Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LEIPZIG: DIE WALKÜRE – Zyklische Aufführung des Rings

07.05.2016 | Oper

LEIPZIG/ Oper Zyklische Aufführung des Rings: DIE WALKÜRE, 6.5.2016
Siegmund triumphiert, Wotan verpasst den Auftritt im dritten Akt


Die Walküren. Copyright: Tom Schulze

So muss Oper sein: Ereignishaft, siedend und emotional aufputschend. Für alle dies sorgten schon   der junge österreichische Heldentenor Andreas Schager als ekstatischer Siegmund und Christiane Libor als jubelnde Sieglinde. Auch der musikalische Chef des Hauses, Ulf Schirmer, ließ es im Orchester so richtig krachen, sorgte aber auch in den lyrischen Passagen für rauschende Klangpracht. Diese Urgewalten des Rings betrugen sich auch auf das Publikum, das am Ende allen Musikern mit Ovationen dankte. Auch szenisch gab es diesmal starke Theaterbilder zu bestaunen. Sommerliche Hitzegrade waren nicht nur vor der Oper garantiert.

Dabei beginnt der erste Akt ja mit einem Schneesturm. Es ist Krieg, Siegmund stürzt vor Verfolgung in einen dicken Pelz gehüllt durch eine rostige Eisentür in einen Betonbunker. Auf dem Flachdach Stacheldrahtrollen, drei mythische Paare (die sich jeweils zusammen zu einem Widder, einem Raben und einem Tierskelett ergänzen) tanzen einen wilden Techno-Rave. Kahle Baumreste deuten auf Zerstörung. Gewehre an den Wänden, ein Tisch, eine Eisenleiter zum Dach. Von der Personenführung her ist der 1. Akt klassisch und kaum anders wie dies einst etwa in Wien im alten Ring (aus den Fünfziger Jahren) der Fall war. In diesem Rahmen darf der vor allem in Berlin intensiv wirkende Heldentenor Andreas Schager für eine veritable Sensation sorgen. Wie ein Naturereignis der Sonderklasse wirft sich dieser Siegmund mit Prachtstimme in die Schlacht, die Liebesszene mit Sieglinde im ersten Akt genau so auskostend wie die wild entschlossene Zurückweisung Brünnhildes in der Todesverkündigung. Da braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen, dass die Wälsungen-Rufe endlos scheinen und das Wälsungenblut nach den prächtigen „Winterstürmen“ so richtig kocht. Dass bei dieser energetischen Entladung, vielleicht einmal ein Ton zu hoch angesetzt ist oder ein Einsatz zu früh kommt, verzeiht der staunenden Hörer gerne. Falls Schager noch die doch „wilde Ehe“ mit dem Text legitimieren sollte, ist er einer der größten Siegmunde ever. Rein stimmlich ist er sicher der beste Siegmund, den ich je hörte. Christiane Libor, die in „Götterdämmerung die Brünnhilde sein wird, kann vor allem mit einer warm strömenden Mittellage, prächtigen Höhen, einem emphatischen Spiel aufwarten. Die beiden bilden ein Zwillingspaar, das selbst dem wahrlich bedrohlichen Hunding des rauh orgelnden Rúni Brattaberg trotzt.

Für den 2. Akt hat sich das Produktionsteam Rosamund Gilmore (Inszenierung und Choreographie), Carl Friedrich Oberle (Bühne) und Nicola Reichert (Kostüme) als trostloses Walhalla einen bröckelnde Lagerhalle einfallen lassen. Die Säule aus dem Rheingold mit herausgebrochenem Safe ragt als Stumpf in der Mitte. Wotan und Fricka sind optisch den Buddenbrooks entsprungen. Markus Marquardt braucht stimmlich Anlaufzeit, die lange Erzählung liegt ihm zu tief. Nur in den Höhen ist auf einmal der Wotans-Ton da, werden Autorität und Macht glaubhaft in Stimme gegossen. Auch die Brünnhilde der Eva Johansson kommt erst nach den Hojotohos in Fahrt. Stimmpuristen können bei ihr ähnlich wie bei Evelyn Herlitzius wohl so manchen Ton oder Phrase bemängeln. Was Intensität und Glaubwürdigkeit der Rollengestaltung anlangt, bot Johannsson insgesamt eine große Leistung, die vom Publikum auch entsprechend honoriert wurde. Kathrin Göring (Wellgunde im Rheingold) war als Fricka mit samtenem Wohllaut und Eleganz eher würdevolle Göttin als keifend zankendes Eheweib. Das Ende des 2. Aktes bot auch optisch ein schönes Bild mit den beiden Ruinenmauern zur Seite gerückt, ziehenden Wolken, Schnee und schwarzen Rabenflügeln wie Scherenschnitte in Szene gesetzt. Aus dem Tanzensemble stellte Ziv Frenkel das „Ross“ Grane dar, eine Idee, die berührt und auf Sinn macht. Unglaublicher Jubel für Schager, Sympathiekundgebungen für Göring und Brattaberg beschließen den 2. Akt.

Der dritte Akt war dann das, was man ein Theaterereignis nennt. Das Gewandhausorchester liefert Weltklasse, der Walkürenritt darf das sein, was er ist, ein archaischer Schlachtengesang. Von den acht Walküren konnte man am Vorabend schon Gerhilde Marika Schönberg als Freia und Grimgerde Karin Lovelius als Fricka hören. Aber auch Monica Marcus (Waltraute), Magdalena Hinterdobler (Ortlinde), Sandra Janke (Schwertleite), Daniela Köhler (Helmwige), Sandra Maxheimer (Siegrune) und Wallis Giunta (Rossweisse) manchen einen tollen Job. Ihnen zur Seite jeweils eine weiß gewandete Tänzerin als Pferd, als Kriegssymbol, als Momentum mori. Eine tiefergelegene Rampe führt auf eine kahle Ebene mit zig weißen Stiefelpaaren der gefallenen Helden. Sie wird am linken Bühnenrang von einem schief in den Raum stehenden Säulengebäude begrenzt, der Walkürenfelsen ragt mittig davon.

Eigentlich hätte nach dem fulminanten Start mit dem feurigen Walkürenritt jeder im Haus gedacht, dass die Aufführung jetzt wie am Schnürl ins spannende Finale läuft. Aber mitnichten. Auf die Frage der Walküren „Was taten, Vater, die Töchter, dass sie Dich reizten zu rasender Wut?“ kam nichts. Wo bleibt Wotan? Ulf Schirmer dirigierte mutig weiter wohl in der Hoffnung, dass Wotan zu spät, aber doch noch erscheinen werde. Aber nein. Nichts. Das Orchester hört zu spielen auf, der schwarze Stoffvorhang fällt. Zaghaft ist die Stimme Schirmers zu vernehmen „Wotan ist nicht da“. Die Schreckminute, in denen über alle möglichen Ursachen der Malaise spekuliert wurde (hinter mir meinte ein Opernbesucher, Herr Marquardt müsse wohl kurzfristig einen Zusammenbruch erlitten haben), nahm ein jähes Ende, als der Vorhang sich wieder hob und Wotan mit entschuldigender Geste mit seinem Speer auf der Bühne stand. Von der Körperhaltung verständlicherweise eher zerknirscht als ein wütender Gott. Was war geschehen? Wie mir auch ein Insider später erzählte, war die Technik daran schuld. Ein Defekt der Lautsprecheranlage, die die Künstler auf die Bühne bittet, führte dazu, dass Wotan persönlich abgeholt werden musste, was schließlich die Verzögerung auslöste.

Ulf Schirmer nahm den Stab wieder auf und die Aufführung ging weiter. Vielleicht auch dem Schock mit zu verdanken, gab es dann eine fulminante Szene Wotan-Brünnhilde und einen berührenden Abschied Wotans,  bei dem auch das Orchester alle Stückeln spielte und Ulf Schirmer diese wohl schönste Szene des Rings in rot-goldene Farben tauchte. Eva Johansson als berührendes Wotanskind legte sich von den Blicken der Walküren geleitet und mit den weißen „Pferden“ im Ehrenspalier auf den von echtem Feuer umloderten Felsen. Da harrt sie wohl auf Siegfried, der sie heute aus gar nicht so langem Schlaf befreien darf. Allerdings wird Brünnhilde dann von Elisabet Strid gesungen werden.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Die Walküre Oper Leipzig Brunhilde, Wotan, Walküren, Tänzer Foto Tom Schulze

 

Diese Seite drucken