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LEIPZIG/ Bachfest: Das Bachfest Leipzig bricht alle Rekorde und strebt mit Johann Sebastian Bach weiter in die Zukunft

Das Bachfest Leipzig bricht alle Rekorde und strebt mit Johann Sebastian Bach weiter in die Zukunft

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Bach-Denkmal vor der Thomaskirche, Bachs Kopf. Foto: Ursula Wiegand

 „Bach for Future“ nannte sich das diesjährige Bachfest Leipzig vom 08. bis 18. Juni 2023 und brach in 11 Tagen mit 160 hochkarätigen Veranstaltungen alle bisherigen Rekorde. Knapp über 70.000 Gäste nahmen diese Chance wahr.

Die Tatsache, dass die Ratsherren vor 300 Jahren Johann Sebastian Bach zum Thomaskantor gewählt hatten, erweckte offenbar weltweites Interesse. Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber aus mindestens 56 Nationen reisten an, und auch das war eine neue Bestmarke.

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Eröffnungskonzert in der Thomaskirche. Foto: Jens Schlüter

Als Zugpferd erwiesen sich sicherlich Bachs kraftvolle erste Kantaten, die er in Leipzig gleich nach seiner Ankunft komponierte, eine für jeden Sonntag im Kirchenjahr. „Best of Kantaten-Jahrgang 1“, dargeboten von vier international hoch geschätzten Experten – das wirkte wie ein Magnet. Aus 63 Kantaten konnte jeder das für ihn Passende auswählen.

Gleich nach dem Umzug mitsamt der Familie von Köthen, seinem bisherigen Wirkungsort, nach Leipzig, hatte sich Bach an die Arbeit gemacht. Schon am 30. Mai 1723, einen Tag vor seinem offiziellen Start, bereicherte er mit der schon in Köthen komponierten Kantate „Die Elenden sollen essen“ (BWV 75) seinen ersten Leipziger Gottesdienst. Womöglich war das ein Hinweis, dass er den diesbezüglich darbenden Leipzigern eine bessere Musik auftischen wollte.

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Bachfest Leiptig/ Thomanercchor. Foto: Gert Mothes

Genau diese Kantate sangen nun klangschön die Thomaner, geleitet von Thomaskantor Andreas Reize, bei der Bachfest-Eröffnungsfeier am 08. Juni 2023 in der Thomaskirche. Auch die Solisten überzeugten, so Johannes Lang an der Orgel sowie Pia Davila, Geneviėve Tschumi, Raphael Höhn und Tobias Berndt als tadellos Singende. Anschließend erhielt der Thomanerchor, der seit mehr als 800 Jahren vor allem für die Kirchenmusik zuständig war und ist, die Bachmedaille der Stadt Leipzig, eine überfällige Anerkennung. Was wäre die Musikstadt Leipzig ohne Bach und ohne die Thomaner!

Überdies hatten sie einst ihrem Kantor Bach, der in seinen letzten Lebensjahren als altmodisch galt und in Vergessenheit geriet, die Treue gehalten. Sie wussten, dass sein schlichtes Grab sechs Schritte vor der Südpforte der Johanniskirche zu finden war und erwiesen ihm am 28. Juli, seinem Todestag, stets die ihm gebührende Ehre. Bachs aufgefundene Gebeine ruhen seit dem 28. Juli 1949 vor dem Hochaltar im Chor der Thomaskirche.

Bei der Bachfest-Eröffnung war auch ein Auftragswerk zu hören, die Uraufführung einer Kantate von Jörg Widmann (geb. 1973), einer Friedenskantate. Mit mal dissonanten, mal traditionellen Passagen näherte sich Widmann diesem überaus wichtigen Thema und erhielt viel Beifall.

Wer aber um 20 Uhr noch in die Nikolaikirche zu Rudolf Lutz mit dem Chor & Orchester der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen wollte, musste nun spurten. Zum Gesangsteam gehörten Ulrike Hofbauer (Sopran), Jan Börner (Altus), Daniel Johannsen (Tenor) und Matthias Helm (Bass). Mal sanft, mal energisch gingen die Interpreten/innen zur Sache. Die letzte Kantate „Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“ (BWV 179), endet mit dem Choral „Ich armer Mensch…“, eine Umdichtung von „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Generell wurde bei diesem Bachfest auf hohem Niveau gesungen.

Dass es aber überhaupt Bachfeste gibt, ist Felix Mendelssohn-Bartholdy zu verdanken, der Bachs Matthäus-Passion 1829 in Berlin mit der Singakademie in gekürzter Form wieder aufführte, in Leipzig geschah es erst 1841. Er selbst spendete ein Bachdenkmal. Das bekanntere von 1908, geschaffen vom Bildhauer Carl Seffner, steht vor der Thomaskirche. Dort treffen sich alle Bach-Fans.

Es zeigt Johann Sebastian Bach als kräftigen Mann mit wachem Blick und ausgeprägtem Kinn, als einen, der wusste, was er konnte und was er wollte. Bach komponierte zur Ehre Gottes (Soli Deo Gloria) und für zukünftige Generationen. Bach for Future – das war er bereits zu seinen Lebzeiten, ohne dass es die Leipziger erkannten und würdigten! Ludwig van Beethoven wusste es später besser:„Bach sollte nicht Bach, sondern Meer heißen“, äußerte er.

Doch unbeirrt ging Johann Sebastian, der für vier Kirchen und die Thomaner verantwortlich war, seinen Weg und komponierte aus eigenem Antrieb für jeden Sonntag im Kirchenjahr eine Kantate, eine fast unglaubliche Leistung. Nach den Aufzeichnungen seines Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach hat er fünf Kantaten-Jahrgänge geschaffen, doch nur die beiden ersten sind fast vollständig erhalten, der dritte zum Teil.

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Hans Christoph Rademann dirigiert „Best of Kantatenjahrgang 1“. Foto: Gert Mothes

Dieser kraftvolle Kantaten-Jahrgang I mit seinen 63 Kantaten gehörte zu den Juwelen beim diesjährigen Bachfest Leipzig. Aus diesem Reservoir konnten sich auch Hans-Christoph Rademann mit seiner Gaechinger Cantorey, Philippe Herreweghe mit seinem Collegium Vocale Gent und Ton Koopman mit dem Amsterdam Baroque Orchestra & Choir bestens bedienen. Ihre Auftritte waren sämtlich ausverkauft. Koopman mit den Seinen unterhielt sogar am 16. Juni das Publikum beim abendlichen Luxusdinner mit „Bach-Häppchen“. Ein neues Angebot beim Bachfest Leipzig.

Da Bach die gesamte Musikpalette beherrschte, fanden auch Instrumentalisten das Richtige für sich. Ein Muss war für viele die kanadische Bach-Pianistin Angela Hewitt, die am 17. Nov. 2020 als erste Frau die Bachmedaille der Stadt Leipzig erhalten hatte. Damals war Pandemiezeit, da musste ein Stream aus Leipzig genügen. Allein saß sie in der Thomaskirche am Flügel und spielte ausdrucksstark und facettenreich Bachs schwierige Goldberg-Variationen. Ein unvergesslicher Eindruck.

Nun stellte sie am 9.6. im wieder aufgebauten Paulinum – Aula  und Universitätskirche St. Pauli – ihre Bach-Favoriten vor und spielte sie mal mit Power, mal nachdenklich, aber zumeist mit einem Lächeln im Gesicht.

Auch die Schweizerin Meret Lüthi (Violine), musizierte mit Les Passions de l’Âme, ein Orchester für Alte Musik aus Bern, im Paulinum. „Concerts Avec Plusieurs Instruments 1“ war ihre Wahl. Mit „Weichet nur, betrübte Schatten“, BWV 202, sowie mit Bachs: „Jauchzet Gott in allen Landen“, BWV 51, setzte sie mit Verve positive Akzente.

Neues und sehr Besonderes tat sich auch auf dem weitläufigen Markt, wo zu Füßen des Alten Rathauses ein „Tribute to Bach“ geboten wurde. Durch das Geschehen führte auf Deutsch und Englisch der Stargeiger Daniel Hope, der schon während der Lockdowns die Musikliebhaber/innen mit Sendungen aus seinem Berliner Wohnzimmer (Hope & Home) getröstet hatte.

Nicht nur den weltbekannten Superstar Lang Lang (Klavier) brachte er mit, sondern auch Albrecht Mayer (Oboe) von den Berliner Philharmonikern und die erfolgreiche Cellistin Sophie Kauer. Selbstverständlich ergriff auch er öfter seine edle Geige.

Stimmlich begeisterte dabei der Thomanerchor Leipzig, der mitsamt dem Gewandhausorchester äußert lebhaft vom Thomaskantor Andreas Reize geleitet wurde. Als Gesangssolisten imponierten Francesca Aspromonte (Sopran) und vor allem der persisch-kanadische Countertenor Cameron Shahbazi. Welch eine fabelhafte Stimme! Verständlich, dass der 31Jährige vielfach gefragt ist. Zuletzt noch ein beliebtes Muss: Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3.

Ein Programmheft gab es an jenem Abend nicht. Dem Publikum wurde nur ein kleines Notenblatt in die Hand gedrückt. Alle sollten zuletzt die Bach-Verse mitsingen „Jesus bleibe meine Freude…“. Die meisten trauten sich das.

Dieses Konzert wurde in Kooperation mit der Deutschen Grammophon veranstaltet und live übertragen: im deutsch- und französisch-sprachigen Europa von ARTE Concert sowie weltweit für die Abonnentinnen und Abonnenten von STAGE+, dem neuen Streaming Service von Deutsche Grammophon. Das Konzert wird zudem am 3. September in einer überarbeiteten Fassung auf ARTE ausgestrahlt.

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Tribute to Bach. Foto: Jens Schlüter

Wesentlich lauter und rhythmischer wurde es bei fast sommerlichen Temperaturen für knapp 15.000 Gäste am Eröffnungswochenende bei BachStage. Eine Performance der Heavy-Metal-Band Son of a Bach und der Auftritt der WDR Big Band lies das Publikum jubeln.

Solch ein Jubel wurde dem intensiv tätigen Bach damals in Leipzig nicht zuteil, auch nicht für seine schon am 11. April 1723 aufgeführte Johannes-Passion. Und eher entrüstet reagierte das damalige Publikum am Karfreitag 1729 auf Bachs Opus magnum, die doppelchörige dreistündige Matthäus-Passion. Das wäre doch eine Oper, lautete die Kritik, und solches war Bach in  seinem Anstellungsvertrag strikt untersagt worden.

An Bach perlte das ab, hatte er doch auch damit die Zukunft im Blick und gestaltete deshalb das Autograph besonders aufwendig. Das hütet nun die Staatsbibliothek zu Berlin, zusammen mit 80 Prozent der mehr als 1.000 erhalten gebliebenen Werke von Johann Sebastian Bach. Das kostbarste Stück ist dort das Autograph von Bachs h-Moll-Messe, das seit 2015 zum Unesco-Weltdokumentenerbe gehört.

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Matthäus-Passion. Solomon’s Knot. Foto: Gert Mothes

Die diesjährige Matthäus-Passion beim Bachfest wurde von SOLOMON’S KNOT aus London realisiert, „einem internationalen, flexiblen Barock –Kollektiv von Sängern und Instrumentalisten ohne Dirigenten, die alte Musik zu  neuem Leben erwecken“, war im Programmheft zu lesen.

Dieses außergewöhnliche, vor 15 Jahren gegründete Ensemble absolviert mit dieser Passion gerade eine Europa-Tournee und wurde nun auch beim Bachfest tätig. Alle sangen auswendig und waren auch nicht kostümiert. Für die Belebung dieser konzertanten Aufführung wurde mit dem Regisseur John La Bouchardiėre zwecks Dramatik und Emotionalität zusammengearbeitet. Das war voll gelungen, vermied jedoch jeden Kitsch.

Alle Sängerinnen und Sänger bewegten sich frei in der Nikolaikirche, gingen wunderbar singend durch den Mittelgang, standen direkt vor dem Publikum und waren dennoch voll konzentriert. Den Jesus sang der Leiter Jonathan Sells mit seinem warmen Bass, den Evangelisten der Tenor Thomas Herford.

„Wo ist mein Jesus“, fragten sie, und alle trauerten glaubhaft. Eine stark berührende Aufführung war das Resultat und für mich die beste Matthäus-Passion, die ich je erlebt habe. Die bleibt im Gedächtnis.

Wie immer endete auch dieses Bachfest Leipzig mit Bachs h-Moll-Messe. Beim weltweit geschätzten Bach Collegium Japan, geleitet von Masaaki Suzuki, war sie in allerbesten Händen.

Jetzt richten sich die Vorbereitungen und Erwartungen schon auf das nächste Bachfest Leipzig. Das findet vom 7. bis 16. Juni 2024 statt und feiert drei Jubiläen zugleich: 500 Jahre Luther-Choräle, 300 Jahre Choralkantatenzyklus Johann Sebastian Bachs und 25 Jahre Bachfest Leipzig. 26 unterschiedliche Formationen aus nah und fern werden erwartet.

Dann sind die 1724/25 entstandenen und auf den Chorälen des lutherischen Gesangbuchs fußenden Kantaten an der Reihe. Der Vorverkauf für das Bachfest Leipzig 2024 startet am 20. November 2023. 

Ursula Wiegand

 

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