LEIPZIG/WAGNER 22: Zweiter Teil des Leipziger Wagner-Festivals WAGNER 22 – 26. Juni – 14. Juli 2022
Ein gutes Resümee
Gegen Ende Juni begann der zweite Teil der Leipziger Festtage WAGNER 22. Über den ersten wurde im Juli-Merker schon berichtet. WAGNER 22 lief im Juli auf Hochtouren, mit dem scheidenden GMD Ulf Schirmer seit dem „Fliegenden Holländer“ bei jeder Aufführung bis auf den „Lohengrin“ am Pult des Gewandhausorchesters.
Ein kurzer Rückblick auf den Beginn von WAGNER 22: Man begann völlig schuldlos etwas unglücklich mit dem Erstlingswerk „Die Feen“, da krankheitsbedingt gleich der Dirigent und die beiden Hauptrollen ersetzt werden mussten. Das gelang beim Einspringen von Matthias Foremny für Christoph Gedschold, der ab der Saison 2022/23 erst einmal für zwei Jahre neuer GMD in Leipzig werden wird, und bei der Einspringerin für die Rolle der Ada noch einigermaßen gut, wurde aber ein Fehlgriff bei der Alternativbesestzung des Tenors Arindal. Auch wirkt die Inszenierung von Renaud Doucet mit André Barbe für Bühnenbild und Kostüme aus dem Jahr 2013 schon etwas verstaubt und antiquiert sowie arg vernachlässigt in Bezug auf die Personenregie. Mit dem „Liebesverbot“ in der auch heute noch frisch wirkenden Inszenierung von Aron Stiehl, ebenfalls aus dem Juliläumsjahr 2013, war eine deutliche Steigerung zu erkennen, insbesondere mit dem ebenso geschmackvollen wie dramaturgisch stimmigen Bühnenbild von Jürgen Kirner und den Kostümen von Sven Bindseil. Hinzu kam eine äußerst überzeugende Personenregie und gute Choreografie, was den stets von Thomas Eitler-de-Lint einstudierten erstklassigen Chor und oft auch Zusatzchor der Oper Leipzig angeht. Mit Manuela Uhl und Tuomas Pursio waren hier auch die Hauptrollen darstellerisch wie stimmlich sehr gut besetzt.
Mit dem schon aus dem Jahre 2007 stammenden „Rienzi“ wurde am 23. Juni die Serie der Frühwerke abgeschlossen. In seiner Inszenierung stellt Nicholas Joël in einem in dunklen Grautönen gehaltenen und damit konfliktbetonten Bühnenbild von Andreas Reinhardt total auf die Bestrebungen Rienzis ab, die Ewige Stadt Rom gegen die Machtinteressen und -kämpfe der Colonna zu einen. So bringt Joël die Figur des Tribunen immer wieder in dominante Positionen, was durch Stefan Vinke mit seinem kraftvollen und baritonal unterlegten Heldentenor nahezu ideal umgesetzt wurde. Auch Miriam Clark als Irene und Kathrin Göring als Adriano boten eindrucksvolle darstellerische wie vokale Leistungen. Nachdem Matthias Foremny Christoph Gedschold auch noch im „Liebesverbot“ ersetzt hatte, stand er bei „Rienzi“ planmäßig am Pult des Gewandhausorchesters und ließ der Lautstärke bisweilen zu freien Lauf, auch wenn es mit dem Geschehen auf der Bühne bis zu einem gewissen Grad harmonierte.
„Das Liebesverbot“. Foto: Kirsten Nijhof
„Der fliegende Holländer“ – 25.6.
Mit dem „Fliegenden Holländer“ (Merker 07/2022) begann der Bayreuther Kanon der zehn von Wagner selbst für die Bayreuther Festspiele ausgewählten Werke, und zwar in einer teilweise grandiosen und auf interessante Weise auf die von Heinrich Heine beschriebenen „Memoiren des Herrn Schnabelewopski“ abstellenden Inszenierung des niederländischen Regisseurs Michiel Dijkema mit entsprechendem Bühnenbild aus dem Jahre 2019. Er zitiert aus diesen Memoiren in einer klar erkennbaren Seemanns-Ästhetik und lässt somit dem Zuschauer wesentliche Elemente des Geschehens aus der Stoffquelle mitlesen, bisweilen in skurriler Form. Absoluter Knalleffekt ist in der Chorszene zwischen Norwegern und Holländern im 3. Akt das aus der Bühnentiefe bis über fast ein Drittel des Parketts vorfahrende dreimastige Holländer-Schiff mit den legendären blutroten Segeln. Elisabet Strid lieferte eine bilderbuchartige Interpretation der Senta, wobei der Nuancenreichtum ihres Soprans und ihr authentisch wirkendes Spiel keine Wünsche offen ließen. Thomas J. Mayer war ein Respekt einflößender Holländer mit kraftvollem Bariton in einem wohl tatsächlich 300 Jahre alten Gewand, in dem er am Ende mit einem verblüffenden Bühnentrick zu Staub zusammen sackte… Ulf Schirmer dirigierte mit viel Liebe zum Detail bei flüssigen Tempi. Nun stimmte auch im Gewandhausorchester alles.
Foto: Kirsten Nijhof
„Tannhäuser“ – 26.6.
Mit dem „Tannhäuser“ ging es unter der musikalisch wieder eindrucksvollen Leitung von Ulf Schirmer weiter. Allerdings musste die Inszenierung des Katalanen Calixto Bieito von 2018 im Bühnenbild von Rebecca Ringst und mit den Kostümen von Ingo Krügler, die von einer anderen Opernkompagnie geholt wurde, enttäuschen. Ein Venusberg wird sichtbar, der nach dem umständlichen Hochziehen eines dichten Blätterwaldes einen Boden aus schwarzen Plastikmüllsäcken freigibt, die man zumindest vor einigen Jahren noch morgens mit den nicht verkauften Sandwiches vor den Delis auf den Straßen von Manhattan sehen konnte. Dazu eine nahezu zwanghaft wirkende Verdrängung jeglicher Erotik aus dieser Szene, die nur von Venus im schwarzen Petticoat gespielt wird. Das ist dann doch zu wenig für das Auge und entspricht auch nicht der dazu erklingenden sinnlichen Musik Wagners, dem sicher ganz andere Szenen vorschwebten… Ein dann die Gesamtoptik bestimmendes bühnenhohes weißes Gestell mit Balken auch über dem Boden wurde mit diesen zu einem Hindernis für die arme Elisabeth bei ihrer Auftrittsarie. Wie beim Seiltanzen musste sie drübersteigen wie auch alle anderen Protagonisten und der Chor. Er durfte am Schluss immerhin robben, sodass die Sturzgefahr geringer war. Die Dramaturgie und entsprechende Personenregie waren zeitweise abstrus.
Foto: Tom Schulze
Auch als Elisabeth lieferte Elisabet Strid eine erstklassige Leistung, stimmlich ohnehin, aber auch durch ihr unglaublich facettenreiches und einnehmendes Spiel, eigentlich Weltklasse! Kathrin Göring brillierte vor allem vokal als Venus. Darstellerisch wurde ihr ja kaum die Chance dazu geboten. Andreas Schager war Tannhäuser und meinte es – dezent ausgedrückt – immer wieder zu gut mit der Lautstärke seines Vortrags, wenn er auch das hier vorgegebene Rollenkonzept mit seiner großen schauspielerischen Begabung und seinem Charisma gut meisterte. Es ist aber auch in Leipzig festzustellen, dass Lautstärke beim Publikum wie fast überall gut ankommt. Dabei hat Wagner doch immer Legato gepredigt…
„Lohengrin“ – 30.6.
Den „Lohengrin“ dirigierte dann endlich Christoph Gedschold mit einem zufriedenstellenden musikalischen Ergebnis. Die Inszenierung des mit eigenen Operninszenierungen noch recht unerfahrenen künstlerischen Produktionsleiters an der Oper Leipzig, Patrick Baldyga, entstand wohl aus einer Unpässlichkeit, da die eigentlich geplante Neuinszenierung durch Katharina Wagner letztlich nicht zustande kam, auch in Barcelona nicht, wo sie ebenfalls laufen sollte. Somit stellte Baldyga 2002/21 eine „gekürzte Fassung“ her, die in der Saison 2021/22 auf eine normale Inszenierung „gestreckt“ wurde. Die Mangelerscheinungen wurden vielfach offenbar. Der gesamte Chor, und „Lohengrin“ ist eine klassische Choroper, bleibt unsichtbar in eine Art verlängertem schwarzen Kaninchenstall verbannt. Die etwas abstruse Begründung des Regisseurs lautet, dass der Chor ohnehin das Geschehen nicht beeinflusse, was allein den Protagonisten vorbehalten sei. So findet der Lohengrin in einer Art Hinterzimmer-Ästhetik statt, wo ein paar Solisten an ein paar Tischen, die ständig hin und hergeschoben werden (müssen), alles unter sich ausmachen, wie heute oft in der Politik. Nun ja. Dass Ortrud aber eine intime Beziehung mit dem Heerufer hat, wohl nicht zuletzt weil Telramund – nicht ernsthaft begründbar – blind ist, ist an Absurdität wohl kaum zu übertreffen.
Foto: Kirsten Nijhof
Die Sänger machten das Bestmögliche daraus. Klaus Florian Vogt führte wieder seinen Weltklasse-Lohengrin vor, zu dem sein Tamino-artiges astrales Timbre besonders gut passt. Simone Schneider war eine Elsa mit einem Sopran, der nicht nur auf jeder Note reinen Wohlklang beschert, sondern die auch die Rolle des naiven Hascherls, die ihr Baldyga hier abverlangt, bestens interpretierte. Eine erstklassige Elsa! Stéphanie Müther lieferte eine starke vokale Leistung, die vermuten lässt, dass ihr die tiefere Lage dieser Partie im Vergleich zur von ihr auch gesungenen Brünnhilde – zuletzt in Dortmund – besser liegt. Simon Neal sang einen wegen der Blindheit szenisch arg amputierten stimmstarken Telramund. Günther Groissböck, der als König Heinrich ständig mit einer blauen Königskrone herumlief, war der bewährte Interpret dieser Rolle. Mathias Hausmann gab einen prägnanten Heerrufer mit gutem Bariton, allerdings in einem skurrilen Rollenportrait. Dafür konnte er nichts! Der Chor unter Thomas Eitler-de Lint sang auch aus dem Kaninchenstall hervorragend.
„Tristan und Isolde“ – 1.7.
Mit „Tristan und Isolde“ folgte der erste ganz große Höhepunkt der Festtage WAGNER 22. Enrico Lübbe erzählt die Geschichte in einem die ganze Bühne umfassenden Lichtrahmen, der als Grenze zwischen Phantasie und Realität dient, wenn immer wieder Figuren aus ihm heraustreten. Zentrum des stets dramaturgisch sinnvoll rotierenden Bühnenbildes von Étienne Pluss stellen eindrucksvolle, aus Holz gezimmerte Schiffsaufbauten dar, mit klassizistischen Aperçus und Treppenaufgängen ins Schiffsinnere, aus denen später das verhängnisvolle und von den Liebenden so gefürchtete Licht hervordringt. Im Laufe der drei Aufzüge verfallen diese Aufbauten immer mehr zu Wrackteilen und verdeutlichen somit auch optisch die immer unmöglicher werdende Liebe zwischen Tristan und Isolde in einer profanen gegenständlichen Welt.
Foto: Tom Schulze
Die wohl weiterhin beste Isolde unserer Tage, Catherine Foster, begeisterte das Publikum einmal mehr mit ihrer makellos, in hochdramatischen Kategorien gesungenen Isolde, die auch feinstes Legato kennt. Wie immer sind auch ihr Spiel und ihre Mimik von großer Emotionalität und Authentizität geprägt. Andreas Schager ist zwar ein darstellerisch gut zu ihr passender Tristan, wie immer mit großer charismatischer Gebärde. Er schafft es aber sogar im Liebesduett, Catherine Foster mit seinem allzu forcierten Tenor zeitweise zuzudecken. So waren in den oft viel zu lauten Fieberphantasien des 3. Aufzugs schon kleinere vokale Brechungen hörbar, obwohl er diesmal die Partie, anders als bei der Wiener Premiere, durchsang. Die Brangäne der Premiere von 2019, die Slowenin Barbara Kozelj, sang wieder eine klang- und ausdrucksvolle Brangäne bei großer Agilität. René Pape war wie immer ein ausdrucksstarker König Marke.
„Die Meistersinger von Nürnberg“ – 3.7.
„Die Meistersinger von Nürnberg“, die von Altmeister David Pountney erst im vergangenen Oktober ihre Premiere an Haus erlebt hatten, wurden sodann zu einem weiteren Highlight von WAGNER 22. Pountneys Inszenierung dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes um Nürnberg und die Gesangskunst der Meistergilde in der Stadt im 16. Jahrhundert. Bühnenbildnerin Leslie Travers ordnet das in großen Holzmodellen nachempfundene mittelalterliche Nürnberg im Zentrum eines darum herum angelegten Amphitheaters an, auf dem in der guten Choreografie von Denni Sayers ständig wechselnde Szenen und Bewegungen der Mitwirkenden stattfinden. Die Kostüme von Marie Jeanne Lecca sind ebenfalls aus der Entstehungszeit. Die Schusterstube ist eine sänger-akustisch bestens gebaute behagliche Stube eines Hauses jener Zeit. Pountney weiß, was Sänger brauchen und inszeniert also das Stück aus sich heraus im Sinne eines gelungenen story telling – und siehe da, auch das geht noch!
Der für Hans Sachs vielleicht etwas zu jung wirkende James Rutherford sang die Rolle mit einem wunderbar warmen, bestens artikulierenden klangvollen Bariton und war die tragende Kraft des Abends. Wieder bewies Elisabet Strid mit ihrem herrlichen Sopran, sicheren Spitzentönen, aber auch hoher Emotionalität – zumal in der Loslösung von Sachs und beim Quintett in der Schusterstube – ihre außerordentlichen Qualitäten als Eva. Magnus Vigilius gab einen jungen, sehr gut aussehenden und ungeduldigen Stolzing, den er mit seiner viril timbrierten und nuancenreichen Tenorstimme sehr überzeugend verkörperte. Hier bahnt sich eine große Karriere an, wenn alles richtig gemacht wird. Ende August hat er übrigens in Esbjerg dreimal den Siegfried gesungen. Sebastian Pilgrim war ein souverän auftretender Pogner, Dan Karlström als Einspringer ein guter David und Kathrin Göring eine ausdrucksstarke Magdalena, sowohl darstellerisch wie stimmlich. Der Chor und Zusatzchor unter Thomas Eitler-de Lint waren ein weiteres Mal eine Wucht, zumal beim spektakulärem „Wach auf“. Ulf Schirmer sorgte für wahrhaft meisterlichen Kang aus dem Leipziger Graben.
Foto: Kirsten Nijhof
Am Schluss hielt Pountney einen interessanten Regie-Gag bereit, der durchaus nachvollziehbar war. Stolzing lässt sich – wohl aus Eitelkeit – entgegen der Idee Wagners doch von den „Alt-Meistern“ umgarnen und in ihre Gilde aufnehmen. Eva scheint ihren Augen nicht zu trauen und macht sich unbeobachtet auf und davon…
„Der Ring des Nibelungen“ – 7.-10.7.
Vor fünf Jahren habe ich diese „Ring“-Produktion der Oper Leipzig schon besucht und detailliert rezensiert, sowie die sehr interessanten geschichtlichen Hintergründe der Tetralogie gerade in der Geburtsstadt Wagners erörtert, sodass ich kaum neue Erkenntnisse hinzufügen kann. Wer möchte, kann die Rezension unter diesem Link nachlesen: https://www.klaus-billand.com/deutsch/wagner/der-ring-des-nibelungen/leipzig-der-ring-des-nibelungen-10-bis-13-mai-2018.html.
Die Inszenierung von Rosamund Gilmore von 2015 ist außergewöhnlich lebhaft, verzichtet auf alberne „Regietheater“-Gags und wirkt in den opulenten Bühnenbildern von Carl Friedrich Oberle und den phantasie- und meist geschmackvollen Kostümen von Nicola Reichert bei einer exzellenten Lichtregie von Michael Röger aus der Werkaussage des Stückes heraus interpretiert und nicht zuletzt deshalb spannend und unterhaltsam. Eine Art Betonaufbau dient als Einheitsbühnenbild im „Rheingold“, wird aber durch die Lichtregie stets variiert. Das hier schon zu sehende Walhall-Modell verfällt dann über die vier Abende immer mehr, die finale Katastrophe andeutend. Charakteristisches Sonderelement ist Gilmores Choreografie in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern einer 12-köpfigen Tanzgruppe, genannt die „Mythischen Elemente“, die – zusätzlich zu Wagners Leitmotivik – in phantasievollen Bewegungen für eine abwechslungsreiche und interessante Bebilderung des Geschehens auf der Bühne sorgt – ein toller Einfall, aber manchmal etwas überstrapaziert. Die Tänzer beleben die Handlung auch dann, wenn Langeweile einzukehren droht, und das kann in gewissen Momenten des „Siegfried“ und auch an anderen Stellen durchaus mal sein. Daneben besorgt die Tanzgruppe auf künstlerische Art und Weise die Bestückung der Bühne mit Requisiten bzw. deren Verschwinden zur Vorbereitung der folgenden Szene. Theatralisch pragmatisch! Nicht einmal musst zu einer Verwandlung der Vorhang fallen. Diese „Ring“-Inszenierung beeindruckte zudem mit einer exzellenten und oft facettenreichen Personenregie. Ein theatralischer Höhepunkt ist der Erda-Auftritt mit den drei Nornen in „Rheingold“ und „Siegfried“. Hier finden choreografische Phantasie und mythologische Intensität im Halbdunkel zu selten erlebter Kommunion.
Foto: Tom Schulze
Auf die Sänger und das Orchester unter Ulf Schirmer sei aber natürlich eingegangen. Michael Volle war in „Rheingold“ und „Siegfried“ der bekannt erstklassige Wotan/Wanderer mit enormer Ausstrahlung und Persönlichkeit auf der Bühne. Wenn er auf ihr stand, stand er im Mittelpunkt. Exzellente Diktion und mühelose Höhen bei kraftvoller Mittellage zeichnen Volles Gesangsstil aus. Thomas J. Mayer sang den „Walküre“-Wotan mit kraftvollem Bassbariton darstellerisch überzeugend. Allison Oakes sang eine technisch perfekte Brünnhilde mit einem klangvollem, durchaus nicht hochdrastischem Sopran, aber bester Diktion und Nuancierung. Oakes glänzte immer wieder auch mit einem guten Legato. Darstellerisch war sie die stürmische Maid, die Wagner vorschwebte. Im „Siegfried“ sang Daniela Köhler die Brünnhilde, etwas hell und weit weniger nuancenreich als Oakes, aber technisch gut. Ihr Timbre ist vielleicht auch eine Geschmacksache. Lise Lindstrom hingegen sang die „Götterdämmerung“-Brünnhilde ständig zu laut, ja nahezu überdreht und wirkte so optisch und darstellerisch weit besser als vokal. Es überraschte schon etwas, dass Stephen Gould, der eine Zeitlang den Siegfried abgelegt zu haben schien, nun ausgerechnet den jungen Siegfried verkörperte. Das gelang ihm aber wieder mit der von ihm gewohnt hohen stimmlichen Qualität und auch seinem Charisma, wenngleich ein unmögliches Kostüm ihn in die Nähe eines Deppen rückte. Mit Stefan Vinke stand in der „Götterdämmerung“ dann ein zweiter Weltklasse-Siegfried auf der Leipziger Bühne. Auch er konnte mit seinem variablen Heldentenor mehr als überzeugen. Weiterhin fast märchenhaft seine Modulierung des hohen C auf „Hoihe“ im 3. Aufzug, um Hagen und die Mannen zu rufen.
Werner von Mechelen sang in „Rheingold“ und „Götterdämmerung“ einen sehr engagierten Alberich mit klar artikulierendem Bariton und großer Ausdruckskraft. Kathrin Göring konnte als Fricka und „Götterdämmerung“-Waltraute stimmlich nicht so überzeugen wie in ihren Rollen in den Werken zuvor. Marina Prudenskaya war als Erda stimmlich und auch darstellerisch wieder einmal eine Offenbarung. Besser kann man das derzeit kaum hören. Elisabet Strid war wie schon an den anderen Abenden eine erstklassige Sieglinde mit schönen stimmlichen Farben und einem emphatischen Spiel. Bei Robert Dean Smith merkte man hingegen klar, dass er weit über den Zenit seines künstlerischen Wirkens hinaus ist. Wenngleich er immer noch schöne tenorale Momente fand, wirkte er mit der jungen Strid wie aus der Zeit gefallen. Taras Shtonda sang einen kraftvollen Hagen, spielte ihn nur etwas zu reserviert. Er war auch Fafner im „Rheingold“. Thomas Mohr sang den Loge mit seinem wohlklingenden Heldentenor und spielte ihn intensiv. Dan Karlström war an beiden Abenden ein guter Mime. Der Bayreuth-erfahrene Tobias Kehrer gab einen Angst-einflößenden und stimmlich kraftvollen Hunding und Friedemann Röhlig einen wohlklingenden Fasolt. Tuomas Pursio, auch immer wieder “Rheingold“-Wotan, sang einen klangvollen Alberich im „Siegfried“ und den Gunther. Daniela Fally war eine Luxusbesetzung für den Waldvogel. Emily Magee überzeugte in der für sie doch relativ kleinen Rolle der Gutrune ebenso wie Gabriele Scherer als Freia. Sven Hjörleifsson war ein sehr guter lyrischer Froh. Weniger beindrucken konnte Randall Jakobsh als Fafner im „Siegfried“, und Anoosh Golesorkhi war eine Fehlbesetzung als Donner. Die Rheintöchter waren mit Olga Jelínková, Sandra Maxheimer und Sandra Fechner als Flosshilde im „Rheingold“ sowie Sandra Janke in dieser Rolle in der „Götterdämmerung“ gut besetzt, ebenso wie die Nornen mit Christiane Döcker, Karin Lovelius und Magdalena Hinterdobler. Auch das Walküren-Oktett sang vor allem im Ensemble vortrefflich.
Foto: Tom Schulze
Ulf Schirmer spielte am Pult des Gewandhausorchesters seine ganze Routine als Wagner-Dirigent aus und setzte mit diesem „Ring“ noch einmal ein starkes Zeichen für seine Wertschätzung für Richard Wagner, die Kenntnis seiner Partituren und auch der Raffinessen, die das Ganze bereichern. Der wieder von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor in der „Götterdämmerung“ war wie schon an allen Abenden bei WAGNER 22 zuvor wieder in bester Verfassung.
„Parsifal“ 14.7.
Man hatte sich nach dem „Ring“ in nur vier Tagen schon an den Eintages-Rhyhtmus gewöhnt. Aber die Oper Leipzig ließ der vielfach von weit her angereisten „Wagnerschaft“ dann doch einen Tag Verschnaufpause vor dem „Parsifal“, mit dem ja Richard Wagner seine Bühnenwerke abschloss und nun Ulf Schirmer seine Funktionen als GMD seit 2009/10 und Intendant seit 2011/12.
Mit dem „Parsifal“ in der tiefsinnigen Inszenierung von Roland Aeschlimann aus dem Jahre 2004 in Genf, die später an die Oper in Nizza und Leipzig kam, ging der Wagner 22-Marathon zu Ende. Ich habe mich damals sehr intensiv mit der mythisch-intellektuellen Reichhaltigkeit dieser Produktion auseinander gesetzt, was in der Genfer Rezension von 2010 unter dem Link https://www.klaus-billand.com/files/2010-genf-parsifal.pdf wiedergegeben ist. Mit seiner ansprechenden und abstrakt auf Mythos, Symbolik und auch auf weiter gefasste religiöse Aspekte abstellenden Inszenierung mit ihren imaginativen Bühnenbildern und einer ungewöhnlich sublimen und effektvollen Lichtregie durch Lukas Kaltenbäck sowie sehr geschmackvollen Kostümen von Susanne Raschig schafft Aeschlimann weite Räume, in denen sich die Reifung Parsifals zum neuen Gralskönig mit zielsicherer Personalführung in zeitweise faszinierender Optik vollzieht. Er stellt die nicht heilen wollende Wunde des verletzten und leidenden Amfortas in den Mittelpunkt, die für sie symbolisch für die Wunde eines jedes Menschen steht. Namen sind dabei Schall und Rauch, Runen und Ruinen. Was bleibt, ist die offene Wunde – nicht die durch die Lanze verursachte, sondern die im Herzen, wie Wagner es selbst einmal anmerkte.
Foto: Tom Schulze
Dem Publikum wird ein weiter Spielraum zu eigenen Assoziationen überlassen, der sehr poetisch und gerade auch durch das eindrucksvolle Spiel der Farben in großer Harmonie mit der Musik steht. Aeschlimann zitiert aber auch die Dichtung von Wolfram von Eschenbach, in der von einem vom Himmel gefallenen Stein (lapis exilis) gesprochen wird, sowie die den Meister interessierende Reinkarnations-Philosophie des Buddhismus. Der Regisseur macht mit dieser Produktion klar, dass „Parsifal“ von verschiedenen Seiten gleichzeitig gesehen werden kann. Dabei ist es ihm eindrucksvoll gelungen, diese ästhetische Vision der Vielschichtigkeit der menschlichen Dimension des Werkes in optisch bewegendes Operntheater umzusetzen. So bildet der mystische und einem Diamanten ähnliche Stein von Eschenbach im Schwebezustand zwischen Erde und Himmel, aus dem er gefallen ist, symbolisch den Gral. Er ist das Scharnier zwischen Gut und Böse, zwischen idealisierter Menschlichkeit und dem realen menschlichen Leben auf Erden, sowie der Hölle darunter. Leider erscheint die Leipziger Inszenierung über die Jahre ziemlich vernachlässigt und hätte für das Festival WAGNER 22 aufgearbeitet gehört. Aber das war wohl nicht möglich. So ging einiges von der beachtlichen Intensität verloren, die damals in Genf zu erleben war.
Andreas Schager sang die Titelrolle wie immer mit zu hoher Lautstärke. Gerade beim Parsifal wäre ein gutes und gefühlvolles Legato so wichtig. Darstellerisch ließ er hingegen nichts zu wünschen übrig. René Pape war der bewährt gute und väterliche Gurnemanz, der diese Rolle zu einer in jeder Hinsicht protagonistischen erhob. Der schon vielseitig bei WAGNER 22 eingesetzte Bariton Mathias Hausmann konnte nun auch als leidender Amfortas beeindrucken und stimmlich sehr überzeugen. Falk Struckmann, ein ganz großer Wagner-Sänger und mittlerweile ins Bass-Fach gewechselt, erinnerte mit den bassbaritonalen Klängen des Klingsor jedoch an seine großen Zeiten als Wotan in Bayreuth, Wien und anderswo. Elena Pankratova gestaltete wieder eine persönlichkeitsstarke Kundry mit gewohnt kraftvoller Stimme und starkem Ausdruck. Auch die Nebenrollen waren mit Sängern aus dem Leipziger Ensemble gut besetzt, die hier schon mehrfach besprochen wurden.
Ulf Schirmer musizierte mit dem Gewandhausorchester einen wunderbaren „Parsifal“, getragen von großer Erfahrung und Kenntnis der Besonderheiten dieses einmal nur für Bayreuth konzipierten Abschlusswerkes Richard Wagners. Folgerichtig bekam Schirmer vor dem 3. Aufzug mit dem Orchester auch einen begeisterten Auftrittsapplaus. Der wieder von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor und der Kinderchor unter der Leitung von Sophie Bauer fügten sich perfekt in das musikalische und dramaturgische Geschehen ein. Ein großartiger Abschluss von WAGNER 22 – ohne jene Frage!
FAZIT:
Beim den Leipziger Festtagen WAGNER 22 gab es viele Höhepunkte, vor allem sängerischer und musikalischer Art, in einigen Fällen auch bei den Inszenierungen, dazu aber auch weniger überzeugende Momente. Es ist klar, dass bei einem Kanon von allen 13 Werken, die über einen Zeitraum von immerhin 15 Jahren in Leipzig inszeniert oder eingekauft wurden, ganz unterschiedliche Eindrücke und Qualitäten entstehen. Was aber angesichts der derzeitigen Leere mancher großer Häuser zu unterstreichen ist: In Leipzig was fast jeder Abend ausverkauft und das Haus bis auf relativ wenige Plätze vollbesetzt. 450 Besucher, zum Teil aus Übersee bis Australien, hatten gar ein Paket mit allen 13 Aufführungen gebucht. Die Opernhäuser sind also voll, wenn es etwas Gutes gibt! Corona zieht nicht mehr, obwohl in Leipzig viele Besucher noch oder wieder Masken trugen, in Salzburg nun kaum noch welche. Und es ist nahezu unglaublich, dass man trotz gänzlich fehlender Handy-Ansagen praktisch nie einen Piepton während der Aufführungen hörte. Das Publikum war enorm diszipliniert und konzentriert!
WAGNER 22 gab den Wagner-Freunden auch die seltene Gelegenheit, einmal über die künstlerische Entwicklung dieses die Musik des 20. Jahrhunderts wie kein anderer prägenden Komponisten in einem so kurzen Zeitraum und zudem auch noch mit allen drei Frühwerken, die nur selten an anderem Ort auch szenisch geboten werden, zu erleben und auf sich wirklich zu lassen. Ganz anders als sein großer Antipode in Leipzig, Felix Mendelssohn Bartholdy, dem allerdings ein viel kürzeres Leben beschieden war, musste Wagner zuerst seinen musikalischen und musikdramatischen Stil finden. Ab dem „Tannhäuser“ verfeinerte er ihn immer mehr und führte ihn im „Ring des Nibelungen“, in „Tristan und Isolde“ sowie in den „Meistersingern“ und schließlich im „Parsifal“ – auch mit entsprechender literarischer Begleitung im Exil in den 1850er Jahren – zu bis heute immer noch faszinierenden Höhen. Und das verbunden mit einer offenbar nicht enden wollenden Anziehungskraft für viele Musikliebhaber weltweit.
Foto: Klaus Billand
Ähnlich wie Richard Wagner unter die Partitur der „Götterdämmerung“ schrieb „Ich sage nichts weiter“, wollte Intendant und GMD Ulf Schirmer, der dieses ganze Festival mit allen 13 Bühnenwerken des Bayreuther Meisters zu seinem Abschied von der Oper Leipzig konzipiert und durchgeführt hat, den Taktstock niederlegen und ebenfalls nichts weiter sagen. Deshalb kam sein Abschied mit allen Reden und Rednern schon zu Beginn (Merker 07/2022). Denn dann wird Ulf Schirmer bis zum 1. Januar 2024 in ein Sabbatical ohne Oper und Konzert gehen, mit seiner Frau reisen, wandern, Neues entdecken, völlig entschleunigen, wie man neudeutsch sagt. Und dann sieht man weiter, sicher mit Musik…
Klaus Billand