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LEIPZIG/Bachfest 2018 – mit erstaunlichen Entdeckungen

13.06.2018 | Konzert/Liederabende


Nelson Goerner. Bachfest Leipzig. Copyright: Gert Mothes

Leipzig/ Bachfest 2018 am 11. und 12. Juni 2018 mit erstaunlichen Entdeckungen, 13.06.2018 – Kurzbericht

Jedes Mal beim Bachfest Leipzig ereignet sich Erstaunliches. Diesmal war es der Kantatenring mit 30 ausgewählten Bachkantaten, zu dem ich leider kein Ticket ergattern konnte. Der Erfolg hatte auch die Veranstalter völlig überrascht. In Windeseile war alles ausverkauft. Da blieb für die Presse nicht mehr viel übrig. Wenn überhaupt, werden wohl die großen internationalen Blätter Vorrang gehabt haben. Schade – denn wiederholt wird dieser Kraftakt leider nicht, geboten von den weltweit führenden Bachexperten und ihren Ensembles: Ton Koopman, Hans-Christoph Rademann, Thomaskantor Gotthold Schwarz, Masaaki Suzuki sowie Sir John Eliot Gardiner.

Aber auch „Kleineres“, beispielsweise das „Friedensgebet“ am 11.06. um 17 Uhr in der  Nikolaikirche unter dem Motto: „Herr Gott, zu unseren Zeiten“ mit Vokalmusik zum Friedensgebet. Es wird also nicht nur gesprochen und gepredigt, nein es wird allerbestens gesungen, und das von der 6-köpfigen Damengruppe Sjaela, unterstützt durch 4 Herren von Quartonal.  Vieles a cappella.

Vor allem die Frauenstimmen füllen den großen Kirchenraum, reiben sich bei den modernen Stücken wie das „An die Hoffnung“ für sechsstimmigen Chor von Thomas Jennefelt (geb. 1954). Die Dissonanzen kommen so klar, dass sich die Ohren keineswegs irritiert fühlen, sondern sich ganz weit für dieses Tongemälde öffnen.

Konservativer, aber wunderschön, das „Da pacem, Domine“ von Arvo Pärt, das er den Opfern des Bombenattentats in Madrid im Jahr 2004 gewidmet hatte.

Die Gruppe Sjaela ist in Leipzig daheim und beweist wieder einmal, wie viele hochbegabte und sehr gut ausgebildete Musiker/Innen es in der Bachstadt gibt.

Die nächste Überraschung am 11.06. ist Nelson Goerner (Klavier) abends im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses. Der Name ist vielen, auch mir, völlig unbekannt, denn der – geb. 1969 in Argentinien und von Martha Argerich entdeckt – ist nicht einer, der ständig rund um den Globus unterwegs ist. Der arbeitet als Professor in Genf. Wer solch einen Lehrer hat, kann sich glücklich schätzen.

Der spielt wie ein Jüngling und mit der Erfahrung eines gereiften Mannes. Der bringt ans Tageslicht, was Johann Sebastian Bach  in seinen „Präludien und Fugen, BWV 870–881“ aus dem „Wohltemperierten Klavier, Teil II“ in die Noten an Ungewöhnlichem hineinkomponiert hat. Der lässt Bach sprechen, tut sich nicht selbst hervor.

Bei manchen Interpreten klingen die von Bach vermutlich zu Unterrichtszwecken zusammengestellten Stücke langweilig. Da fallen einigen mitunter die Augen zu. Hier aber  lauschen fast alle mit angespanntem Interesse. Paarweise wechselt die Tonart Dur zu Moll, und dementsprechend eingefärbt und originell ist jedes Stück.

Gleiches gilt auch für die Tänze, die aber in der „Partita e-Moll“, BWV 830 weit entfernt sind von den seinerzeit üblichen Formen. Schon der Anfang, die Toccata, klingt unter Goerners flinken und kraftvollen Händen, als wäre hier eine Orgel am Werke. . Beim Air legt er sich ganz hinein in die Melodien, hat an anderen Stellen auch ein schelmisches Lächeln.

Ein Name, den sich Musikfreunde merken unbedingt merken sollten.

Eigentlich möchte ihn frau ständig weiter Bach spielen hören, aber nach der Pause ist Frédéric Chopin mit seinen „Preludes, op. 28“ an der Reihe, übrigens ein großer Bach-Verehrer, der ein eigenes Exemplar vom Wohltemperierten Klavier besaß. Besonders bei den anfänglichen Kurzstücken ist Bachs Einfluss spürbar, und genau wie sein Vorbild, setzt er starke Kontraste, aber bald mit überschäumender romantisch getönter Fantasie. Auch denen gewinnt Goerner weit mehr an Farbe und Intensität ab, als das vielfach der Fall ist. Tosender Beifall und deshalb zuletzt noch eine Zugabe: Chopins „Nocturne in cis-Moll“.  Diesen Pianisten sollten sich alle wirklich merken. 

Die persönliche Überraschung Nr. 3 wird am 12.06. das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy, op. 70, MWV A25 unter der Leitung von Masaaki Suzuki mit seinem Bach Collegium Japan, verstärkt durch Juilliard415. Als Solisten überzeugen Rachel Nicolls und Roxana Constantinescu (beide Sopran mit unterschiedlicher Färbung), James Gilchrist (Tenor) und Christian Immler, der mit seinem markanten Bass genau in die Rolle des eifernden Propheten Elias passt, der nicht nur mit den abtrünnigen Baal-Anbetern seines Volkes hadert, sondern auch mit Gott selbst.

Mendelssohn wollte Dramatik, und genau das vollbringt jetzt Suzuki mit vollem Körpereinsatz. Wer ihn „nur“ als überaus versierten Kantaten-Interpreten kennt, kommt bei seinem Dirigat und dem Aufschließen der Mendelssohn’schen Komposition aus dem Staunen nicht heraus. Auch dieses Oratorium kann manchmal recht blass klingen, hier ist es voller Feuer.  

Ursula Wiegand

 

 

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