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LEIPZIG: DAS BACHFEST 2014 MIT GROSSARTIGEM START

20.06.2014 | KRITIKEN, REISE und KULTUR

Leipzig: Das Bachfest 2014 mit großartigem Start, 13.-15. Juni 2014

Das Bachfest Leipzig feiert vom 13.-22. Juni mit 107 Veranstaltungen vor allem den 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788). Das ist dort aber  mehr als ein ehrenvolles Gedenken an den zweitältesten Sohn des Thomaskantors Johann Sebastian Bach. Es ist gleichzeitig eine späte Wiedergutmachung.

Bachfest-Fahnen am Turm vom Alten Rathaus©Ursula Wiegand
Bachfest-Fahnen am Turm vom Alten Rathaus ©Ursula Wiegand

Nach des Vaters Tod im Jahr 1750 bewarb sich Carl Philipp Emanuel von Berlin aus, wo er seit 1741 eine feste Anstellung am Hof des Preußenkönigs Friedrich II innehatte, zweimal um den nun vakanten Posten als Thomaskantor. Doch trotz der Fürsprache seines Paten Georg Philipp Telemann lehnte Leipzig seine Bewerbungen ab.

Hamburg war weitsichtiger und berief ihn 1768 zum Nachfolger des verstorbenen Telemann. Als städtischer Musikdirektor und Kantor am Johanneum prägte dieser „Hamburger Bach“ – der wichtigste Vertreter des empfindsamen Stils – 20 Jahre lang bis zu seinem Tod das Musikleben der Hansestadt und war berühmter als sein Vater.

Das diesjährige Leipziger Bachfest-Motto „Die wahre Art“ bezieht sich auf Carl Philipp Emanuels 1753 publizierte Lehrschrift: „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“. Noch mehr aber erweist sich Carl Friedrich Emanuel beim Bachfest Leipzig als Meister grandioser Orchesterwerke.

Thomanerchor beim Eröffnungskonzert@Bachfest Leipzig, Gert Mothes
Thomanerchor beim Eröffnungskonzert @Bachfest Leipzig, Gert Mothes

Das verdeutlicht schon das Eröffnungskonzert am 13. Juni in der Thomaskirche mit dem Thomanerchor unter Gotthold Schwarz, der den erkrankten Thomaskantor Georg Christoph Biller bestens vertritt. Gleichzeitig ermöglicht es mit der Gegenüberstellung zweier Magnifikats einen aufschlussreichen Vergleich zwischen Vater und Sohn. 

Johann Sebastians „Magnificat D-Dur“ BWV 243 ist kürzer und strenger und war in seiner ersten Fassung von 1723 ungemein schwierig zu spielen. Gleich nach seinem Amtsantritt als Thomaskantor setzte er damit ganz neue Maßstäbe. „Es muss alles möglich zu machen seyn“, lautete seine Forderung.“  Dennoch hat er das Werk bis zum Sommer 1733 umgearbeitet und zu Gunsten der Trompeten nach D-Dur transponiert.

Gotthold Schwarz leitet das Eröffnungskonzert@Bachfest Leipzig, Gert Mothes
Gotthold Schwarz leitet das Eröffnungskonzert @Bachfest Leipzig, Gert Mothes

Verglichen mit des Vaters Stringenz wirkt Carl Philipp Emanuels „Magnificat“, Wq 215, entstanden in seinen Berliner/Potsdamer Jahren, beinahe wie große Oper. Vermutlich diente es zu Bewerbungszwecken, bietet es doch einen Parcours durch sämtliche damals bekannten Kompositionstechniken und Musikstile.

Auch die Pauken und Trompeten zu Beginn klingen bei ihm fast ausschweifend festlich. Zudem werden die einzelnen Verse öfter wiederholt und musikalisch nach allen Seiten gedreht und gewendet. Kein Wunder, dass „CPE“ weit mehr Zeit für sein Marienlob braucht als „JSB“. 

Anschließend noch das „Heilig, Wq 217 von 1776, für das Carl Philipp Emanuel in Hamburg höchstes Lob erhielt. Die Zuhörer hätten nur gewünscht, „dass diese herrliche Musik noch etliche mal so lang seyn möchte,“ berichteten dortige Zeitungen. Mit dem doppelchörigen Schluss des Stückes zitiert das „Heilig“ von Carl Philipp Emanuel des Vaters Matthäus Passion.

Fabelhafte Interpreten sorgen bei diesem Bachfest-Eröffnungskonzert dafür, dass Carl Philipp Emanuels Musik auch in Leipzig herrlich erklingt. Neben dem schon erwähnten Thomanerchor und Thomasorganist Ullrich Böhme sind das die Tafelmusik Baroque Orchestra und Mitglieder des Leipziger Barockorchesters

Voll überzeugend auch die Solisten: Julia Sophie Wagner (mit leuchtendem Sopran), Susanne Krumbiegel (mit Raum füllendem Mezzo), Martin Petzold (mit gut erholtem Tenor) und Andreas Scheibner (mit kräftigem Bass). Eine positive Überraschung ist der 30jährige Benno Schachtner, der erste Countertenor als Bachpreis-Gewinner. Starker Applaus belohnt diese gelungene Gemeinschaftsleistung.  

Ein weiterer Vergleich zwischen Bach Vater und Sohn gelingt am 14.6. abends in der Nikolaikirche, Johann Sebastians zweiter Wirkungsstätte. Bei ihm ist der Hüter in „Du Hirte Israel, höre“ BWV 104 geschwind zu Fuß. Beim Sohn lässt sich dieser gute Hirte viel Zeit, lässt „Die Israeliten in der Wüste“ verzweifelt murren und fast verdursten, ehe er Moses’ Flehen erhört, so dass der Wasser aus einem Felsen schlagen kann. 

Daniel Johannsen, Johannes Weisser mit Christoph Spering©Ursula Wiegand
Daniel Johannsen, Johannes Weisser mit Christoph Spering ©Ursula Wiegand

Die Solisten – Anja Petersen und Sarah Maria Sun (Sopran) sowie Daniel Johannsen (Tenor) und Johannes Weissner (Bass) – legen unter der engagierten Leitung von Christoph Spering alle Ängste der geplagten Wüstenwanderer und ihren Jubel über das rettende Nass in ihre schönen Stimmen. Ohne Fehl und Tadel bilden der Chorus Musicus Köln und Das Neue Orchester den musikalischen Rahmen. Entsprechend heftig ist der Jubel der Zuhörer.

Am Nachmittag haben vermutlich schon viele von ihnen Masaaki Suzuki an der Orgel im Gewandhaus gehört und entsprechend feiert. Der Fernost-Bachspezialist, Leiter des Bach Collegium Japan und beim Bachfest Leipzig 2012 mit der Bach-Medaille geehrt, spannt den Bogen von Dietrich Buxtehude und dessen „Toccata d-Moll“ BuxWV 155, über Carl Philipp Emanuel Bachs „Sonate für Orgel“ g-Moll Wq 155 bis zu 2 Choralbearbeitungen von Johann Sebastian Bach und dessen „Präludium und Fuge e-Moll“ BWV 548. Unverkennbar ist es Bach-Vater, der unter Suzukis Händen die anderen weit übertrifft.

Deutsch-polnische Orchesterakademie @Bachfest Leipzig, Gert Mothes
Deutsch-polnische Orchesterakademie @Bachfest Leipzig, Gert Mothes

Auch die Jugend bringt sich ein, siehe die bemerkenswerten Leistungen der Deutsch-polnischen Orchesterakademie „b@ch für uns!“ unter der Schirmherrschaft von Krzysztof Penderecki, dirigiert von Tomasz Adamus und mit Magdalena Malec am Cembalo. Die   jungen Instrumentalisten schlagen am 15. Juni einen Kreis um Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann, Jan Engel (gestorben 1788) und Carl Philipp Emanuel.

Sie spielen die zumeist relativ kurzen Stücke mit verblüffendem Können und solch spürbarer Freude, dass den Zuhörern das Herz aufgeht. Der Dialog von Geige und Traversflöte im „Affettuoso“ von J.S.Bachs „Brandenburgischen Konzert Nr. 5“ BWV 1050 gerät traumhaft. Bei diesem Satz könnte man in der Thomaskirche eine Stecknadel fallen hören.

Wie stets beim Bachfest Leipzig haben die Metten und Motetten ebenfalls einen hochkarätigen musikalischen Rahmen und lassen neben den beiden Bachs auch andere Komponisten zu Wort kommen.

Hallenser Madrigalisten in Leipzigs Nikolaikirche©Ursula Wiegand
Hallenser Madrigalisten in Leipzigs Nikolaikirche ©Ursula Wiegand

So zu erleben in der Nikolaikirche. Am 14.6. präsentieren die Hallenser Madrigalisten unter Tobias Löbner Werke von Heinrich Schütz, Charles Villiers Stanford und Arvo Pärt. Der „Cantico della creature“ (der Sonnengesang des Hl. Franziskus), expressiv vertont von Petr Eben (1929-2007) bringt erfrischende Moderne. Die technischen Herausforderungen meistern die Sängerinnen und Sänger sowie Gertrud Ohse (Basse de violon) und Claudio Novati (Truhenorgel) anscheinend ohne Mühe. 

Orgel der Nikolaikirche in Leipzig©Ursula Wiegand
Orgel der Nikolaikirche in Leipzig ©Ursula Wiegand

An der restaurierten Ladegast-Orgel, Sachsens größter Orgel, zieht Nikolaikantor Jürgen Wolf derweil die 84 Register und spielt auf vier Manualen. Tags darauf verleiht hier HändelsMessias“ unter Wolfs Leitung dem Gottesdienst ein besonderes „Halleluja“. 

Auch die Thomaskirche geht in der Motette am 14.6. eigene Wege und macht auf die Vielfalt barocker Musik aufmerksam. Johann Sebastian Bach – selbstverständlich. Doch statt Carl Philipp Emanuel erhält hier Johann Christoph Bach, der „Londoner Bach“, eine Chance zusammen mit Johann Ludwig Krebs und Gottfried August Homilius.

Camerata Bachiensis in der Alten Handelsbörse ©Ursula Wiegand
Camerata Bachiensis in der Alten Handelsbörse ©Ursula Wiegand

Was bei Leipzigs Bachfesten unter „Ausgezeichnet“ geboten wird, lohnt sich ebenfalls zu hören. Das hat bereits am Vormittag des 14.6. die Camerata Bachiensis – Gewinner des internationalen Telemann-Wettbewerbs für Kammermusikensembles 2013 – in der Alten Handelsbörse bewiesen. Die 5 jungen Damen und Herren haben nach eigenen Worten „kleine Raritäten mitgebracht.“ Darunter weniger Bekanntes von Telemann und „CPE“,  Stücke von seinem Bruder Johann Christian sowie von Johann Gottlieb Janitsch.  Sämtlich Komponisten des 18. Jahrhunderts, zu Lebzeiten hoch geschätzt, später weitgehend vergessen.  Bekanntlich ist es selbst Johann Sebastian Bach so ergangen. Erst Felix Mendelssohn Bartholdy hat ihn aus der Versenkung geholt und eine Bach-Renaissance sondergleichen eingeläutet.

BACHmosphäre, David Orlowsky Trio©Ursula Wiegand
BACHmosphäre, David Orlowsky Trio ©Ursula Wiegand

Der Marktplatz zu Füßen des Alten Rathauses hat an den ersten drei Bachfest-Tagen im Rahmen von „BACHmosphäre“ einen gut besuchten Open-Air-Gottesdienst mit dem Thomanerchor geboten. Schon Tradition haben auch die Auftritte von Bands, die Johann Sebastians Werke in ihr Schaffen integrieren. Zu den Klängen des David Orlowsky Trio füllt sich am Abend der Platz. David, ein Meister auf der Klarinette, heizt die Stimmung an, und bald tanzen Junge und Ältere vor der Bühne.

Die wiederum erwarteten 70.000 Besucher haben stets die Qual der Wahl und wissen: nach dem Bachfest ist vor dem Bachfest. Das nächste vom 12.-21. Juni 2015 steht in einem außergewöhnlichen Kontext, feiert die Stadt doch 1000 Jahre Leipzig und die Nikolaikirche ihr 850. Bestehen!   

Ursula Wiegand

 

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