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LEIPZIG/ Musikalische Komödie: DIE DOLLARPRINZESSIN von Leo Fall. Premiere

16.10.2022 | Operette/Musical

LEIPZIG / MUSIKALISCHE KOMÖDIE: DIE DOLLARPRINZESSIN von LEO FALL – Premiere
15.10. 2022 (Werner Häußner)

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Foto: Tom Schulze

So sieht sie also aus, die schöne neue Welt, in der die Frauen endlich die Macht übernommen haben. Sie „pfeifen auf die Männerwelt“ und lassen fröhliche Leuchtbuchstaben „La la la“ verkünden. Matthias Reichwald hat an der Musikalischen Komödie Leipzig in seiner ersten Operetteninszenierung Leo Falls „Die Dollarprinzessin“ korrekt zeitgeistig hingebogen. Und in der feministischen Lesart des Finales ein bisschen unterschlagen, dass die Frauen in diesem selten gespielten Stück so sympathisch eigentlich nicht sind.

Müssen sie auch nicht, wird der emanzipatorische Geist jetzt einwenden. Und das stimmt. Im Entstehungsjahr 1907 hat sich Leo Fall im Verein mit seinen Librettisten Alfred Maria Willner und Fritz Grünbaum einiges getraut. Unter der Chiffre Amerika und beflügelt vom Mythos vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ entwirft das Trio eine selbstbewusste, über ihre Geschäfte wie über ihr Gefühlsleben und ihre erotischen Unternehmungen selbst bestimmende junge Frau: Alice, die Milliardärstochter. Eine andere, Daisy, die Milliardärsnichte, lässt sich von den Männern ebenfalls nichts vorschreiben: Wenn der Onkel die Heirat verbietet, wird eben durchgebrannt. Die dritte im Bunde ist eine Art Csardasfürstin. Sie kommt als „Olga von der Wolga“ in den zweifelhaften Genuss, für den Milliardär selbst in Europa eingekauft zu werden, schlägt den Erwerber aber mit dessen eigenem Spleen: Eine Adlige muss zum Heiraten her? Gut, dann geben wir uns eben als Gräfin aus und setzen unsere Überzeugungskraft ein, denn als Diseuse im Varieté haben wir gelernt, wie man Männer mit ihren eigenen Illusionen manipuliert.

Dass sich in diesem Sujet ein erstaunlich emanzipatorisches Frauenbild mit kräftiger Kapitalismuskritik und dem Klischee vom Gegensatz des reichen, kulturlosen Amerikas zum alten, verarmten, aber kultivierten Europa verbindet, beleuchtet Regisseur Reichwald in seiner bunt-spritzigen Inszenierung operettengerecht eher anekdotisch als prinzipiell. Zwar baut er in seine Bearbeitung des im Original drögen Librettos kräftig kritische Sprüche ein, aber in der Zeichnung der Figuren bleibt einem das Lachen zu selten im Hals stecken. So ist Milko Milev als Kohlemagnat John Couder trotz seines ersten Auftretens als sich selbst inszenierender Napoleon ein zu jovialer Charakter, um den gemüthaften Patriarchen in ein gefährliches Zwielicht zu rücken. Offenbachs König Bobèche wäre ein besseres Vorbild gewesen als die Wiener Komikercharge.

Auch die beiden Handlanger Dick (Radoslaw Rydlewski) und Tom (Andreas Rainer mit sympathischem Österreich-Zungenschlag) könnten übers Spaßige hinaus einen Zug Niedertracht vertragen. Ergiebig erweist sich die Idee, den ursprünglich stummen Rollen zweier Aristokraten Sprechtexte zu schreiben, die sogar Witz und Niveau haben: Der Graf (Stefan Ebeling) und der Herzog (Armin Zarbock) müssen, da in Europa verarmt, beim neuen überseeischen Geldadel in Übersee dienen – immerhin nobel weiß behandschuht. Der „amerikanische Kretin“ schenkt ihnen nichts, und ihre ohnmächtig zynischen Kommentare zum Niveau an diesem Kohlenhof lassen keinen Zweifel aufkommen, dass hier nur Geld regiert.

Das haben auch die Damen verinnerlicht, jede auf ihre Weise. Alice, die Tochter des Superreichen, eine klischierte blonde Schönheit, ist überzeugt, sie könne die Männer nach dem Klingeln der Münzen und dem Knistern der Scheine tanzen lassen. Nicole Lubinger verkündet ihre Botschaft im silbrigen Ton eines gut fokussierten, höhensicheren, aber etwas steifen Soprans. Dass es einen Mann geben könnte, der selbst gegen eine Millionenmitgift so etwas wie Stolz setzt, steht nicht in ihrer Bilanz. Entsprechend die „Katastrophe“ des zweiten Finales. Wie es sich in der Operette gehört, schlittert das „hohe“ Paar in die Krise, und der – ungefragte, aber heimlich hoffende – Auserwählte Fredy Wehrburg, natürlich ebenfalls ein adliger Europäer, macht sich davon. All die schönen Liebestöne, in denen Adam Sanchez zuvor seinen Tenor strömen und leuchten ließ, scheinen umsonst. Und die reiche Schöne bleibt verstört zurück: Das Weltbild der armen Dollarprinzessin hat einen unkittbaren Knacks davongetragen.

Bei Nichte Daisy und ihrem begabten Reitlehrer bahnt sich ebenfalls die Krise an, denn die Flitterwochen, die einem Ehevertrag auf rein „platonischer“ Basis folgen, gehen nicht so aus, wie es Olivia Delaurè in quicklebendigen Klängen besingt. Ihr beflissener Freiherr (Jeffrey Krueger) hätte doch gegen die festgelegten erotischen „roten Linien“ verstoßen sollen – was er, wie sich später herausstellt, durchaus getan hat. Auch der dritten Dame geht es ums Geld, mit dem sie ihre eigenen Träume verwirklichen möchte: Die Abfindung ihres genervten Gatten ermöglicht ihr, in Kanada ein Theater zu eröffnen und ihrer ureigenen künstlerischen Berufung nachzugehen: „Gut geht`s Kanada, seit die süße Olga da“, verkündet ein in den dritten Akt eingelegter Schlager von Harry Ralton alias Karl Heinz Rosenthal, der bis 1933 viel für Max Ophüls und den Rundfunk gearbeitet hat. Damit bricht die Leipziger Produktion allerdings den geschlossenen Ambitus der Musik Leo Falls auf, der sich vom damals zeitgenössischen Schlager fern gehalten und strikt auf klassische europäische Formen gesetzt hat.

Die verwendet Fall jedoch mit viel Charme und Sensibilität für Text und Situation. Beim Auftritt Couders tönen Fanfaren wie im „Lohengrin“ oder in pathetischen Heldenfilmen. Das Auftrittslied von Adam Sanchez spielt mit rhythmischen und harmonischen Gebärden, die falsche Olga tritt mit gekünstelter russischer Folklore in die Szene ein. Der Walzer wird spielerisch-episodisch eingesetzt, Ensembleszenen wie das Sextett im ersten Akt bezeugen, dass Fall als Komponist nicht zu unterschätzen ist. Wenn er Amerika im schönsten altmodischen Galopp „Hipp Hipp Hurra“ singen lässt, kommt sogar ein ironischer Touch dazu.

Das Orchester der Musikalischen Komödie unter Tobias Engeli hält all diese Momente frei von speckiger Schwere, gibt der Musik trotz der üppigen Besetzung mit allen klassischen Orchesterfarben stets einen leichten, flüssigen Charakter und entfaltet in den filigran geschriebenen Köstlichkeiten Leo Falls ambitioniertes solistisches Funkeln. Und wenn man auch die anbrechende Herrschaft von Frauen, die sich für die Ehe lediglich „Hampelmänner“ einkaufen wollten, zumindest als alter weißer Mann mit gemischten Gefühlen betrachtet, verlässt man nach fast dreieinhalb Stunden das hübsch renovierte Theater doch mit guter Laune und der einen oder anderen Melodie im Ohr.

Werner Häußner

 

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