Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LECH am Arlberg/Lech Classic-Festival: BEETHOVENS SEELE – „ein genialer Dialog zwischen gesprochendem Wort und Musik“

08.08.2021 | Konzert/Liederabende

Lech am Arlberg:

„LECH CLASSIC FESTIVAL – Beethovens Seele“

„ein genialer Dialog zwischen gesprochendem Wort und Musik“ 7.8.2021

 Um den göttlichen Ludwig van Beethoven näher kennen zu lernen, kann man Biographien lesen, Dokumentationen im Fernsehen verfolgen und sich Filme über den Komponisten ansehen. Oder man ist beim Lech Classic Festival und lernt zwischen musikalischen Darbietungen auch den Menschen und Mann durch Briefe und Grabreden besser zu verstehen.

img 8943
Melodram bei „süßer Schlaf“ mit dem überragenden Joseph Lorenz, Michael Güttler leitet das Orchester. Foto: Susanne Lukas

Das Publikum im fast ausverkauften Konzertsaal im Sportpark Lech mit 640 Gästen hört am Beginn vom ausgezeichnet spielenden Lech Festival Orchester unter einem souveränen Michael Güttler die Ouvertüre zum Trauerspiel „Egmont“ op. 84 mit den Sätzen Allegro ma non troppo – Larghetto – attacca – Rondo Allegro. Die ernsten, fast trübsinnigen Melodien wirken äußerst dramatisch und wechseln zuletzt zu Heiterkeit mit Siegesfanfaren. Danach erläutert Kammerschauspieler Joseph Lorenz mit hervorragender Akzentuierung, dass Beethoven 1792 Bonn verlässt – für immer – und in Wien einen idealen künstlerischen Nährboden und ausreichende finanzielle Möglichkeiten vorfindet. Alle adeligen Familien hielten sich private Orchester und es entstand ein neuer Bedarf an Kammermusik. Zu den rezitierten, über großen Erfolgen überschwänglich geschriebenen und überwiegend positiv formulierten Brief des Komponisten an seinen Freund Gerhard Wegeler im Jahre 1801 passt auch der 4. Satz der 1. Sinfonie C-Dur op. 21, die springlebendig vorgetragen wird. Doch der Hörverlust des musikalischen Genies schritt weiter fort („ein neidischer Dämon hat meine Gesundheit angegriffen“) und das vorgelesene „Heiligenstädter Testament“ aus 1802 an seine jüngeren Brüder Karl und Johann zeigt einen seelischen Zusammenbruch. Der Sprecher kann beim Vortrag mit Pausen an den richtigen Stellen, mit exakter Betonung und verzweifelter, aufbrausender, erzürnter Stimmfarbe für Erschütterung bei den Zuhörern sorgen. Beethoven beklagt, dass er für feindselig, störrisch und misanthropisch gehalten wird, obwohl er sich nur zurückzieht, weil er nichts mehr hören kann und nur die Kunst rettet vor dem Selbstmord. Der charismatische Lorenz liest nicht einfach vor, er  i s t  Beethoven, drückt dessen inneren Kampf fantastisch aus und bittet am Schluss die Brüder (und die gesamte Menschheit): „liebt euch und vertragt euch“. In die gewonnene, ernste Stimmung passt der 2. Satz der 7. Sinfonie A-Dur op. 92, die mit langsameren, rhythmischen Tönen wie eine Prozession-Begleitung erklingt. Als nächster Programmpunkt wird der Tonkünstler als schwärmerischer Mann präsentiert. Sein Liebesbrief „Mein Engel, mein Alles, mein ich“ aus 1812 zeigt eine drängende, ungeduldige, aber auch romantische Seite eines liebenden Mannes. Der Wiener Mime hebt einen Bleistift in die Höhe, da der Brief an die Geliebte mit einem Stift von ihr geschrieben wurde, wie am Briefbeginn vermerkt ist. Daraufhin beweisen die Pianistin Jasminka Stančul und Mathias Hausmann im Liederzyklus op. 98 „An die ferne Geliebte“, wie herrlich der große Naturfreund Beethoven blaue Berge, ruhige Täler, gehende Wolken, stille Primeln und schmale Bächlein vertonen konnte. Die klangvolle, raumfüllende Baritonstimme mit angenehmer Höhe und exakter Aussprache kann mit der einfühlsamen Klavierbegleitung berühren.

img 8944
Großartiges Programm von Mathias Hausmann, Jasminka Stančul, Michael Güttler und Joseph Lorenz beglückend vorgetragen. Foto: Susanne Lukas

Bei nasskaltem, winterlichem Wetter im offenen Stellwagen zieht sich Beethoven bei der Reise von Krems nach Wien eine tödliche Lungenentzündung zu und stirbt am 26. März 1827 in Wien. Der Trauerzug drei Tage später, führt vom Sterbehaus in der Schwarzspanierstraße zum Währinger Friedhof und gleicht einem Staatsbegräbnis mit 20.000 Menschen (das ist die Hälfte der Bevölkerung der damaligen Wiener Innenstadt), bei dem die Kinder schulfrei bekommen und das Militär abkommandiert wurde, um den Verkehr zu regeln. Alle bedeutenden Künstler und Musiker begleiteten den Sarg, so ist Franz Schubert, der 1 Jahr später neben Beethoven begraben wird, einer der Fackelträger, Franz Grillparzer ein weiterer. Es folgt ein melancholischer, bedrückend klingender „Trauermarsch“ aus dem 2. Satz der 3. Sinfonie Es-Dur op. 55

Die von Grillparzer verfasste Grabrede bringt die Würdigung einer ganzen Nation an den überragenden Künstler und einsamen Menschen, der bis zum Tod ein menschliches und väterliches Herz bewahrte: „So war er, so starb er, so wird er bleiben für alle Zeit. Ein Mann, von dem man sagen kann, wie von keinem, er hat großes geleistet und kein Tadel war an ihm“. Das letzte Stück Melodrama und Finale aus Goethes Trauerspiel „Egmont“ op. 84 „Süsser Schlaf – Siegessymphonie“ wird zart und behutsam eingeleitet im harmonischen Dialog mit Joseph Lorenz, bevor die Bläser beherzt eingreifen, sich die Trompeten intensiv melden und der Trommelwirbel folgt, um zum erhebenden Schluss anzusetzen. Nach 90 Minuten ist eine Sternstunde des Lecher Classic Festivals zu Ende gegangen, die – berechtigt – mit standing ovation bedacht wird.

Susanne Lukas

 

Diese Seite drucken