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LEIPZIG: SIEGFRIED, dritter Tag der zyklischen Aufführung des Rings

08.05.2016 | Oper

LEIPZIG Oper SIEGFRIED, Zyklische Aufführung des Rings, 7.5.2016

Zeit für Grundsätzliches und Lob für tolle sängerische Leistungen


Mythische Elemente  Tom Schulze     

Das Mammutunternehmen schreitet voran, Gäste aus aller Welt (von Australien bis Los Angeles; oder der Rezensent banalerweise aus Berlin) sind eigens für diesen Ring an vier aufeinander folgenden Tagen angereist. So manch einer mag sich wie ich fragen, ob der Ring des Nibelungen bei der vom Bewegungstheater und der Choreographie herkommenden Regisseurin Rosamund Gilmore (die offenbar mit den Drei Schwestern von Péter Eötvös einen guten Job gemacht hat) in den bestmöglichen Händen war? Ist es kompatibel, dass mit bloßer Körperbewegung ein zweiter subkutaner Handlungsstrang in einer Oper des 19. Jahrhunderts erzählt wird? Doppelt man nicht unnötig? Degradiert man dadurch nicht allenfalls die Solisten zu Statisten bzw. teils auch die TänzerInnen, wenn so überwältigend gesungen wird, dass das „Herumgehopse“ nur noch als störend empfunden wird? Warum muss ein entfesselter Tänzertrupp im Moment, wo Siegfried und Brünnhilde sich am Ende des dritten Akts in die Arme fallen, um die zwei herumspringen und sich auch noch an die beiden anklammern? Wenn der Bewegungskanon ausgereizt ist, werden die Einlagen der „mythischen Elemente“ nicht langweilig? Sicherlich, man muss den Ring nicht tagesaktuell überpolitisierend deuten, aber so im Allerharmlosesten und auch Ungefähren bei wechselnd guten Bühnenbildern stecken zu bleiben, genügt heutigen Ansprüchen an das Theater nicht. In Wien musste ja ein Ring-Versuch in der Ära Drese (Regie Filippo Sanjust) wegen Beliebigkeit und vernichtender Kritiken nach der Walküre abgebrochen werden. Aber das waren nich andere Zeiten. Davon ist man hier meilenweit entfernt. Aber die Frage muss erlaubt sein, zumal es sich nicht um irgend ein Haus handelt, sondern eines der ersten im deutschsprachigen Raum mit einem der besten Orchester überhaupt. Und so feiert jeden Abend das Publikum wohl eher die teils exzellenten Sängerleistungen in den großen Partien und stört sich wahrscheinlich nicht weiter an dem, was auf der Bühne passiert. Wenn man den Argumenten im deutschen Feuilleton folgt, dann hat die Leipziger Oper mit Regietheaterexzessen durch die Jahre hindurch so die Publikumsreihen gelichtet, dass man sich für eine Gegenpendelbewegung in Richtung größerer Gefälligkeit entschieden hat. Nach den Foucault’schen Gesetzen wird ja mit so einem Pendel die Erdbewegung nachgewiesen. So dreht sie sich immer noch, die alte (Opern)Welt. Jedoch – Intendanten aufgepasst – das Publikum will zuallererst große Musik und dann vielleicht auch noch einen spannenden Theaterabend haben, aber bitte nicht aberwitzig neu gedeutet noch beliebig oder allzu stromlinienförmig. In diesem Spagat liegt ja die eigentliche Falle heutigen Theaters begründet. Ob die Leipziger Oper sich mit dem neuen Ring in diesem Netz verfangen hat, müssen andere beurteilen.

Wie auch immer, es bewahrheitet sich die alte Regel, dass über Erfolg oder Nichterfolg einer Oper letztlich die Protagonisten auf der Bühne, der Chef und seine Hundertscharen im Orchestergraben entscheiden. Auf diesem Gebiet ist ja Leipzig mit dem Gewandhausorchester gesegnet und die Sängerinnen und Sänger der letzten drei Tage sind mehrheitlich auf jeden Fall Bayreuth-oder MET-würdig, was immer das auch heute noch bedeuten mag.

Noch eine wichtige Bemerkung: Ganz grundsätzlich mangelt dieser Ring an einer Personenregie, die diesen Namen verdient. Vieles ist hübsch arrangiert, gesungen wird an der Rampe, die Figuren blieben, wenn sich nicht aus eigener Persönlichkeit leuchten, in Stereotypen stecken, was zumal bei Siegfried ein Ärgernis darstellt. Im wohl hässlichsten Kostüm der Theatergeschichte (enge braune verwaschene Hochwasserlatzhose plus quer braun gestreiftes Clownshirt) wird Siegfried zum kindischen Deppen degradiert. Wer so aussieht, ist kein Held, sondern ein der Lächerlichkeit preisgegebener Kasperl. Vielleicht sogar ein Kretin, der in der Kindheit stecken geblieben ist. Gott sei Dank darf er beim Schlussduett wenigstens schwarze Hosen und ein Hemd tragen, sonst hätte Brünnhilde wohl eher schallend gelacht, als diese Figur als Mann zu akzeptieren. Zum Glück verfügt die Oper Leipzig an diesem Abend über Stefan Vinke, einen stimmlichen Prachtsiegfried, der solchen optischen Firlefanz  durch seine große sängerische Leistung beinahe vergessen macht. Sowohl in den Parlandopassagen als auch in den glorios aufblühenden Höhen ist Finke jeden Zoll ein Heldentenor. Einziger Einwand: Die Mittellage kling bisweilen nasal und gegen Ende der Aufführung wird schon die Kraftanstrengung spürbar. Die Schmiedelieder lehren ihn aber ebenso wenig das Fürchten wie der Wanderer oder der zu einem fetten Uncle Sam stilisierte Wurm Fafner (rollendeckend Rúni Brattaberg). Ganz wunderbar das Liebesduett mit der lyrischen Elisabet Strid als wirklich jugendlicher, zur Liebe erwachender Frau. Strid ist zwar jeden Zoll keine Hochdramatische, die Stimme trägt aber so gut, sie singt soo schön und die wenigen dramatischen Höhen am Ende sitzen auch tadellos, dass dieses ungewöhnliche Besetzungskonzept gut aufgeht.

die
3. Akt. Copyright: Tom Schulze

Als Mime darf der schon im Rheingold positiv aufgefallene Dan Karlström zeigen, was er so wirklich drauf hat. Und das ist viel. Ein Sängerschauspieler mit Quecksilber in den Knochen, der Mime so richtig als einen intriganten Fiesling und ein durchtriebenes machtgieriges Miststück glaubwürdig verkörpert. Stimmlich blieben bei seinem hellen Charaktertenor keine Wünsche offen. Da ist es verkraftbar, dass gerade im 1. Akt Bewegungstheaterexzesse wie in einer Ökokommune (siehe Foto) viel von der Schärfe der doch dunklen Komödie nehmen.

Auf der Bühnen zum zweiten Akt sind zwei durchbrochene Betongebilde verbunden durch eine efeubewachsnen Brücke zu sehen. Mime fährt mit dem Fahrrad herum (gähn), Alberich darf im Beamtenoutfit mit weißem Staubmantel und Biederbrille  gar nicht so böse sein, wie er es sollte. Auf jeden Fall singt Jürgen Linn ganz vortrefflich, die Bühne von rechts nach links und wieder zurück mit Schritten durchmessend wie ein Uniprofessor vor seinen Studenten. Stimmlich eine große Enttäuschung ist der Wanderer des Evgeny Nikitin. Mit eher kleinvolumigem Bassbariton schleift Nikitin  Höhen von unten an, eine treffsichere Intonation zählt ebenfalls nicht zu den Atouts dieses Sängers. Mit Wagner-Barett und blauem Kittel bleibt er auch als Figur Schablone. Dramaturgisch ist dann zwar glaubhaft, dass ein Siegfried vom Schlage eines Stefan Vinke diesen schwach gewordenen Gott mit Handstreich aus dem Weg räumt. Aber für Stimmfreunde ist es unbefriedigend, wenn die große Wanderer-Szene im dritten Akt keine nachhaltigen Spuren hinterlässt. 

In diesem Moment muss kurz auf die Interpretation von Ulf Schirmer eingegangen werden. Sehr auf Theatereffekte und große Emotion bedacht, achtet Schirmer zu wenig auf die Sänger. Da wird schon mal mit Orchesterwogen über die Sänger hinweggeflutet, dass nur die absoluten Großkaliber (Schager, Libor, Vinke, Thomas Mohr, Piccolomini) dabei nie untergehen. Das Gewandhausorchester, das auch kammermusikalisch reüssiert, klingt im Fortissimo zuweilen grob und von den Bläsern her ungeschlacht. Es mag zwar schwierig sein, den ganzen Orchesterapparat über den immens breiten Graben hinweg klanglich feinzutunen, einige Zwischentöne mehr hätten nicht geschadet. Außerdem ist die Temporegie auch etwas seltsam. Sehr breite Tempi in den dialogischen Szenen wechseln ab mit naturereignishaften dynamischen Zuspitzungen, ohne immer einen stringenten Eindruck zu hinterlassen bzw. konzeptuell erklärbar zu sein. Um aber keinen falschen Eindruck zu erwecken: Das Orchester insgesamt bietet eine große Leistung und spielt – die vorigen Einwände unbenommen – ereignishaft.

Die auseinander gebrochene Säulenhalle à la schiefer Turm von Pisa der Walküre dritter Akt ist auch Schauplatz der ersten Szene im dritten Akt Siegfried. Hier zeigt Siegfried seine Kraft und Willen, das Fürchten zu lernen, und eilt vom Waldvögelein (szenisch einer Ballerina im weißen Tüll anvertraut, vokal glanzlos Eun Yee You) geleitet zum Walkürenfelsen, um seine Brünnhilde mit Kuss zu beleben. Nach einem großartig gesungenen Schlussduett viel Jubel im Haus. Ich denke, heute wird so manche Durchhalteparole ausgegeben. Den Ring an vier Tagen durchzuziehen, ist nicht nur für ein Theater eine Megaaufgabe, auch das Publikum ist echt gefordert. Während einer Führung in der Leipziger Oper heute vormittag konnte ich schon das Bühnenbild der Götterdämmerung von der Seite her sehen. Weißt Du, wie das wird?

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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