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LEIPZIG: DIE NACHTSCHWALBE von Boris Blacher

17.10.2015 | Oper

Wiederentdeckung einer Opernrarität in Leipzig:

„Die Nachtschwalbe“ von Boris Blacher (Vorstellung: 16. 10. 2015)

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Das schüchterne Mädchen Nelly (Olena Tokar) und der „Vorstadtkavalier“ Harry (Sergey Pisarev) an der Bar des Nachtlokals (Foto: Tom Schulze)

 Nach 67 Jahren kehrte eine echte Rarität an die Oper Leipzig zurück: „Die Nachtschwalbe“ von Boris Blacher, deren Uraufführung im Jahr 1948 in Leipzig zu einem Theaterskandal führte und die nun mit großem Erfolg im Spiegelzelt, der Interims-Spielstätte des Opernhauses auf dem Augustusplatz, gespielt wird.

Boris Blacher (1903 in Newchang in China geboren, 1975 in Berlin verstorben) zählte bis in die 70er Jahre zu den meistgespielten zeitgenössischen Komponisten in Deutschland, gilt er doch als einer der wichtigsten Vertreter der Musik des 20. Jahrhunderts. So schreibt Reclams Opernführer über seine Musik: „Blachers klare Strukturen, die pointierten Rhythmen und die durchsichtige Brillanz geben seinen Werken, auch unter Einbeziehung der Zwölftongesetze und elektronischer Musik, einen feinsinnig, spielerisch-ironischen Gestus.“

 Als Sohn baltischer Eltern kam Boris Blacher 1922 nach Berlin, wo er zunächst Architektur und Mathematik studierte, ehe er sich von 1924 bis 1926 an der Musikhochschule der Komposition zuwandte. 1938 erhielt er in Dresden eine Professur für Komposition, die er schon ein Jahr später unter dem Druck der nationalsozialistischen Kulturpolitik aufgeben musste. Nach dem Krieg unterrichtete er in Berlin, wo er von 1953 bis 1970 Direktor der Musikhochschule war. Zu seinen Schülern zählte auch Gottfried von Einem, von dem im Programmheft der Oper Leipzig ein Zitat abgedruckt ist: „Boris Blacher ist einer der großen Komponisten des 20. Jahrhunderts… Sein dramatisches Leben gleicht seinem Werk.“

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Nelly (Olena Tokar) mit ihrem wiedergefundenen Vater, dem Kommissar Schmoerl (Tuomas Pursio), im Hintergrund die Nachtschwalbe auf den Schultern von Harry (Foto: Tom Schulze

Das dramatische Notturno Die Nachtschwalbe, dessen Libretto Friedrich Wolf (1888 – 1953)  verfasste, ist eine Liebesepisode mit Zügen eines Krimis, der die Psyche der Protagonisten beleuchtet und Träume, Erinnerungen und Gewissensbisse zutage fördert. Der Inhalt der Oper kurz zusammengefasst: In einem Tanzlokal am Rande der Stadt begegnet die siebzehnjährige Nelly, die früh ihre Mutter verloren hatte und ihren Vater nicht kennt, dem Luftikus Harry. Sie fühlt sich zu dem jungen Mann hingezogen und fühlt sich geschmeichelt, als er ihr eine goldene Kette schenkt. Bei einer Polizeirazzia im Lokal wird ihr der wertvolle Schmuck zum Verhängnis. Der Kommissar schöpft Verdacht, vermutet er doch Hehlerei und Prostitution. Als er der Sache auf den Grund geht, steht bald auch seine bürgerliche Moral auf dem Prüfstand, wird er doch mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, als er erkennen muss, dass das Mädchen seine eigene Tochter ist. Der sich scheinbar stets wiederholende Reigen von Verführung und Enttäuschung wird durch eine geisterhaft wiederkehrende Nachtschwalbe symbolisiert.

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Polizeirazzia im Nachtlokal: Kommissar Schmoerl (Tuomas Pursio) prüft den Ausweis von Nellys Freundin Gerda (Magdalena Hinterdobler), die vom Kriminalbeamten Bulke (Milcho Borovinov) bedrängt wird (Foto: Tom Schulze)

Regisseur Kristof Spiewok schuf für die einaktige Oper, die in der Berliner Nachkriegszeit spielt, eine packende und ideenreiche Inszenierung. Er lässt die Protagonisten aus den vorderen Publikumsreihen auf die Drehbühne treten und den Chor in Logen singen. Das dazu passende Bühnenbild im Zelt, dessen Wände mit zahlreichen Spiegeln ausgestattet sind, gestaltete Norman Heinrich, die der ärmlichen Nachkriegszeit entsprechenden Kostüme entwarf Andrea Seidel. Für die kreative Lichtgestaltung zeichnete Michael Münster als  verantwortlich, für die Choreographie Friedrich Bührer.

Kurz vor Spielbeginn schreckte ein minutenlang dauerndes Sirenengeheul eines Feuerwehr-oder Rettungseinsatzes auf dem Augustusplatz vor dem Zelt das Publikum, das sich gottlob während der Vorstellung nicht wiederholte, sodass die Aufführung völlig störungsfrei über die Bühne ging.

Die 17jährige Nelly, die sich mit ihrer Freundin Gerda im Tanzlokal amüsieren will, wurde von der jungen ukrainischen Sopranistin Olena Tokar auf ergreifende Art gespielt und gesungen.  Die bayerische Sopranistin Magdalena Hinterdobler als ihre Freundin Gerda versuchte ihrer Rolle in einigen Szenen ein humoristisches Profil zu geben, während die Mezzosopranistin Kathrin Göring als Tante Holzschuh eine gestandene Arbeiterin einer Baukolonne mimte, die sich auch vom nicht gerade zimperlichen Polizeieinsatz nicht schrecken ließ.

Den Vorstadtkavalier Harry spielte der russische Tenor Sergey Pisarev mehr linkisch-aggressiv als verführerisch, war aber stimmlich auf der Höhe. Überzeugender agierte der finnische Bassbariton Tuomas Pursio als Kommissar Schmoerl, der nicht nur große Bühnenpräsenz ausstrahlte, sondern auch über alle Maßen wortdeutlich sang. Schauspielerisch gab er anfangs einen unbeugsamen Polizeikommissar, der seine menschliche Seite erst zeigt, als er erkennt, dass er der Vater von Nelly ist.

Erwähnenswert sind noch der bulgarische Bass Milcho Borovinov als Kriminalbeamter Bulke und der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) als Stimmen aus dem Hintergrund. Das Gewandhausorchester, das gewiss zu den besten Opernorchestern zählt, gab unter der Leitung von Christoph Gedschold, der ab dieser Saison als Kapellmeister der Oper Leipzig fungiert, die illustrative und rhythmische Musik des Komponisten, die auch wunderbar lyrische Momente aufweist, in allen Facetten wieder. Wunderbar der Schluss, als mit einer Art Wiener Walzer Nellys Träume vom Glück symbolisch anklingen. 

Das begeisterte Publikum belohnte das Sängerensemble sowie das Orchester und seinen Dirigenten mit lang anhaltendem Applaus. Man darf der Oper Leipzig gratulieren, dieses Werk von Boris Blacher der Vergessenheit entrissen zu haben.

Udo Pacolt

 

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