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LEIPZIG/Oper: TANNHÄUSER – Neuinszenierung

Zweite Aufführung der Inszenierung von Calixto Bieito

25.03.2018 | Oper

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Der Opernchor und die Solisten. Copyright: Tom Schulze

LEIPZIG / Oper: TANNHÄUSER, 24.3.2018 – zweite Aufführung der Inszenierung von Calixto Bieito

„Tannhäuser stellt den Kampf der zwei Prinzipien dar, die das menschliche Herz zu ihrem Hauptschlachtfeld erwählt haben, d.h. des Fleisches mit dem Geiste, der Hölle mit dem Himmel, Satans mit Gott.“ Charles Baudelaire „Richard Wagner und der Tannhäuser“

Jetzt haben wir es auch amtlich vom vielbeschäftigten spanischen Regietheaterzampano Calixto Bieito: Alle Männer sind brutale, grausliche sadistische Kerle, auf sexuellen Missbrauch aus, sie tummeln sich am liebsten in dumpfen männerbündlerischen Zirkeln, Frauen sind ihre (hörigen) Opfer. Daher wird in der Aufführung andauernd gewürgt, gegrapscht, geprügelt, ganz in sadomasochistischer Fetischmanier, wie dies Bieito auch schon bei seiner „Entführung aus dem Serail“ an der Komischen Oper vorexerziert hat. Wenngleich es natürlich im Tannhäuser auch um Sexualität geht und diese Sicht bisweilen starke, zumindest verstörende Theaterbilder gibt, werden ebenso wichtige Facetten der Oper wie Religion, Spiritualität, das Künstlerdrama, Polarität oder die politische Dimension komplett ausgeschaltet.

Und jetzt der Reihe nach: Der katalanische Regisseur Calixto Bieito will in seiner „Wanderinszenierung“ nach der echten Premiere 2017 an der flämischen Oper in Gent und Antwerpen eine postkapitalistische Welt, in der jeder verloren ist, sichtbar machen: Tannhäuser stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens: Liegt er im Genuss, im Leiden, in Sexualität, Angst, Religion? Die Oper handelt für ihn wesentlich von einem verwirrten Mann in einer verwirrten Gesellschaft. Die Gesellschaft befindet sich in einer Situation der Hysterie; man versucht, die Dinge zusammenzuhalten, doch es gelingt ihr nicht.

Es wird die Dresdner Fassung gespielt. Während der Ouvertüre erleben die Zuschauer eine Art Ballett der Bäume. Äste auf Metallhaken hängen wie Rinderhälften im Kühlhaus von der Decke und sind in ruheloser Bewegung, während die schlanke nur in ein schwarzes Satinnegligée gewandete Venus einsam wie ein Waldgeist umherschleicht. Tannhäuser hat ja vorerst einmal genug von der amourösen Dauerbrunst. Und weil er nicht Minnesänger noch ein zwischen den Welten changierender Rastloser sein darf, sondern ein grober Lackel in ebensolcher Drillichkleidung, würgt und zwingt er Venus einmal handfest in die Knie, bevor er endgültig abhaut.

Auf der Wartburg wird Tannhäuser von seinen Kumpels Wolfram, Walther, Biterolf, Heinrich und Reimnar derb empfangen mit Knüffen und allerlei ritualisierten Machogehabe wie bei einer Motorradgang, bevor am Ende des ersten Aktes alle sechs sich ihre nackten Oberkörper mit roter Farbe einschmieren und wilde Urlaute in das Publikum schreien. Sie dürfen raten, was folgte: Der erste wilde Buhorkan.

Wie die im Wald im direkten Kontakt zur Natur lebende Venus sieht Bieito auch seine Elisabeth aus Fleisch und Blut auf der Bühne. Sie soll eine Frau sein, die massiv von der Gesellschaft unterdrückt wird und daher im dritten Alt verrückt wird. Vorerst räkelt sie sich im dunkelblauen Satinnegligée (eine Art Schwester der Venus) am Boden der mit weißen Hochglanzbalken als mächtiger Kubus stilisierten Halle, bevor sie auf einem Balken sitzend mit ihrer Hallenarie beginnt. Im Verlauf des Sängerkriegs wird die Sache immer bizarrer. Die Minnesänger legen sich alle mit dem Gesicht nach unten flach auf den Boden. Wolfram riecht an den Stöckelschuhen Elisabeths, Tannhäuser zieht sich auf offener Bühne seinen Smoking an. Der in rotem Samtsakko wie ein Türsteher eines zwielichtige Clubs aussehende Biterolf wirft sich brutal in die Auseinandersetzung, hält zuerst Tannhäuser fest, sodann Elisabeth, die sich den geifernden Händen einiger älterer Männer ausgeliefert sieht. Das soll wohl die Strafe dafür sein, weil sie sich für den den Lüstling Tannhäuser einsetzt. Mit der Figur des Landgrafen kann Bieito naturgemäß in diesem Konzept überhaupt nichts anfangen, er steht herum und singt halt. Dann gehts nach Rom. Die zweite Welle der erbosten Buhs.

Im dritten Akt sind alle wahnsinnig. Um die weißen Säulen ist jetzt die schwarze Teichfolie gewickelt, Bäume hängen von der Decke. Elisabeth frisst Dreck und schmiert sich damit auch das Gesicht ein. Wolfram knetet während des Gebets ihre Brüste, er würgt sie brutal. Auch Wolfram darf nicht der andere Pol, sondern muss offenbar alter ego des Tannhäuser sein. Am Ende das große Finale einer Gesellschaft im Dreck, Venus mitten drin, Elisabeth sitzt wirr am Rand des Orchestergrabens, Tannhäuser lehnt an einer Säule, keiner stirbt, Vorhang.

Warum tut sich ein Freund der Musik Wagners so etwas an? Da gibt es einen einfachen Grund für mich: Das Gewandhausorchester Leipzig und eine Schar außerordentlicher bis guter Sänger. Nach der von Ulf Schirmer mit durchwachsenen Kritiken geleiteten Premiere hat die zweite Vorstellung Christoph Gedschold dirigiert. Gedschold verstand es wunderbar, die Partitur zum Leuchten zu bringen, den beiden musikalisch – ähnlich wie im Parsifal – so unterschiedlichen Klangwelten unterschiedliche Kontur zu verleihen. Von allen großen deutschen Orchestern hat das Gewandhausorchester den am wenigsten dunklen Klang, mattsilbern, die Bläser samten koloriert. Kein düster herbstlicher Ton ist diesem Orchester eigen, allerdings ist auch der Streicherklang weniger rauschhaft und opulent wie etwa bei den Dresdnern oder den Wiener Philharmonikern. In der DDR hat sich dieser alte obertonreiche deutsche Klang offenbar erhalten. Gewandhaus-Bratscher Konrad Lepetit erklärt das Leipziger Spezifikum so: „Die amerikanischen Orchester spielen sehr viel mehr auf den Punkt. Das heißt, es gibt eine gewisse Härte, von der der Klang sich auslöst. Bei uns gibt es beim Tonanfang einen runden Einstieg – eine Farbgebung, die sich innerhalb eines Klanges entwickelt, die in einem Ton eine gewisse Dynamik hat.“ Jedenfalls ist das Leipziger Gewandhausdorchester nach Bayreuth mein weltweit präferiertes Wagner-Orchester. Schon alleine des einmaligen Orchesters wegen ist Leipzig also jederzeit ein lohnendes Reiseziel.

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Kathrin Göring (Venus). Copyright: Tom Schulze

Die Besetzung wird von den zwei Frauen angeführt. Die aparte Venus der Kathrin Göring, grandios lyrisch mit wunderschönen in der Kuppel sitzenden Höhen. Die Schwedin Elisabet Strid ist rein stimmlich eine ideale Tannhäuser Elisabeth. Eine jugendlich-dramatische wie aus dem Bilderbuch, die Höhen von oben angesetzt, mit dramatischer Durchschlagskraft, sämigen Legatobögen und vorbildlicher Diktion gesegnet. Diese Künstlerin, die ich schon als Siegfried Brünnhilde gehört haben, hat sich enorm entwickelt. Strid ist nicht nur eine große Sängerin mit einer unschwer vorauszusagenden hochdramatischen Zukunft, sondern auch eine Darstellerin von Rang. Was sie als Elisabeth zu ertragen hat, wäre für viele Kolleginnen wohl nicht leicht zu schlucken gewesen. Strid formt jedoch aus der oben beschriebenen Vorgabe der Regie einen runden glaubhaften Charakter und fasziniert als Vollblutbühnentier.


Mathias Hausmann (Wolfram), Elisabet Strid /Elisabeth), Patrick Vogel (Walther). Copyright: Tom Schulze

Auch in der zweiten Vorstellung hat der tapfere Stefan Vinke vom ursprünglich angesetzten Burkhard Fritz die Titelpartie übernommen. Vinke war wohl nicht in der besten Verfassung, vor allem im ersten Akt kamen einige grobe unschöne Töne, auch kämpfte er bisweilen hart mit der Intonation. Eleganz der Phrasierung war an diesem Abend ebenso seine Sache nicht. Aber Stefan Vinke hat ein solches Durchhaltevermögen, eine überwältigende Stimmkraft, und glüht als intensiver, glaubwürdiger Darsteller. Die Rom-Erzählung gelang ihm ganz vorzüglich. Der einsamer Buhrufer beim Solovorhang hat sich offenbar noch nie den Klavierauszug angesehen, um zu wissen, was es heißt, diese Partie trotz aller Einschränkungen so zu singen, wie es Stefan Vinke getan hat. Der Österreicher Mathias Hausmann als Wolfram von Eschenbach ist dem Applaus nach zu schließen Publikumsliebling in Leipzig, und das zu Recht. Mit metallisch gefärbtem, technisch perfekt geführtem Kavaliersbariton ist Hausmann ein nicht nur stimmlich äußerst attraktiver Wolfram. Auch er gibt seine Figur trotz harter Regievorgaben nie der Lächerlichkeit preis. Am Ende ist es Wolfram, der sich die Kleider vom Oberkörper reißt und sich nach Venus verzehrt. Leider war Landgraf Hermann bei Rúni Brattabergs rau polterndem Bass mit eklatanten Höhenschwierigkeiten nicht gut aufgehoben. Eine Entdeckung hielt der Abend auch bereit: Patrick Vogel als Walther von der Vogelweide ließ mit seinem herrlich timbrierten Tenor mehr als aufhorchen. Was für eine Luxusstimme. Wahrscheinlich ist er ein Mozartsänger vom Allerfeinsten. Den Namen muss man sich auf alle Fälle merken. Auch Randall Jakobsh als Biterol, Kyungho Kim als Heinrich der Schreiber und Andrii Chakov als Reinmar von Zweter gaben ihren Rollen Eigenprofil. Danae Kontora sang den jungen Hirten. Der Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig waren in bester Verfassung und überwältigten am Ende. Während des Einzugs der Gäste auf der Wartburg waren sie Opfer der Regie, weil die Sängerinnen und Sänger ganz hinten auf der Bühne platziert schlecht zu hören waren.

Fazit: Wegen des herrlichen herausragenden Orchesters und der überwiegend prächtigsten Sangesleistungen ein durchaus geglückter Abend bei – wie so/zu oft heutzutage – grandios gescheiterter Regie.

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: Tom Schultze

 

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