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LEIPZIG/ Oper: LOBGESANG von Felix Mendelssohn/ Bartholdy als Ballett

20.02.2016 | Ballett/Performance

Leipzig / Oper: „LOBGESANG“ VON FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY ALS BALLETT 19.2.2016

Es gab Zeiten, da galten religiös orientierte Kompositionen als Tabu für eine tänzerische Umsetzung. Jetzt wird alles „vertanzt“, was einen Choreografen inspiriert, und da scheinen gerade sakral orientierte Werke einen besonderen Reiz auszuüben.

Für Mario Schröder war es der „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy mit seiner Aussage „Durch Nacht zum Licht“, die ihn zur Choreografie eines 1,5stündigen Ballettabends (Pr. 6.2.2016) anregte. Für eine gesteigerte Aussage fügte er Francis Poulencs „Hymne an die Freiheit“, die Kantate für Doppelchor a capella „Figure humaine“ („Menschliches Antlitz“) in Teilen ein, die Poulenc 1943´während der Besetzung Frankreichs im 2. Weltkrieg schrieb.

Mit dem „Lobgesang“, den Mendelssohn 1840 als Auftragswerk für die 400-Jahrfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg als „Sinfonie mit Chorfinale“, im Gegensatz zu L. v. Beethovens „Neunter“, mit nur einem Drittel reiner Instrumentalmusik und zwei Dritteln vokaler Musik schrieb, und der in der Leipziger Thomaskirche uraufgeführt wurde, kehrte eine Komposition in die Stadt ihres Ursprunges zurück. Leipzig verdankte als Stadt des Buchdruckes und Verlagswesens seinen materiellen und kulturellen Reichtum letztendlich dieser Erfindung, denn „Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert und mehr als das Blei in der Flinte das Blei im Setzkasten“ (G. C. Lichtenberg).

Die imaginäre „Handlung“ des Ballettes assoziiert Fragen der menschlichen Existenz zwischen Krieg, Bedrohung, Schrecken und Trauer („Figure humaine“) und gottvertrauender Zuversicht und Hoffnung („Lobgesang“), aber auch Erotik als Synonym für menschliches Leben.

Schröders Choreografie orientiert auf modernes Ballett, setzt auf Dynamik und viel „normale“, natürliche Bewegungen in tänzerisch überhöhten Bewegungsabläufen, zu denen oft Laufen, Sturz aus dem Lauf heraus usw. gehören. Er bezieht aber auch geschickt Elemente des klassischen Tanzes, nur eben nicht auf Spitze, dem klassischen Tanz entlehnte Hebefiguren, modernen Bewegungstanz, Elemente der Pantomime und der Akrobatik (pyramidenähnlicher Aufbau), mit ein und auch Elemente, wie man sie vom Eiskunstlauf kennt, verbunden durch die Gestik des Ausdrucks. Es ist immer alles in Bewegung – „alles fließt“.

Oft bewegt sich ein „Großaufgebot“ an Tanzenden auf der Bühne in exakt geometrischen Formationen, belebt durch kleinere Gruppen, Pas des deux, Pas de trois und seltener auch einer Solo-„Nummer“. Mitunter überschneiden sich die Bildern, so dass es schwer wird, Vorder- und Hintergrund gleichzeitig zu beobachten, da in beiden Fällen interessante und sehr unterschiedliche, ausdrucksstarke Darbietungen das Bühnengeschehen bestimmtem, fast ein „Übermaß“ an Gebotenem, aber gut arrangiert.

Es erscheinen immer wieder neue, variierte Tanzelemente und Gruppierungen, neue Bilder und auch Gleiches und Ähnliches, so dass sich mancher Kreis schließt. Neben sehr guten Einzelleistungen probiert auch schon mal ein Tänzer im Vordergrund den „Schmetterling“ auf halber Spitze aus dem Stand heraus, etwas wackelig (was manche Tänzerinnen anderswo perfekt aus der Bewegung heraus können). Die Besonderheit besteht nur darin, dass es ein Tänzer versucht. An anderer Stelle hängen Tänzer liegend mit einem Bein am Drahtseil und werden langsam nach oben gezogen (ähnlich einer mittelalterlichen Foltermethode) usw.

Empfangen wird der Besucher mit mächtigen Scheinwerferstrahlen zu den Klängen des „Lobgesanges“, die einen besonderen Ballettabend des Leipziger Balletts verheißen. Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Christoph Gedschold, ab 2014/15 Kapellmeister an der Oper Leipzig, gestaltet die Musik sehr eindrucksvoll und bietet den Tänzerinnen und Tänzern eine gute musikalische Basis.

Nun ist Musik, die von ihrem Komponisten zum reinen intuitiven Hörerlebnis gedacht war, nicht unbedingt geeignet, bei der tänzerischen Umsetzung zu einer völligen Einheit zwischen Musik und Bewegung anzuregen wie es in den großen klassisch-romantischen Ballettkompositionen geschieht. Sie kann in solchen Fällen letztendlich nur mehr oder weniger eine den Tanz untermalende, ausdrucksvolle „Klangkulisse“ bilden, wie sich das am besten bei den Teilen aus Poulencs Kantate ergab.

Bei Mendelssohn „verselbständigte“ sich der Tanz oft, am auffälligsten beim Höhepunkt des „Lobgesanges“, wenn sich das Licht gegen das Dunkel durchsetzt. Da war es schwer, tänzerisch adäquat „mitzuhalten“. Dafür sorgten die Gesangssolisten für einen musikalischen Höhepunkt. Zu einem ganz besonderen „Highlight“ gestaltete sich der Auftritt von Hellen Known von der Hamburgischen Staatsoper, die ihre Weltkarriere mit der Partie der Königin der Nacht begann und inzwischen an die 400 Mal gesungen hat. Sie war die Idealbesetzung der Sopranpartie mit allen Tugenden einer ausgezeichneten Sängerin und auffallend schöner, aus- und eindrucksvoller Stimme, bei der viel mitschwingt und die trotz übersteuerter Tontechnik ihre Wirkung nicht verfehlte.

Ihr zur Seit standen die Altistin Magdalena Hinterdobler, deren Stimme sich im Duett homogen mit der von Hellen Known verband und Martin Pätzold, bekannt als vielbeschäftigter Oratorientenor, der an der Oper Leipzig auch Rollen in Opern von Mozart und Wagner singt und der mit den beiden Frauenstimmen im Terzett sehr gut harmonierte. Beide beeindruckten ebenfalls mit ihren Soli. Alle drei Solisten widmeten sich ihren Partien mit viel Engagement und Können und ließen sich offenbar von der Musik Mendelssohns leiten. Sehr eindrucksvoll erklangen, die vom Tenor a capella gesungenen Worte: „Hüter, ist die Nacht bald hin?“ und die reine, klare Antwort der Sopranistin als Sieg des Lichtes über die (geistige) Dunkelheit.

Sehr dekorative und eindrucksvolle „Bühnenbilder“, bei denen nur aus Scheinwerferlicht (Michael Rüger), Dampf und „Nebel“ Atmosphäre gezaubert wird, begleiten die Szenen. Nach dem ersten, rein instrumentalen Teil des „Lobgesanges“ öffnet sich ein Vorhang im Bühnenhintergrund, und der Chor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) und Jugendchor (Einstudierung: Sophie Bauer), die ihre Aufgaben sehr gut erfüllten, werden wie in einem Rahmen sichtbar. Über dem Chor werden bei den eingeschobenen Teilen von Poulencs Kantate zuweilen wesentliche Zitate in großen, Gutenberg-Lettern im Bühnenhintergrund sichtbar. Chor und Zitate verschwanden auch schon mal im Dunst des Scheinwerferlichtes, aber irgendwie passte alles zusammen.

Die Kostüme in schwarz und weiß, zuweilen ein wenig bläulich vom Scheinwerferlicht „belebt“, bildeten die optische Grundlage. Einzige „Farbtupfer“ sind am Anfang die von oben in Vielzahl herabgelassenen Kostüme in weiß, mit rotem Mantel, die später noch einmal zur Erinnerung oder um einen Kreis zu schließen oder besonderen Effekt zu erzielen, erscheinen, und an anderer Stelle goldene, metallic-artige „Tücher“, die die Tänzer hinter sich herziehen und die später als einzelne Knäuel auf der Bühne liegen. Man ist fasziniert, und weiß nicht, warum. Liegt es an dem kongenialen Zusammenwirken von Bühne, Video und Kostümen, alles in einer Hand bei Paul Zoller, an den tänzerischen Leistungen oder der Musik und ihrer Umsetzung? Wahrscheinlich liegt es in dem kongenialen Zusammenwirken all dieser Faktoren.

Ingrid Gerk

 

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