Leipzig / Thomaskirche: „PAULUS“ VON FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY – EIN KOOPERATIONSPROJEKT ZWEIER CHÖRE AUS DRESDEN UND LEIPZIG – 9.7.2022
Eigentlich war die Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium, „Paulus“ als Kooperationsprojekt zwischen dem Kathedralchor Dresden und dem Probsteichor Leipzig, schon im Herbst vergangenen Jahres im Rahmen des Bistumsjubiläums 2021 geplant, musste jedoch – wie so vieles – pandemiebedingt verschoben werden und konnte nun erst jetzt mit je einer Aufführung in der Dresdner Kathedrale (25.7.) und der Leipziger Thomaskirche (9.7.) stattfinden.
Mendelssohn schrieb dieses, sein erstes, „Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift“, wie er es selbst nannte, 27jährig, als bereits etablierter Komponist und Leipziger Gewandhauskapellmeister. Es „katapultierte“ ihn „an die Spitze des deutschen Musiklebens“ (Larry Todd) und trat international einen Siegeszug von Europa bis in die USA an. Neben dem später verfassten „Elias“ wurde es zu einem Lieblingswerk großer Chorvereinigungen bis in die Gegenwart.
Anhand der Geschichte des Wandels des Christenverfolgers Saulus zum Apostel Paulus, der zum ersten Verkünder der christlichen Botschaft im gesamten Mittelmeerraum wurde, zeigt es die tiefe religiös-musikalische Auseinandersetzung Mendelssohns mit dem Christentum und seinen jüdischen Wurzeln.
Die Aufführung in der Dresdner Kathedrale fand vom Altarplatz aus statt, was sich durch den langen Nachhall der spätbarocken Kirche als wenig günstig erwies. In der Leipziger Thomaskirche fand die Aufführung auf der Chorempore statt, die eine besondere Bedeutung für die Interpretation der Kirchenmusik hat. Von hier ging die, von Karl Straube ausgehende, von Günther Ramin und Kurt Thomas und letztendlich von allen deutschen und vor allem sächsischen Kantoren bis hin zu Karl Richter, bis heute gepflegten, tiefgründigen, bis in die geistigen und geistlichen Tiefen vordringende Wiedergabe der Kirchenmusik aus.
In diesem Sinn gestalteten auch der Leiter des Kathedralchores, Matthias Liebich, der den ersten Teil des zweiteiligen Oratoriums leitete, und Stephan Rommelspacher, der Leiter des Propsteichores, der Teil II dirigierte, die Aufführung. Liebich, der sich mit diesen beiden Aufführungen gleichzeitig in den Ruhestand verabschiedete, betonte die emotional-lyrische Seite des Oratoriums, was zu schönen empfindungsreichen Momenten führte. Rommelspacher nahm den zweiten Teil zügig, leitete den umfangreichen Aufführungsapparat aus den beiden Laienchören, professionellen Orchestermusikern und Solisten mit Enthusiasmus und Power und verdichtete somit den Gesamteindruck, so dass es insgesamt eine sehr beeindruckende, mitreißende Aufführung wurde.
Das Solisten-Ensemble war mit Sängerinnen und Sängern aus dem Opernfach, die gleichzeitig über Erfahrungen im Oratoriengesang verfügen, sehr gut besetzt. Oper und Oratorium sind parallele Kunstgattungen mit vokaler und instrumentaler Vielfarbigkeit und damit ähnlichen Problemen, die Vielfalt von Arien, Rezitativen, Soli, Ensembleszenen und Chören zu einer Einheit zu verbinden. Die sehr engagierten Solisten verstanden es, den spezifischen Belangen des Oratoriums voll und ganz gerecht zu werden.
Die umfangreiche, Sopranpartie, die – anders als bei J. S. Bachs Oratorien, wo dem Evangelisten die Schilderung der Handlung obliegt – sowohl eine berichterstattende, als auch reflektierende Funktion hat, hatte die junge, schon weitgehend perfekte Annemarie Pfahler, die (noch) Operngesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt (Main) studiert und schon bei zahlreichen Konzerten als Solistin mitgewirkt hat, übernommen. Mit ihrer sehr schönen, variablen Sopranstimme, sehr guter Gesangstechnik und Ausdrucksfähigkeit von lyrischer Klangschönheit bis zu kraftvollen Momenten verlieh sie der Aufführung die erforderliche Strahlkraft und klangliche Dominanz.
Die hier weniger umfangreiche Alt-Partie füllte Ewa Zeuner mit ihrer warmen, geschmeidigen Stimme, wenn auch kaum textverständlich, aus.
Mit ihren reichen Erfahrungen im Oratorienfach gestalteten Martin Petzold die Tenorpartie, die ebenfalls an der Berichterstattung beteiligt ist und einzelne Personen vertritt (Stephanus, Ananias) und Andreas Scheibner, Bass, die Titelpartie, beide stimmlich präsent, mit sehr guter Artikulation und Textverständlichkeit als Grundlage einer eindrucksvollen Gestaltung, die in dem gemeinsamen Duett „So sind wir nun Botschafter …“ ihren Höhepunkt fand und in völliger klanglicher und gestalterischer Übereinstimmung zu jenen glücklichen Momenten zählt, die so selten sind und lange im Gedächtnis bleiben.
Die beiden, sehr geschickt und entsprechend ihren Fähigkeiten aufgestellten, Chöre erfüllen ihre Aufgabe sehr zuverlässig. Besonders die Frauenchöre auf den beiden Seitenemporen überraschten durch Präzision, Klangschönheit, Ausdruckskraft und Dramatik, während die beiden zweckmäßigerweise dazwischen aufgestellten Männerchöre bei solistischen Partien nicht immer die nötige Stärke und Sicherheit erreichten, sich aber bei gemeinsamen Auftritten mit den Frauenstimmen gut verbanden und den Chören die entsprechende Farbigkeit verliehen.
Die, 2012 durch Fusion des Orchesters der Landesbühne Sachsen in Radebeul und des Orchesters der Stadt Riesa gegründete Elbland Philharmonie Sachsen hatte sich von dem noch zaghaften Beginn der Ouvertüre bis zum kraftvollen Fortissimo gesteigert und bildete im Weiteren mit sauberen Bläsern und klangvollen Streichern kontinuierlich ein sicheres Fundament. Zuweilen herrschte völlige klangliche Übereinstimmung zwischen Chor und Orchester.
Die Aufführung hinterließ einen sehr positiven Gesamteindruck. Professionelle Musiker*innen und Laien, Chor, Orchester und Solisten bildeten eine musikalisch-gestalterische Einheit. Mendelssohns Musik vermag auch nach über 180 Jahren immer wieder, das Publikum musikalisch und emotional anzusprechen und auch die Ausführenden zu inspirieren.
Ingrid Gerk