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LEIPZIG/ Musikalische Komödie: CASANOVA von Albert Lortzing

08.10.2018 | Oper

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Foto: Youtube

LEIPZIG / MUSIKALISCHE KOMÖDIE: CASANOVA von Albert Lortzing
am 7.10. 2018 (Werner Häußner)

Wer Subtexte zu entdecken versteht, ist bei Albert Lortzing klar im Vorteil. Geschickt schleust der Komponist in seinen eigenen Libretti politische Anspielungen an der Kontrolle der drückenden Zensur seiner Zeit vorbei, unterstreicht sie auch musikalisch und lässt in doppeldeutigen Momenten der Opernhandlung dennoch keinen Zweifel. Der kundige Hörer entlarvt den Freigeist, der sich – zur Rede gestellt – freilich stets aus den Schlingen des argwöhnischen Vormärz-Staates herauswinden könnte.

Auch in seiner heute ziemlich unbekannten Oper „Casanova“ von 1841 versteckt Lortzing hinter dem Biedersinn eines harmlosen Vaudevilles handfeste Botschaften. Nele Winter, die Dramaturgin der Inszenierung an der Musikalischen Komödie Leipzig, macht in ihrem Programmheft auf die politische Brisanz des Librettos aufmerksam, die der aufmerksame Zuhörer auch heute noch unschwer erkennen kann. Der zur Literatur gewordene Frauenheld und Verführer Giacomo Casanova ist hier kein galanter Don Juan, sondern ein Liebhaber der – nicht nur erotisch gemeinten – Freiheit. Frei sein sei das wahre Leben, bekennt er in seinem Auftrittslied; nicht als anzüglicher Libertin, sondern als feurig-ritterlicher Charakter, wie ihn Lortzing selbst beschrieben hat. Und wenn er die Freiheit als „mächtig‘, heilig‘ Element“ besingt, meint man den Komponisten selbst zu vernehmen.

Nicht ohne Hintersinn dürften die Parallelen zu Ludwig van Beethovens „Fidelio“ gezogen sein: Der Kerkermeister, der bezeichnenderweise die „Republik“ hochleben lässt – gemeint ist allerdings die historische Republik Venedig –, heißt Rocco; in seiner Tochter Bettina und seinem Angestellten Beppo meinen wir, Marzelline und Jaquino wiederzufinden. Und wenn Lortzing in seiner Musik feierliche Töne anschlägt, könnte er Beethovens Geist aus Konradin Kreutzers Händen empfangen haben, der auch in den romantischen Stellen für die Hörner widerhallt. Dabei pflegt Lortzing in „Casanova“ durchaus sein eigenes Idiom, das Stefan Klingele mit dem Orchester der Musikalischen Komödie feinsinnig zur Geltung bringt – auch wenn ein wenig vom Fett des Sonntagsbratens auf die Saiten der Geigen getropft sein muss. Die Anleihen bei Rossini und Auber sind beabsichtigt und wirken – wie im a-cappella-Überraschungs-Sextett in Casanovas Gefängnis im zweiten Akt – wie beziehungsvoll-humorige Zitate.

Die Musikalische Komödie Leipzig pflegt mit diesem „Casanova“ ihr Lortzing-Repertoire weiter und schaut – im Gegensatz zur großen Schwester Oper – damit auch auf das reiche Erbe von Werken, die in Leipzig uraufgeführt wurden. Leider ist Lortzing inzwischen an den Rand des gängigen Repertoires gedrängt worden: Ein Werk wie seine „Undine“ ist seit Jahren nirgends mehr gespielt worden. Und Ausgrabungen wie die resigniert-ironischen „Rolands Knappen“ oder die revolutionär gedachte „Regina“ bräuchten dringend die Befragung auf der zeitgenössischen Bühne.

Allerdings entscheidet sich Regisseur Cusch Jung – der soeben an der Oper Puccinis „La Fanciulla del West“ respektabel in Szene gesetzt hat – dafür, Lortzing als Biedermann und Unterhaltungskünstler zu sehen. Auf der Bühne steht eine Sammlung venezianischer Klischees (Beate Zoff), von den gotischen Galerien des Palazzo Ducale bis zur Kanalbrücke, unter der die Gondel anlegt. Auch die Kostüme sind opulent, ein wenig komisch übertrieben, aber ironiefrei pompös. Der heute nur noch schwer erschließbare Wortwitz Lortzings, die Anspielungen auf zeitgenössische gesellschaftliche Verhältnisse (Stellung der Frau, Weinseligkeits-Eskapismus, Bildungs-Spleens, Romane und Geister) werden so wenig pointiert gesprochen, dass sie meist unauffällig vorüberhuschen. In dieser bunten, problemfreien Vergnügungszone bleibt Lortzing ein unterhaltsamer Spaß für einen entspannten Sonntagnachmittag.

Cusch Jungs Konzept funktioniert, vor allem, wenn sich die durch reichliche Briefzustellungen verkomplizierte Intrige im dritten Akt zur Auflösung schürzt. Aber es geht eben der Aspekt unter, der Lortzings Werke heute, in einer völlig veränderten Unterhaltungskultur mit ganz anders explizit verhandelbarem Humor noch spannend machen könnte.

Die Sänger der MuKo, wie das Haus in Leipzig-Lindenau liebevoll abgekürzt wird, sind allesamt bewandert in der Kunst der Komödie. Klar, dass Michael Raschle mit Rocco den weinseligen Tolpatsch gibt, der als Hobby-Historiker die Liste aller Dogen herunterbeten könnte. Oder dass Hinrich Horn mit dem maliziösen Gambetto kein Problem hat und den Intriganten lustvoll ausspielt. Magdalena Hinterdobler bedient schönstimmig die gewitzt-selbstbewusste Bettina, Andreas Rainer als ihr Buffo-Pendant den „beschränkten Schlüsselbewahrer“ Beppo. Justus Seeger, der Festungskommandeur Busoni, ist ebenfalls durch eingeschränkte Weitsicht gesegnet, die er sich mit skurrilen Scherzen zusätzlich verbaut. Stefan Dittko gibt seinen paar Szenen als dienstbarer Fabio eine sympathische Farbe. Lilli Wünscher, als Rosaura Ziel der Sehnsüchte Casanovas, leidet zu Beginn des dritten Aktes wunderbar musikalisch und zeigt später frauliche Würde. Die Titelpartie verkörpert Adam Sanchez feurig und viril, mit robust präsentem Tenor.

Werner Häußner

 

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