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LECH am Arlberg/ „Lech Classical-Festival“: FIDELIO konzertant – „eine Annäherung an das glühende Freiheitsmanifest“

07.08.2021 | Oper in Österreich

Lech am Arlberg: „LECH CLASSIC FESTIVAL –FIDELIO konzertant“

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Leah Gordon, Michael Güttler, Peter Kellner, Matthias Hausmann. Copyright: Lech-Klassik-Festival/ Hurnaus

„eine Annäherung an das glühende Freiheitsmanifest“ 6.8.2021

 In der reduzierten Orchesterfassung von Igor Retschitsky werden alle Rezitative gestrichen und auch die Sprechtexte fehlen. Um auch jenen Gästen die Handlung näher zu bringen, die das Werk noch nicht kennen, führt Kammerschauspieler Joseph Lorenz zwischen Arien und Ensemblestücken durch die Geschichte in ein Staatsgefängnis bei Sevilla am Ende des 18. Jahrhunderts. Dies gelingt auf jeden Fall mit so einer ausdrucksstarker Bühnenpersönlichkeit – manchmal wird allerdings vom Zettel abgelesen. Für Opern-Stammgäste, für die Beethovens meisterliche, symphonisch-konzipierte Musik bereits das Geschehen auf der Lecher Bühne eindringlich und ausreichend „erzählen“ kann, können diese Pausen, die den Spielfluss unterbrechen, auch störend wirken.

Die Veranstalter gelten als sehr mutig, Beethovens einzige Oper auch dem Publikum am Arlberg näher bringen zu wollen, da der Komponist nicht gerade als sängerfreundlich gilt und die Partien äußerst schwer adäquat zu besetzen sind. Dazu kommt für das Ensemble als weitere Herausforderung hinzu, dass alle Musiker – inklusive aller Orchester- und Chormitglieder – noch nie miteinander musiziert und gesungen haben und nur eine Orchester- und eine Generalprobe vor der Aufführung stattfindet. Des Weiteren haben 4 Sänger nur für die Lecher Vorstellung ihre Rollen einstudiert und können nicht auf lange „Fidelio“- Erfahrungen zurückgreifen. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass alle Solisten über ein klar artikuliertes Deutsch verfügen, auch wenn es sich nicht um ihre Muttersprache handelt, und die gesungenen Texte ausgezeichnet verständlich sind.

Fidelio“ in Lech als Fest mit Experimentalcharakter - Vorarlberger  Nachrichten | VN.at
Copyright: Lech-Klassik-Festival/ Hurnaus

Ivana Rusko, Ensemblemitglied in Köln seit 2016/17, verfügt über eine kräftige Stimme und beeindruckt mit ihrer hellen, klaren Höhe. Die lyrisch-frische Sopranstimme entwickelt sich hörbar zum Dramatischen und ihrer Marzelline ist zeitweise eine wärmere Farbe zu wünschen. Beim Duett „Jetzt Schätzchen, sind wir allein…“ gefällt ihr Spiel mit Mimik, wenn sie gelangweilt die Augen verdreht, als Jacquino ums Jawort bittet. Die kleine Stimme des bemühten Tenors David Sitka aus dem Volksopern-Ensemble wurde von seiner Angebeteten überstimmt. Beim Quartett „mir ist so wunderbar“ harmonieren die beiden Damen am Beginn besonders. Leah Gordon, rollengerechter Fidelio mit schwarzem Hosenanzug und Bolero-Jäckchen und die Haare streng zusammengebunden, kann mit gehaltvollen tiefen Lagen („Abscheulicher! Wo eilst du hin?“), zartem piano und dramatischer Höhe punkten. Als stärkste Momente bleiben ein langanhaltendes „die Liebe, sie wird’s erreichen“ und den dynamischen Aufruf „ich folg´dem innern Triebe“ im Gedächtnis. Beim Aufschrei „Töt erst sein Weib“ bewegt sich die Sopranstimme als schriller Todesengel schon in Wagnerische Dimensionen. Die Kanadierin steht beim Rollendebüt körperlich-steif an der Rampe, was aber bewusst ihrem Rollenverständnis entspricht; sie möchte so Leonores Angst und Verzweiflung ausdrücken. Ihr Vorgesetzter Rocco wird von Peter Kellner interpretiert. Die Rezensentin hat noch nie einen so jugendlichen und charmanten Kerkermeister gesehen. Der kurzfristige Einspringer für Ain Anger kann gekonnt die Verbindung zum Publikum herstellen und lächelt schelmisch, wenn er singt, dass „wer bei Tisch nur Liebe findet, wird nach Tische hungrig sein“. Der Slowake ist der ideale Sängerdarsteller, der auch beim Duett-Beginn mit Pizarro anfängt, Geld zu zählen („du wirst ein reicher Mann“), die Hand aber schnell zurückzieht und am Rücken versteckt, als er erfährt, dass er dafür morden soll. Man kann den Slowaken eher im Bass-Bariton-Fach sehen, aber das Duett der tiefen Stimmen „Jetzt Alter, jetzt hat es Eile…“ klingt durchaus spannungsgeladen. Der Gefängnisgouverneur an seiner Seite ist ein böse blickender Mathias Hausmann, Ensemblemitglied des Staatstheaters am Gärtnerplatz München. Durchaus glaubwürdig mit rachelustigem Bariton, kann er das intensiv spielende Orchester bei seiner Arie „Ha, welcher Augenblick!“ leicht übertönen. Wenn auch nur mit einer Arie vom Komponisten bedacht, ist Ferdinand von Bothmer an diesem Abend leider restlos mit der Rolle des Florestan überfordert. Normalerweise sollte „Gott, Welch Dunkel hier…“ nach der symphonischen Introduktion mit einem langsam aus dem piano anschwellenden G beginnen, was ebenso wenig gelingt, wie auch sonst kein weiterer hoher Ton glücken will. Die an Wahnsinn grenzende Begeisterung von der „Freiheit ins himmlische Reich“ fehlt ebenfalls. Wie man am nächsten Abend bei einem Hotelkonzert im kleinen Kreis hören konnte, fühlt sich die Tenorstimme bei Lehár viel wohler. Ein besonders würdevoller Auftritt ist Michael Havlicek durch die Publikumsreihen gegönnt, wenn sein Don Fernando Gerechtigkeit und Milde als ideale Bedeutung der Brüderliebe preist und stimmlich und darstellerisch vollkommen überzeugen kann. So steht einem beherzt-erklingenden Finale mit 26 Chormitgliedern (Choreinstudierung: Johann Pichler) und dem ambitioniertem Lech Classic Orchester unter dem zupackenden, entschlossenen Dirigat unter Michael Güttler nichts mehr im Wege.

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Finale allegro ma non troppo: „wer ein holdes Weib errungen“: Ferdinand von Bothmer (florestan), Leah Gordon (Leonore), Michael C. Havlicek, (Don Fernando) Peter Kellner (Rocco), Ivana Rusko (Marzelline), David Sitka (Jaquino). Foto: Susanne Lukas

 

Susanne Lukas

 

 

 

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