LEIPZIG/ Gewandhaus: KONZERT GEWANDHAUSORCHESTER unter PATRICK HAHN mit SOL GABETTA (Dvorak, Elgar)
Eine schwierige Aufgabe
Die beliebtesten Stücke des Konzertrepertoires sind allesamt anspruchsvolle, vielschichtige und gewichtige Werke. Denken wir nur an Beethovens Sinfonien, Mozarts Opern oder jedes beliebige Stück von Bach. Ihre Beliebtheit rührt nicht von der Vielschichtigkeit der Werke her, sondern von der mitreißenden Stimme ihrer Komponisten. Die Tatsache, dass wir diese Werke auch heute noch hören können, lässt jedoch den Schluss zu, dass sie in den letzten Jahrhunderten noch zu selten aufgeführt wurden, als dass das Publikum sie vollständig kennenlernen oder die Kompositionen all ihre Facetten endgültig offenbaren könnten.
Am 29. November erklangen im Gewandhaus zu Leipzig einige der meistgespielten Werke des Konzertlebens. Elgars Cellokonzert und Dvořáks Neunte Symphonie werden jedoch nicht als schwergewichtige Werke angesehen. Dennoch scheint es nicht so, als würden diese Werke an Bedeutung verlieren. Allein diese Tatsache deutet darauf hin, dass diese Stücke doch etwas an sich haben, das es immer wieder lohnt, sie neu und anders zu interpretieren.
Die Werke von Dvořák und Elgar konnten in der Interpretation des Gewandhausorchesters und des Dirigenten Patrick Hahn dennoch glänzen. Die Oberflächlichkeit der Interpreten ist gerade dann am gefährlichsten, wenn das Stück selbst Raum dafür lässt. Dieser Raum bleibt dem Interpreten ungewollt frei, mit der einen Besonderheit, die sie so beliebt macht: weil sie wirkungsvoll sind. Eine Reihe von Melodien, eine wundersamer als die andere, unglaubliche dynamische Dimensionen und eine ganze Reihe unterschiedlicher Charaktere lassen den Zuhörer gar nicht anders, als das Werk zu genießen.
Man sagt oft, dass der wichtigste Zuhörer der Interpret selbst ist. Bei Werken dieser Art kann dies zu einem unterhaltsamen, aber unstrukturierten Spiel führen, da die Musiker über den oberflächlichen Glanz nicht hinauskommen. Zu ihrer Verteidigung muss gesagt werden, warum sollten sie sich einer tiefenanalytischen Untersuchung unterziehen, wenn das Werk unter ihren Händen gut klingt? Die Zufriedenheit mit dem „guten Klang” führt jedoch zu Oberflächlichkeit, die sich nicht auf das Erleben und die emotionale Erfahrung des Stücks bezieht, sondern auf das Fehlen eines Konzepts. Wenn ein Stück nicht in seinen Wurzeln verstanden wird, wird seine Aufführung immer nur momenthaft ausgearbeitet sein, und der dramaturgische Bogen des Stücks wird zerfallen.
Die momentane Ausarbeitung war bei der Interpretation beider Werke beeindruckend. Nicht nur die einzelnen Orchestersoli waren überaus selbstbewusst und dennoch demütig im Verhältnis zur Harmonie des Orchesters, sondern auch das perfekt synchronisierte Spiel und die Proportionen der barock durchbrochenen Klangbilder versetzten den Zuhörer immer wieder in Staunen.
Sol Gabetta war die Solistin des Abends. Elgars Cellokonzert hatte das Publikum bereits zu Beginn der Saison im Musikverein hören können, wo sie das Stück mit den Münchner Philharmonikern und Lahav Shani aufführte. Im Gewandhaus zu Leipzig schien Gabetta ihre Herangehensweise an das Konzertstück gegenüber September völlig geändert zu haben. In ihrer Novemberaufführung überraschte nur die Härte ihrer Pizzicatos und deren spürbare Unregelmäßigkeit in der intensiven Grundstimmung der Interpretation. Obwohl Gabettas Celloklang nicht besonders laut war und sie sich daher nie mühelos über den Orchesterklang erheben konnte, kam ihre Ausdruckskraft selbst in dieser seltsamen Gleichwertigkeit zum Tragen. Dies ist schon allein deshalb ein großes Verdienst, weil in Elgars Cellokonzert das Orchestergewebe sehr fragmentiert ist und sich nur stellenweise verselbstständigt. Die Charakterisierung des Orchesters schien fast unmöglich an den wenigen Stellen von „ ”, an denen es ohne Solisten die Möglichkeit hatte, das Potenzial des Ensembles zu präsentieren.
Auch die Zugabe war dem Publikum gut bekannt: Gabetta spielte Casals‘ „Gesang der Vögel”, ergänzt durch die Cellostimme. Die mangelnde Durchdachtheit hinterließ auch in diesem Werk eine Lücke, die jedoch aufgrund der Art des Stücks nicht so auffällig war.
Das Orchester konnte sich in der Dvořák-Sinfonie am besten präsentieren. Der oberflächliche Glanz, die Verehrung der Fortes und die Sanftheit der Pianos wurden nach einer Weile vorhersehbar. Dies zu verhindern, ist grundsätzlich Aufgabe des Dirigenten, der ursprünglich nicht Patrick Hahn sein sollte. Hahn sprang als Ersatzdirigent ein, daher ist es bei der Bewertung seiner Leistung nicht relevant, Perfektion als geometrische Einheit zu bezeichnen.
Die aufgrund ihrer Popularität aufgeführten Werke laufen leider Gefahr, an den Rand des Konzertlebens gedrängt zu werden, wo die Interpreten nicht mehr bereit sind, über den oberflächlichen Glanz hinauszugehen. Es ist jedoch äußerst schwierig, wieder an die Tiefe der Werke zu glauben, die an diesen Rand gedrängt wurden.
Szigmond Szilárd

