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LEIPZIG: DAS BACHFEST LEIPZIG 2019 FEIERT DEN HOF-COMPOSITEUR BACH


Eröffnungskonzert Bachfest Leipzig 2019 in der Thomaskirche. Copyright: Bachfest Leipzig/ Gert Mothes

Leipzig: Das Bachfest Leipzig 2019 feiert den „HOF-COMPOSITEUR BACH, 14.-23. Juni 2019

 

Leipzig, 14. 06. 2019: ERÖFFNUNGSKONZERT

 „Endlich wieder Bach!“  Dieser Satz von Burkhard Jung. Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, trifft genau die Stimmung beim Bachfest Leipzig 2019. Euphorie liegt in der Luft am 14. Juni beim Eröffnungskonzert in der Thomaskirche. Mit dem Freiburger Barockorchester sind hochkarätige Gäste geladen, gilt es doch, Johann Sebastian Bach in ungewöhnlicher Art zu feiern: als „Hof-Compositeur“!


 Johann Sebastian Bach neben der Thomaskirche. Foto: Ursula Wiegand

In dieser Stellung komponierte er als Hoforganist in Weimar und Hofkapellmeister in Köthen die herrlichsten Jubelklänge für diese kleinen „Sonnenkönige“, die Frankreichs berühmtem Ludwig XIV nacheiferten, so gut es ihre Finanzen erlaubten und oft auch darüber hinaus.

Naturgemäß stand damals auch französisch inspirierte Musik hoch im Kurs, die sich Bach perfekt aneignete. Besonders gelungene Stücke wie das „Pièce d’Orgue“ in G, verwendete er später erneut. Dieses Werk, offiziell als Fantasie G-Dur, BWV 572 bezeichnet, bildet – von Thomasorganist Ullrich Böhme kenntnisreich auf der Bachorgel der Thomaskirche interpretiert – den festlichen Auftakt.

Etwas echt Französisches steht ebenfalls auf dem Programm: das „Te Deum D-Dur, H. 146, von Marc-Antoine Charpentier (1643-1704). Alle Anwesenden merken sogleich auf, da dessen prunkvolle Eröffnung als Eurovisionshymne bestens bekannt ist. Das Freiburger Barockorchester, dirigiert von Thomaskantor Gotthold Schwarz, legt sich mit Verve ins Zeug.


Mitglieder des Thomanerchors. Copyright:  Bachfest Leipzig / Jens Schlüter

Auch der Thomanerchor Leipzig glänzt mit Wohlklang und Esprit. Ein sehr guter und gut trainierter Jahrgang ist hier am Werke, bei dem sich die klaren, hoch aufschwingenden Knabensoprane bestens mit den erstaunlich satten Bässen mischen.

Die fünf Solisten – Gesine Adler (Sopran), Cornelia Samuelis (Sopran), Elvira Bill (Alt), Patrick Grahl (Tenor) und Tobias Berndt (Bass) sind – für mich leider hinter einer Säule verborgen – ebenfalls voll bei der Sache. Am meisten beeindruckt der junge Patrick Grahl, der die Emotionen besonders intensiv und auch textverständlich ausarbeitet. Sein klangreicher Tenor glänzt dank baritonaler Grundierung gleichermaßen im hohen und im tieferen Bereich.   

Zu einem weiteren Höhepunkt wird Bachs „Ouvertüre D-Dur“, BWV 1068. Leuchtende Klangfarben und betonte Rhythmen bei den diversen Tänzen, die sämtlich ihren eigenen Charakter erhalten. Mittendrin das weltbekannte „Air“, hier aber nicht als übersüße Weihnachtsschnulze geboten. Das Freiburger Barockorchester mit seiner Konzertmeisterin Anne-Katharia Schreiber bringt es wunderbar klar und ohne falsche Gefühligkeit.

Zuletzt ist bei Bachs Unser Mund sei voll Lachens“, BWV 110, tatsächlich Christfeststimmung angesagt, dient das doch als Kantate zum 1. Weihnachtsfeiertag. Mal getragen, mal auftrumpfend erfüllt diese Darbietung alle Wünsche. Das gilt auch für die Thomaner und die fünf Solisten, aus denen erneut Patrick Grahl herausragt. Anschließend braust lang anhaltender Jubel durch die voll besetzte Thomaskirche.

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Leipzig, 15.06.2019: „FESTKONZERT“

Ebenso festlich geht es am nächsten Tag weiter bei der „Verleihung der Bach-Medaille der Stadt Leipzig an Klaus Mertens“ im Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli. Jahrzehnte hat es gedauert, bis dieses 1968 von der DDR-Regierung gesprengte Gotteshaus wieder errichtet und für Gottesdienste und Veranstaltungen erneut nutzbar gemacht werden konnte. Hinter einer Scheibe ist der Altar zu sehen, der zwischenzeitlich in der Thomaskirche eine Bleibe gefunden hatte.


Bild: Ton Koopman und Klaus Mertens beim Festkonzert. Copyright: Bachfest Leipzig / Gert Mothes

Doch nicht nur der Ort für die Feier ist relativ neu. Erstmals wird in diesem Sommer die Verleihung der hochgeschätzten Bach-Medaille mit einem Festkonzert verknüpft. Eine gute Idee des neuen Bachfest-Intendanten Dr. Michael Maul. Der diesjährige Preisträger, der international bestens bekannte Bassist Klaus Mertens, muss sich so zu sagen diese hoch verdiente Auszeichnung noch einmal ersingen. Er tut es mit Humor und sichtlicher Freude.

An seiner Seite ist nicht nur bei dieser Feier, sondern schon 40 Jahre lang, sein musikalischer Weggefährte Ton Koopman, der Mertens Gesang am Cembalo und an einer Truhenorgel begleitet. Unter Koopmans Leitung hat Mertens Bachs gesamtes Vokalwerk auf CD eingespielt und das von Dietrich Buxtehude ebenfalls.

Mit hörbarem Spaß singt Mertens zunächst von seiner Tobacks-Pfeife, gefolgt von dem innigen „Willst du dein Herz mir schenken“. Ernster wird er, als sich die Lieder um den uralten Simeon drehen, der das Jesuskind im Arm hält und damit alle seine Wünsche erfüllt sieht. Mit „Ich habe genung!“ und „Schlummert ein, ihr matten Augen“ möchte er jetzt gerne sofort sterben.

Nicht aufgezählt seien hier die offiziellen Statements, die amüsanten „Plaudereien aus dem Nähkästchen“ von Ton Koopman sowie die beispielhafte Dankesrede von Klaus Mertens.

Stattdessen wird für mich die Arie „Amore Traditore“ zum Höhepunkt, in der Mertens die Wut eines enttäuschten Lovers packend und klangmächtig in die Universitätskirche schleudert.  

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Gleich anschließend geht es um die „Hof-Cantatrice” Anna Magdalena Wilcke-Bach, also um Johann Sebastian Bachs zweite Ehefrau, die er als Witwer mit vier kleinen Kindern nur einige Monate nach dem Kennenlernen heiratete. Wahrscheinlich war es beiderseits Liebe auf den ersten Blick.


Nuria Rial, Sopran, beim Bachfest, Foto Ursula Wiegand

Ihr Leben, soweit überhaupt bekannt oder vermutbbar, lässt der Moderator Dr. Michael Maul launig Revue passieren, erzählt von der jungen, schnell berühmten und ausgesprochen gut bezahlten Sopranistin, die ihre Karriere als Frau des viel beschäftigten Thomaskantors und durch die Geburt von 13 Kindern fast ständig schwanger, an den Nagel hängen muss.

Den schwungvollen musikalischen Start mit Bachs „Konzert d-Moll“ BWV 1043 liefern die Musiker von „Café Zimmermann“, die nicht in Leipzig, wo es solch ein Kaffeehaus gegeben hat, sondern in Südfrankreich beheimatet und international gefragt sind.

Heiß ist es im Saal bei mehr als 30 Grad Celsius draußen, doch als Nuria Real quasi als Anna Magdalena zu singen beginnt, richtet sich die Aufmerksamkeit nur noch auf diese junge Frau mit ihrem schönen, wandlungsfähigen Sopran.  Sie hat sogar den Mut, mit einem Klagelied zu beginnen, mit „Einsamkeit, du Qual des Herzens“.

Mit ihrer ausdrucksstarken Stimme, mit Augen, Mimik und leicht schwingendem Körper ergreift sie das Publikum sofort. Das ist keine Show. Alles wirkt ganz natürlich und Bachgemäß. Danach sofortige Begeisterung und Bravo-Rufe, alle sind total überrascht und beglückt, und so überzeugend bleibt sie. Für mich wird dieses Konzert zum Höhepunkt meines zweitägigen Leipzig-Aufenthalts mit insgesamt vier Konzerten. Dank Nuria Real rückt uns Anna Magdalena Bach, die viele Rollen ausfüllen musste, sehr nahe.

Zwei der Arien, die kurz zuvor Klaus Mertens gesungen hatte, erklingen nun erneut und so zu sagen in weiblicher Version: „Willst du dein Herz mir schenken“ leuchtet Nuria Real strahlend aus dem Gesicht. Sie kümmert sich nicht um die angeratene Geheimhaltung ihrer Liebe. Einiges  stammt übrigens aus dem vom Gatten angelegten und von ihr aufgefüllten „Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach“.
Beim Lob des angenehmen Pleiss-Athens – gemeint ist Leipzig an der Pleisße – gibt es Jubel-Koloraturen. Das krasse Gegenteil bietet die zweite „Dublette“, das entsagungsvolle „Ich habe genung“, gesungen voller Gefühl und durch Georges Barthels Traversflöte innig gerahmt.  

Dass sich diese junge, lebensfroh wirkende Sängerin liedmäßig so sehr auf den Tod freut, wird viele erstaunen, doch ihr Singen überzeugt ungemein und ganz besonders der liebevolle Abschiedsgesang „Bist du bei mir“.  Der rührt fast zu Tränen und erhält Applaus en masse. Als Zugabe wählt sie jedoch eine glitzernde Händel-Arie. Nuria Real mit dem „Café Zimmermann“ – das war wohl nicht nur für mich die diesjährige Bachfest-Entdeckung.    

 Herbert Blomstedt beim Dirigieren. Foto: Peter Adamik

Und einer ist trotz seiner fast 92 Lebensjahre weiterhin mit Können, Einsatz und Spaß beim Bachfest Leipzig wieder mit dabei: Herbert Blomstedt. Uneitel, mit stupendem musikalischen Sachverstand und deutlichem Einsatz dirigiert  er – im Ausweichquartier Kongresshalle am Zoo – das Gewandhausorchester, das ihm alle Wünsche von den Augen und den Händen abliest. Blomstedt braucht noch keinen Drehsessel, steht und wendet sich nach wie vor auf dem Podium. Er dirigiert zunächst zwei Konzerte von Bach, einmal eines für Violine und Orchester (BWV 1042) und eines für Violine, Oboe und Streicher (BWV 1060 R). Mit dabei ist die großartige Geigerin Vilde Frank und Domenico Orlando, Erster Oboist des Gewandhausorchesters, dessen Instrument manchmal die Violine überschattet. Insgesamt fein gelingt das, teils mit dem erforderlichen Feuer und mit Adagios zum Dahinschmelzen.

Selbstverständlich ist nach der Pause auch Mendelssohn zu erleben, dessen Werk vor einigen  Jahren ins Bachfest integriert wurde. Zu hören ist seine 3. Sinfonie, die Schottische. Blomstedt dirigiert mit Temperament, hält aber an leisen Stellen auch mal mit einem Lächeln inne. Er hört dann einfach lächelnd zu, was das Gewandhausorchester daraus macht, um danach aber sogleich die Zügel wieder fest in die Hand zu nehmen. Zuletzt Jubel und „standing ovations“ für diesen uneitlen und so engagierten Vermittler nicht nur von Mendelssohns genialer Musik. Ein weiterer Höhepunkt beim diesjährigen Bachfest Leipzig.

Das wird noch bis zum 23. Juni 2019 die Besucherinnen und Besucher mit insgesamt 158 Programmpunkten aller Art erfreuen und begeistern. Den Abschluss bildet wie immer Bachs h-Moll-Messe in der Thomaskirche. – Und dann? Vom 11. – 21. Juni 2020 gibt es vermutlich eine weitere Sensation: „BACHS Choralkantatenzyklus in zehn Tagen“.    

 Ursula Wiegand 

 

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