermaßen gut, wurde aber ein Fehlgriff bei der Alternativbesestzung des Tenors Arindal. Auch wirkt die Inszenierung von Renaud Doucet mit André Barbe für Bühnenbild und Kostüme aus dem Jahr 2013 schon etwas verstaubt und antiquiert sowie arg vernachlässigt in Bezug auf die Personenregie.

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„Das Liebesverbot“: Magdalena Hinterdobler. Foto: Kirsten Nijhof

Mit dem „Liebesverbot“ in der auch heute noch frisch wirkenden Inszenierung von Aron Stiehl, ebenfalls aus dem Juliläumsjahr 2013, war eine deutliche Steigerung zu erkennen, insbesondere mit dem ebenso geschmackvollen wie dramaturgisch stimmigen Bühnenbild von Jürgen Kirner und den Kostümen von Sven Bindseil. Hinzu kam eine äußerst überzeugende Personenregie und gute Choreografie, was den stets von Thomas Eitler-de-Lint einstudierten erstklassigen Chor und oft auch Zusatzchor der Oper Leipzig angeht. Mit Manuela Uhl und Tuomas Pursio waren hier auch die Hauptrollen darstellerisch wie stimmlich sehr gut besetzt.

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„Rienzi“. Stefan Vinke. Foto: Andreas Birkigt

Mit dem schon aus dem Jahre 2007 stammenden „Rienzi“ wurde am 23. Juni die Serie der Frühwerke abgeschlossen. In seiner Inszenierung stellt Nicholas Joël in einem in dunklen Grautönen gehaltenen und damit konfliktbetonten Bühnenbild von Andreas Reinhardt total auf die Bestrebungen Rienzis ab, die Ewige Stadt Rom gegen die Machtinteressen und -kämpfe der Colonna zu einen. So bringt Joël die Figur des Tribunen immer wieder in dominante Positionen, was durch Stefan Vinke mit seinem kraftvollen und baritonal unterlegten Heldentenor nahezu ideal umgesetzt wurde. Auch Miriam Clark als Irene und Kathrin Göring als Adriano boten eindrucksvolle darstellerische wie vokale Leistungen. Nachdem Matthias Foremny Christoph Gedschold auch noch im „Liebesverbot“ ersetzt hatte, stand er bei „Rienzi“ planmäßig am Pult des Gewandhausorchesters und ließ der Lautstärke bisweilen zu freien Lauf, auch wenn es mit dem Geschehen auf der Bühne bis zu einem gewissen Grad harmonierte.

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„Der fliegende Holländer“. Foto: Tom Schulze

Mit dem „Fliegenden Holländer“ begann am 25. Juni der Bayreuther Kanon der zehn von Wagner selbst für die Festspiele ausgewählten Werke, und zwar in einer teilweise grandiosen und auf interessante Weise auf die von Heinrich Heine beschriebenen „Memoiren des Herrn Schnabelewopski“ abstellenden Inszenierung des niederländischen Regisseurs Michiel Dijkema mit entsprechendem Bühnenbild aus dem Jahre 2019. Er zitiert aus diesen Memoiren in einer klar erkennbaren Seemanns-Ästhetik und lässt somit dem Zuschauer wesentliche Elemente des Geschehens aus der Stoffquelle mitlesen, bisweilen in skurriler Form. Absoluter Knalleffekt ist in der Chorszene zwischen Norwegern und Holländern im 3. Akt das aus der Bühnentiefe bis über fast ein Drittel des Parketts hervordringende dreimastige Holländer-Schiff mit den legendären blutroten Segeln. Elisabet Strid lieferte eine bilderbucharttige Interpretation der Senta, wobei der Nuancenreichtum ihres Soprans und ihr authentisch wirkendes Spiel keine Wünsche offen ließen. Thomas J. Mayer war ein Respekt einflößender Holländer mit kraftvollem Bariton in einem wohl tatsächlich 300 Jahre alten Gewand, in dem er am Ende zu Staub zusammensackte… Ulf Schirmer dirigierte mit viel Liebe zum Detail bei flüssigen Tempi. Nun stimmte auch im Gewandhausorchester alles.

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Tannhäuser: Andreas Schager. Foto: Ida Zenna

Mit dem „Tannhäuser“ ging es am 26. Juni unter der musikalisch wieder eindrucksvollen Leitung von Ulf Schirmer weiter. Allerdings musste die Inszenierung des Katalanen Calixto Bieito von 2018 im Bühnenbild von Rebecca Ringst und mit den Kostümen von Ingo Krügler, die von einer anderen Opernkompagnie geholt wurde, enttäuschen. Ein Venusberg mit einem Boden aus schwarzen Plastikmüllsäcken, die man morgens vor den Delis auf den Straßen New Yorks sehen kann, und einer nahezu zwanghaft wirkenden Verdrängung jeglicher Erotik aus dieser Szene, die nur von Venus im schwarzen Petticoat gemanagt wird, ist doch zu wenig für das Auge und entspricht auch nicht der dazu erklingenden sinnlichen Musik. Es ging weiter mit einem bühenhohen weißen Gestell mit Balken auch über den Boden, über die die arme Elisabeth bei ihrer Arie wie beim Seiltanzen steigen musste, wie auch alle anderen Protagonisten und der Chor, der am Schluss robben durfte. Die Dramaturgie und entsprechende Personenregie waren zeitweise abstrus. Auch als Elisabeth lieferte Elisabet Strid eine erstklassige Leistung, stimmlich ohnehin, aber auch durch ihr unglaublich facettenreiches und einnehmendes Spiel, eigentlich Weltklasse! Kathrin Göring brillierte vor allem vokal als Venus. Darstellerisch wurde ihr kaum die Chance dazu geboten. Andreas Schager war Tannhäuser und meinte es immer wieder zu gut mit der Lautstärke seines Vortrags, wenn er auch das hier vorgegebene Rollenkonzept wie immer mit seiner großen schauspielerischen Begabung und seinem Charisma gut meisterte. Es ist aber auch in Leipzig festzustellen, dass Lautstärke beim Publikum gut ankommt. Dabei hat Wagner doch immer Legato gepredigt…

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„Lohengrin“. Foto: Kirsten Nijhof

 Den „Lohengrin“ am 30. Juni dirigierte dann endlich Christoph Gedschold mit einem zufriedenstellenden musikalischen Eagenis. Die Inszenierung des mit eigenen Operninszenierungen noch recht unerfahrenen künstlerischen Produktionsleiters an der Oper Leipzig, Patrick Baldyga, entstand wohl aus einer Unpässlichkeit, da die eigentlich geplante Neuinszenierung durch Katharina Wagner letztlich nicht zustande kam, auch in Barcelona nicht, wo sie ebenfalls laufen sollte. Somit stellte Baldyga 2002/21 eine „gekürzte Fassung“ her, die in der Saison 2021/22 auf eine normale Inszenierung „gestreckt“ wurde. Die Mangelerscheinungen wurden vielfach offenbar. Der gesamte Chor, und „Lohengrin“ ist eine klassische Choroper, bleibt unsichtbar in eine Art verlängerter schwarzer Kaninchenstall verbannt. Die etwas abstruse Begründung des Regisseurs lautet, dass der Chor ohnehin das Geschehen nicht beeinflusse, was allein den Protagonisten vorbehalten sei. So findet der Lohengrin in einer Art Hinterzimmer-Ästhetik statt, wo ein paar Solisten an ein paar Tischen, die ständig hin und hergeschoben werden (müssen), alles unter sich ausmachen, wie heute oft in der Politik. Nun ja. Dass Ortrud aber eine intime Beziehung mit dem Heerufer hat, wohl nicht zuletzt weil Telramund – nicht ernsthaft begründbar – blind ist, ist an Absurdität wohl kaum zu übertreffen. Die Sänger machten das Bestmögliche daraus. Klaus Florian Vogt führte wieder seinen Weltklasse-Lohengrin vor, zu dem sein Tamino-artiges astrales Timbre besser als zu seinen anderen Rollen passt. Simone Schneider war eine Elsa mit einem Sopran, der nicht nur auf jeder Note reinen Wohlklang beschert, sondern die auch die Rolle des naiven Hascherls, die ihr Baldyga hier abverlangt, bestens interpretierte. Eine erstklassige Elsa! Stéphanie Müther lieferte eine starke vokale Leistung, die vermuten lässt, dass ihr die tiefere Lage dieser Partie im Vergleich zur von ihr auch gesungenen Brünnhilde wohl besser liegt. Simon Neal sang einen wegen der Blindheit szenisch arg amputierten stimmstarken Telramund. Günther Groissböck, der als König Heinrich ständig mit einer blauen Königskrone herumlief, war der bewährte Interpret dieser Rolle. Mathias Hausmann war ein prägnanter Heerrufer, in einem skurrilen Rollenportrait.

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„Tristan und Isolde“: Barbara Kozelj, Matthias Stier, Mathias Hausmann. Foto: Tom Schulze

Am 1. Juli folgte „Tristan und Isolde“ und damit der erste wirkliche Höhepunkt der Festtage WAGNER 22. Enrico Lübbe erzählt die Geschichte in einem die ganze Bühne umfassenden Lichtrahmen, der als Grenze zwischen Phantasie und Realität dient, wenn immer wieder Figuren aus ihm heraustreten. Zentrum des stets dramaturgisch sinnvoll rotierenden Bühnenbildes von Étienne Pluss stellen eindrucksvolle, aus Holz gezimmerte Schiffsaufbauten dar, mit klassizistischen Apercus und Treppenaufgängen ins Schiffsinnere, aus denen später das verhängnisvolle und von den Liebenden so gefürchtete Licht hervordringt. Im Laufe der drei Aufzüge verfallen diese Aufbauten immer mehr zu Wrackteilen und verdeutlichten somit optisch die immer unmöglicher werdende Liebe zwischen Tristan und Isolde in dieser gegenständlichen Welt. Die wohl beste Isolde unserer Tage, die Britin Catherine Foster, begeisterte das Publikum einmal mehr mit ihrer makellos, in hochdramatischen Kategorien gesungenen Isolde, die auch feinstes Legato kennt. Wie immer, sind auch ihr Spiel und ihre Mimik von großer Emotionalität und Authentizität geprägt. Schön, dass sie am 25. Juli nun auch die Isolde in der Bayreuther Premiere singen wird. Andreas Schager ist zwar ein darstellerisch absolut zu ihr passender Tristan, wie immer mit großer charismatischer Gebärde. Er schafft es aber sogar im Liebesduett, die Foster mit seinem zu forcierten Tenor zeitweise zuzudecken. So waren in den oft viel zu lauten Fieberfantasien des 3. Aufzugs schon kleinere vokale Brechungen hörbar, obwohl er diesmal die Partie durchsang. Die Brangäne der Premiere von 2019, die Slowenin Barbara Kozelj, sang wieder eine klang- und ausdrucksvolle Brangäne bei großer Agilität. René Pape war wie immer ein ausdrucksstarker König Marke.

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„Die Meistersinger von Nürnberg“: Magnus Vigilius (Stolzing) kommt in Nürnberg .an.

Die am 3. Juli anschließenden „Meistersinger von Nürnberg“, die von Altmeister David Pountney erst im vergangenen Oktober ihre Premiere an Haus erlebt hatten, wurden sodann zu einem weiteren Highlight dieser Aufführungsserie von WAGNER 22. Pountneys Inszenierung dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes um Nürnberg und die Gesangskunst der Meistergilde in der Stadt im 16. Jahrhundert. Bühnenbildnerin Leslie Travers ordnete das in großen Holzmodellen nachempfundene mittelalterliche Nürnberg im Zentrum eines darum herum angelegten Amphitheaters an, auf dem in der guten Choreografie von Denni Sayers ständig wechselnde Szenen und Bewegungen der Mitwirkenden stattfanden. Die Kostüme von Marie Jeanne Lecca sind ebenfalls aus der Entstehungszeit. Die Schusterstube ist eine sänger-akustisch bestens gebaute behagliche Stube eine Hauses jener Zeit. Pountney weiß, was Sänger brauchen und inszeniert also das Stück aus sich heraus im Sinne eines gelungenen story telling – und siehe da, auch das geht noch! Der für Hans Sachs vielleicht etwas zu jung wirkende James Rutherford sang die Rolle mit einem wunderbar warmen, bestens artikulierenden klangvollen Bariton und war die tragende Kraft des Abends. Wieder bewies Elisabet Strid mit ihrem herrlichen Sopran, sicheren Spitzentönen, aber auch hoher Emotionalität – zumal in der Loslösung von Sachs und beim Quintett in der Schusterstube – ihre außerordentlichen Qualitäten als Eva. Magnus Vigilius gab eine jungen, sehr gut aussehenden und ungeduldigen Stolzing, den er mit seiner viril klingenden nuancenreichen Tenorstimme sehr überzeugend verkörperte. Hier bahnt sich eine große Karriere an, wenn alles richtig gemacht wird. Sebastian Pilgrim war ein souverän auftretender Pogner, Dan Karlström als Einspringer ein guter David und Kathrin Göring eine ausdrucksstarke Magdalena, sowohl darstellerisch wie stimmlich. Der Chor und Zusatzchor waren ein weiteres Mal eine Wucht, zumal beim spektakulärem „Wach auf“. Ulf Schirmer sorgte für wahrhaft meisterlichen Kang aus dem Leipziger Graben.

Fazit:

Bei den ersten neun Werken, die bei WAGNER 22 nun über die Bühne gegangen sind, gab es viele Höhepunkte, vor allem sängerischer und musikalischer Art, in einigen Fällen auch bei den Inszenierungen, dazu aber auch weniger überzeugende Momente. Es ist klar, dass bei einem Kanon von allen 13 Werken, die über einen Zeitraum von immerhin 15 Jahren inszeniert wurden, ganz unterschiedliche Eindrücke und Qualitäten entstehen. Was aber angesichts der Leere mancher großer Häuser zu unterstreichen ist: In Leipzig was bisher fast jeder Abend restlos ausverkauft, und das Haus bis auf relativ wenige Plätze auch vollbesetzt. Und der „Ring“ und „Parsifal“ sind ohnehin ausverkauft. 450 Besucher, zum Teil aus Übersee bis Australien, haben gar ein Paket mit allen 13 Auffangen gebucht. Die Häuser sind also voll, wenn es etwas ganz Gutes gibt. Corona zieht nicht mehr, obwohl viele Besucher noch oder wieder Masken tragen. Hervorzuheben unter den Sängern mit sehr unterschiedlichen Rollen ist sicher die Leistung von Kathrin Göring, die in schnellem Wechsel den Adriano, die Venus und die Magdalena verkörperte und jene von Mathias Hausmann, der hintereinander Heerrufer, Kurwenal und auch einen guten Beckmesser sang und spielte. Und es ist nahezu unglaublich, dass man trotz gänzlich fehlender Handy-Ansagen bisher praktisch noch nie einen Piepton während der Aufführungen gehört hat. Das Publikum ist enorm diszipliniert und konzentriert! Nun kommt „Das Rheingold“ – mal wieder…

 

Klaus Billand aus Leipzig

 

 

 

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