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LEIPZIG: Ausstellung „MYTHOS SCHWAN“ – Facetten eines sagenumwobenen Vogels

02.08.2022 | Ausstellungen

LEIPZIG: Ausstellung „MYTHOS SCHWAN“ – Facetten eines sagenumwobenen Vogels – Juni/Juli 2022

 Ein faszinierender Vogel!

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Foto: Klaus Billand

Ein faszinierender Vogel!

Während des Festivals an der Leipziger Oper WAGNER 22, bei dem zum Abschied von Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer vom 20. Juni bis 14. Juli diesen Jahres alle 13 Bühnenwerke des Bayreuther Meisters in chronologischer Reihenfolge aufgeführt wurden, veranstaltete das Richard-Wagner-Zentrum Mitteldeutschland unter der Leitung seines Vorsitzenden Thomas Krakow eine Ausstellung zum „Mythos Schwan“ und zeigte viele Facetten dieses sagenumwobenen Vogels auf, der ja sofort Assoziationen mit Wagners „Lohengrin“ und dem Ballett „Schwanensee“ von P. I. Tschaikowski und anderen hervorruft. Die Erstpräsentation fand bereits von April 2021-April 2022 an den Richard-Wagner-Stätten Graupa stat. Nun kamen viele der von weither angereisten Wagner-Liebhaber in den Genuss dieser kleinen, aber feinen Ausstellung. Kurator Wolfgang Mende, der auch den Katalog konzipierte, ist seit 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Richard-Wagner-Stätten Graupa. Vorher war er am Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der TU Dresden tätig. Thomas Krakow hatte die Idee, die Ausstellung von Graupa nach Leipzig während WAGNER 22 zu holen, um sie einem großen Kreis von auch internationalen Besuchern des Wagner-Festivals zeigen zu können. Er hat diese interessante Initiative allein mit seinem 30-köpfigen Team durchgeführt, während Mende und eine Kollegin aus Graupa den Transport und den Aufbau übernommen haben. Dabei entstand auch eine gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen.

Christian Thielemann, Schirmherr der Richard-Wagner-Stätten Graupa, wo Wagner wesentliche Teile des „Lonhgrin“ komponierte, hebt in seinem Vorwort die Bedeutung der Mythen, Bilder und Erzählungen hervor, die sich um den Schwan ranken. Der hochinteressante und ebenso ansehnlich wie kompetent konzipierte Ausstellungskatalog, auf dem die folgenden Ausführungen im Wesentlichen fußen, geht diesen Mythen und der Freilegung ihrer Wurzeln sowie mannigfachen Verwandlungen auf eindrucksvolle Weis nach. Das bildet sich auch in den Exponaten und kleinen Geschichten der Ausstellung ab, die man dazu sehen und lesen konnte.

Es beginnt mit dem Kapitel „Der Sänger“, welches die besondere Verbindung des Schwans mit der Musik seit ältester Zeit hervorhebt. Schon die Etymologie „Schwan“ (“der Töner“) weist darauf hin. Im antiken Griechenland war der Schwan der heilige Vogel des Apollon, des Gottes der Musik. Sein Gesang genoss legendären Ruf. Nicht zuletzt kennt man das Wort „Schwanengesang“. Dieser Topos entwickelte sich in der europäischen Kultur zu höchster Würde, zumal man annahm, dass der Schwan vor seinem Tod besonders schön oder überhaupt nur da sänge (Aischylos 458 v. Chr.). Man assoziierte höhere Weltschau, Weissagung und transzendente Erkenntnis. Der Vogel avancierte zum Emblem herausragender Dichter, später auch Musiker.

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Foto: Klaus Billand

 Das Kapitel „Der Schicksalskünder“ geht darauf ein, dass der Gesang der Vögel eine verschlüsselte Botschaft transportiere, da sie als Wesen zwischen Himmel und Erde leben. Man denkt an die Komödie „Die Vögel“ von Aristophanes aus dem Jahre 414 v. Chr. und die darauf basierende gleichnamige Oper von Walter Braunfels, die 1920 in München ihre Uraufführung erlebte und in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance durchläuft. Als einem Vogel, der seinen eigenen Tod vorausfühlen soll, stehen beim Schwan die hellseherischen Fähigkeiten oft in Verbindung mit Schicksal, Tod und Transzendenz. Man denke nur an „Lohengrin“!

Im Kapitel „Der Beseelte“ geht es um die vielen mythischen Schwanenverwandlungen, von verzauberten Schwanenkindern, Schwanenjungfrauen und Schwanenprinzen, die sich von Europa über den Orient bis nach Indien, China und Japan erstrecken. Sogar Götter können Schwanengestalt annehmen. Fast immer gibt es dazu eine archaische Vorgeschichte, die oft auf dem Glauben an die Allbeseeltheit der Natur beruht. So verwandeln sich Schamanen in Ekstase in Vögel, um Heilprozesse zu bewirken. Da aber Schwäne als beseelt und heilig galten, war in manchen Kulturen ihre Jagd und ihr Verzehr untersagt. Man denke an das von Parsifal verübte Sakrileg, im Heiligen Wald von Monsalvat einen Schwan erlegt zu haben, aber auch an den jammervollen Gesang über den gebratenen Schwan in Carl Orffs „Carmina Burana“.

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Foto: Klaus Billand

Das Kapitel „Der Göttliche“ geht auf den Anteil am Göttlichen ein, den Schwäne in vielen Kulturen als Seelenvögel und Mittler zwischen Diesseits und Jenseits hatten. Vielleicht hat das schneeweiße Gefieder, aber auch ihre Flugfähigkeit trotz großen Gewichts zu dieser Annahme geführt. Hinzu kamen die Mythen ihrer Wahrsagekunst, ihre freudige Todesahnung und ihre Verbindung zum Sonnengott Apollon. Das prädestinierte den Schwan einerseits zum christlichen Sympoltier, andererseits zur Allegorie des künstlerischen Geniekults, wie er in der Antike und erneut seit der Renaissance gepflegt wurde.

Das Kapitel „Der Majestätische“ geht auf die Eleganz und die mit der Größe von 10-14 kg verbundene Ausdehnung des Reviers eines Schwanes von bis zu einem Quadratkilometer ein, und damit auf das aristokratische Auftreten des Schwans. So mutierte der Schwan oft zum repräsentativen Herrschaftssymbol und fand sich in vielen Wappen und Adelsgenealogien wieder. In England ist die Haltung und Jagd von Schwänen noch heute ein königliches Privileg.

Aber es gibt auch das Kapitel „Der Zwielichtige“, welches den Blick auf vermeintlich negative Seiten der Schwanenbilder erhellt, die vor allem die mittelalterliche Theologie in Umlauf brachte. Sie setzte sie den schillernden Mythen der Antike und der Überlieferung entgegen, die nun als heidnisch-sündhaft verachtet wurden. Dabei wurde auf die unter dem weißen Gefieder hervortretende schwarze Haut und gar schwarzes Fleisch thematisiert und das herrschsüchtige und bisweilen aggressive Verhalten des Schwans bemüht. Dabei kann man nur schwarze Füße sehen…

Natürlich darf, wenn es um den Schwan geht, ein Kapitel „Der Erotische“ nicht fehlen. Wer hat nicht schon gesehen, dass balzende Schwäne graziös und wohlchoreografiert mit ihren langen Hälsen „tanzen“ und sich an Hälsen und Schnäbeln liebkosen. Allerdings hat die allgemein empfundene Schönheit und Geschmeidigkeit der Schwäne Anlass für erotische Assoziationen gegeben. Der Schwan war nicht nur ein Attribut Apollons, sondern auch der Liebes-, Schönheits- und Fruchtbarkeitsgöttin Aphrodite bzw. Venus. Apollon versprach ihr zur göttlichen Hochzeit einen goldenen, von weißen Schwänen gezogenen Wagen… Sowohl Aphrodite als auch ihr Sohn Eros bzw. Amor wurden auf einem Schwan reitend dargestellt. Bekannt ist auch der Liebesakt göttlicher Sodomie von Leda mit dem Schwan (Peter Paul Rubens, Öl auf Eichenholz, um 1598-1600).

Im vorletzten Kapitel „Der Freie – Die Freie“ stellt die Ausstellung auf die Souveränität der Schwäne im eleganten Flug mit bis zu 50 km/h bei einer Spannweite von über zwei Metern ab. Die Tiere wurden nie domestiziert und sind dennoch nicht scheu. Die Idee von Freiheit und Autonomie schwingt auch in manchen Schwanengeschichten mit – auch im Sinne einer Assoziation mit weiblichen Figuren und ihrer Befreiung von patriarchaler Macht und Gewalt. Besonders ausgeprägt findet sich dieser Topos bei den Schwanenjungfrauen und Walküren – womit wir wieder bei Wagner sind…

Zum Schluss widmet sich die Ausstellung mit dem Kapitel „Der Andere“ noch dem Nebeneinander von männlichen und weiblichen Rollen in der Zusammenschau aller tradierten Mythen, wie Mensch und Tier, Göttliches und Menschliches, Reinheit und Trug, Keuschheit und Wollust. So wurde das Schwanensymbol im 19. Jahrhundert zur Projektionsfläche für sexuelles Anderssein, insbesondere für gleichgeschlechtliche Liebe. Eine eigene Symboldynamik entfaltete der von Europäern erst 1697 entdeckte schwarze Schwan. Er kann für frevlerische und tabuisierte Lust stehen, aber auch für die Utopie einer Entdämonisierung des Andersseins. Hinweise könnte man bei König Ludwig II., bei Siegfried Wagner, der bekanntlich eine Oper mit dem Titel „Schwarzschwanenreich“ schrieb, und auch bei P. I. Tschaikowski finden.

Gemeinsam mit dem auch bildlich und mit reichen Quellenangeben ebenso anspruchs- wie phantasievoll ausgestatteten Katalog war diese Ausstellung eine Bereicherung für jeden, der sich mit der Thematik des mythologischen Wasservogels Schwan etwas näher auseinandersetzen will, ob mit oder ohne Bezug zu Wagner und anderen Komponisten. Ein Gewinn für WAGNER 22 in Leipzig!

Klaus Billand          

 

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