Lech/Arlberg: LECH CLASSIC FESTIVAL –
“UND DER HIMMEL HÄNGT VOLLER GEIGEN…!“ – 2.8.2022
Der zweite Konzertabend des Lech Classic Festivals steht unter dem Motto „Virtuosen unter sich“. Nachdem das – eigens für das Festival gegründete – Orchester mit 16 Streicher – ohne Dirigat – mit Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur gekonnt melodienhaft einleitet, präsentieren sich vier Geigen-Künstler mit unterschiedlichsten Werken und Klangerlebnissen dem zahlreich erschienen Publikum.
Mayuko Kamio und Dalibor Karvay begeistern mit Weltklasse-Spiel. Foto: Dietmar Biasio-Hurnaus/Lech Zürs Tourismus
Zum Duell „zweier Giganten“ wird das Concerto für zwei Violinen und Streichorchester A-Moll von Antonio Vivaldi, der weit über 200 Violinkonzerte komponierte – auch welche für 2,3, oder 4 Soloviolinen. Die japanische Meistergeigerin Mayuko Kamio im engen, schwarzen, schulterfreien Kleid und der Geigenvirtuose und 1. Konzertmeister der Wiener Symphoniker Dalibor Karvay schenken einander nichts. Sobald der Slowake temperamentvoll vorantreibt, setzt die Partnerin mit schnellen Tempi, expressiven Spiel und dem satten, aber transparenten Klang ihrer Stradivari aus 1731 nach. Offenbar funktioniert die feine Differenziertheit und die hinreißende Wucht zwischen den beiden Künstlern so gut, dass sie sich während des 1. Satzes nicht einmal anblicken. Der deplatzierte Applaus danach entsteht aus purer Begeisterung und sei somit verziehen. Im langsameren 2. Satz begeistert die Solopassage des Violinisten, der auch schon vor Prinz Charles und Papst Johannes Paul aufgetreten ist, mit herrlich zarten, wehmütig klingenden Tönen und das Duett gelingt weich, melodisch und mit untergründiger Schwermut. Zuletzt entsteht ein rascher, leichtfüßig gebrachter Dialog auf Augenhöhe, der die Gäste im Konzertsaal in euphorische Stimmung versetzt. Als Zugabe schenkt das Duo den begeisterten Zuhörern – ohne Orchesterbegleitung und mit wechselnden Plätzen am Podium – Händels Passionale, die es auch in der Version Violine/Cello und Violine/Bratsche gibt. Bei dem kammermusikähnlichen Werk wird auch heftig gezupft, die Funken sprühen und die ebenbürtigen Musiker beenden mit einem beindruckend-rasanten Schlussteil.
Belle Ting kann mit Mozart aufzeigen. Foto: Dietmar Biasio-Hurnaus/Lech Zürs Tourismus
Danach folgt Mozarts Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 A-Dur, KV 219. Die junge Belle Ting erweist sich als einfühlsame Interpretin mit erfrischend-jugendlicher Ausstrahlung. Während der Dirigent Tetsuro Ban, neben der Violinistin stehend, mit fließenden Bewegungen – wie von einem Ballett-Tänzer – souverän einleitet, schließt die Kanadierin mit taiwanesischen Wurzeln mit einem sanften Lächeln die Augen, um sich ganz der musikalischen Fülle an Schönheit hinzugeben. In einem wundervollen, nachtblauen Kleid, welches mit goldenen Ornamenten im Oberteil verziert ist, setzt die sympathisch wirkende Geigerin im flirrenden Allegro aperto fröhlich beschwingt ein. Ihr Instrument ertönt lieblich, fast süßlich, und steht im großen Kontrast zu der harten, eher aggressiv klingenden Stradivari von Mayuko Kamio. Das Adagio besticht wie ein wehmütiger Traum und der musikalische Leiter macht sich mit großer Beweglichkeit ganz klein, um das Orchester behutsam auf die langsameren Takte einzustimmen. Im 3. Satz Rondeau. Tempo di Menuetto gelingt der Wechsel vom Menuett artigen 3/4 Takt zum 2/4 Takt und „türkischen Musik-Klängen“ mit frechem Charakter und naivem Spiel. Der Japaner am Pult tänzelt elastisch-dynamisch ohne Dirigierstab und zeigt weiterhin keinerlei Kräfteverluste. Die Violinistin beweist ihr großes Talent auch bei der Zugabe „Introduction & Scherzo Caprice“ von Fritz Kreisler und zaubert mit eindringlicher Eleganz Wiener Klänge in die Lecher Bergwelt.
Fedor Rudin auf Paganinis Spuren mit Tetsuro Ban am Pult. Foto: Dietmar Biasio-Hurnaus/Lech Zürs Tourismus
Nach der Pause bestreitet Fedor Rudin den einzigen Programmpunkt: Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 in Es-Dur. Der Virtuose, in Moskau geboren und in Paris aufgewachsen, hat unter anderem den Premio Paganini-Preis in Genua gewonnen und arbeitet nach umfangreicher Orchestererfahrung 2019-21 bei den Wiener Philharmonikern an seiner Solisten Karriere. Da er „schon 30 Jahre alt“ ist, muss er seine Violine von Lorenzo Storiani aus 1779, eine Leihgabe für junge Künstler, nächsten Februar zurückgeben. Das Stück von Niccolò Paganini beginnt mit viel orchestralem Witz und Esprit und es ist bemerkbar, dass der Geiger, der auch als Dirigent ausgebildet wurde, gerne mitdirigieren möchte und sich mit den entsprechenden Bewegungen sehr zurückhalten muss. Mit Leichtigkeit und stets sehr einfach wirkend zeigt der brillante Musiker im 1. Satz Allegro maestoso – Tempo giusto einen fröhlichen Wechsel zwischen einfühlsamen, würdevollen Passagen und schnellen Virtuosen-Einlagen inklusive leisesten, höchsten Tönen und Dynamik mit schnellster Fingerfertigkeit bei den Solisten-Teilen. Es ging dem Geigenkomponisten offensichtlich vor allem darum, zu zeigen, welche Möglichkeiten an Tonfolgen und Klangerlebnissen aus einer Violine zu zaubern sind. Und Rudin besteht diese Prüfung meisterlich, auch im melancholischen 2. Satz Adagio, wo bei vollem Orchestereinsatz auch Sinfonie-ähnliche Passagen für Dramatik pur sorgen. Rondo. Allegro spirituoso bringt zügige Spritzigkeit mit hellen Klangfarben und als der Solist pausiert, wendet er sich zu seinen Musikerkollegen und dirigiert neben dem verlässlichen Partner Tetsuro Ban mit. Es folgt ein ruhiger Teil, wo sich der Virtuosen Geiger auch nicht von unliebsamen Geräuschen aus dem Publikum aus der Ruhe bringen lässt. Für die Rezensentin ist es unfassbar, was dieser Künstler aus seinem Instrument fähig ist, herauszuholen und dass er über 35 Minuten – bei einem technisch so anspruchsvollen Stück und ohne Notenpult höchste Konzentration und Spannung aufrechterhalten kann.
Fedor Rudin führt seine Violine von Lorenzo Storiani aus 1779 vor. Foto: Dietmar Biasio-Hurnaus/Lech Zürs Tourismus
Eine großartige Leistung, als er seine Violine in eine „Teufelsgeige“ verwandelt! Als Zugabe wird der 2. Satz Malinconia.Poco lento aus der Sonate für Violine vom belgischen Geiger Eugène Ysaye gewählt und mit langsamer, friedlicher Ernsthaftigkeit verabschiedet sich Fedor Rudin für heuer vom Lech Classic Festival. Man würde sich freuen, ihn und seine Kunst bald wieder zu hören.
Susanne Lukas