Lawrence Zazzo: Mein Lehrer gab mir eine „Vokal-Angel“ anstelle von „Fischen“!
(September 2019 / Renate Publig)
Die Premiere von Benjamin Brittens Midsummer Night’s Dream ist gleichzeitig das Debüt von Lawrence Zazzo, der den Feenkönig Oberon verkörpert. Zazzo wurde in Philadelphia geboren, lebt jedoch nun in England. Im Interview spricht der Countertenor über die vielen Welten, denen wir in dieser Oper begegnen, über seine Leidenschaft zu recherchieren und warum er selbst begeisterter Gesangslehrer ist.
Lawrence Zazzo © Justin Hyer
Herr Zazzo, was hat Sie zum Gesang, zur Oper geführt?
Als Heranwachsender hasste ich Oper! (lacht) War mir absolut unverständlich, was daran schön sein soll, wenn Menschen sich in einer unverständlichen Sprache anschreien. Das schien mir alles so künstlich aufgeblasen! Allerdings habe ich eine Vergangenheit als „Bühnen“kind, als „The Great Zazzini“ zauberte ich auf Geburtstagsfesten von Kindern. Die Bühne war mir also nicht fremd, dort fühlte ich mich zuhause.
Auch interessierte ich mich für Musik und begann ein Studium in Yale und ging dann nach Cambridge, wo ich mit Begeisterung in Chören sang. Damals dachte ich, eine akademische Laufbahn als Musiker einzuschlagen, als Musikwissenschaftler oder eventuell als Chordirigent.
Wie kamen Sie dennoch zur Bühne, Ihr Debüt erfolgte mit dieser Partie, die Sie nun porträtieren?
Auf der Royal Academy sollte ich eben dieses Stück, Midsummer Night’s Dream singen. Und als ich auf die Bühne trat, war dieses Werk wie – heimkommen. Das macht dieses Stück so speziell für mich, es eröffnete mir die Opernwelt. Das Werk inspiriert die Regisseure, und dadurch eröffnen sich auch mir durch die unterschiedlichen Perspektiven jedes Mal neue Sichtweisen!
Außerdem habe ich einen persönlichen Bezug: Meine Tochter kam auf die Welt, als ich das Stück sang, und es ist die einzige Oper, in der sie mich auf der Bühne sah. Dieser Moment in Aix-en-Provence bleibt mir unvergesslich. Hoffentlich bringen viele Opernbesucher ihre Kinder mit, denn diese Zauberwelt ist ein Erlebnis gerade für junge Zuhörer!
Dies ist nun Ihr Debüt an der Wiener Staatsoper – gleich mit einer Premiere!
Im Musikverein, Konzerthaus und im Theater an der Wien war ich bereits zu Gast, einer meiner größten musikalischen Momente in Wien war die Aufführung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ im Musikverein unter Thomas Hengelbrock. Ein bewegendes Erlebnis, das Werk in jener Stadt zu singen, wo die Uraufführung stattfand!
Auf das Debüt an der Wiener Staatsoper freue ich mich ganz besonders. Diese hochmusikalische Stadt ist ein Mekka für jeden Künstler! Wien wurde ja auch wieder zu “lebenswertesten Stadt” gekürt!
Heute ist übrigens Freitag, der 13. – sind Sie abergläubisch?
Tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen … nein, gar nicht. Als US-Amerikaner in Europa sind andere Gedenktage im Hinterkopf verankert, der 4. Juli, der 11. September … Und wenn man tief in der Probenarbeit steckt, lebt man in seiner eigenen Blase, ohne Datum, ohne Wochentag …
… und die letzten Tage vor der Premiere sind sicher extrem zeitintensiv …
Neben den Proben muss ich diese Woche einige Deadlines für meine neue CD einzuhalten, „Händel uncaged”. Darauf sind Kantaten zu hören, unter anderem eine Weltpremiere, fünf Arien und sieben Rezitative, die nie veröffentlicht wurden. Ich fand sie zufällig in Cambridge in einem Berg von Manuskripten. Eine halbstündige Alt-Kantate, mit einer humorvollen Geschichte; ganz anders, als wir es von Händel gewöhnt sind. Es ist mein Projekt, ich muss noch die Texte schreiben, die CD soll November erscheinen … es ist noch viel zu tun!
Kantaten – ein eher ungewöhnliches CD-Projekt?
Die Kunstgattung Kantate fristet leider ein Schattendasein. Oper hat eine Fangemeinde, auch für Lieder gibt es einen Platz. Aber Kantaten? Die sind selten zu hören. Natürlich könnte man die Musik nur mit Cembalo aufführen, aber mit einer Laute und einer Celesta klingt es schöner, doch es erhöht die Aufführungskosten. Mit dieser wundervollen kammermusikalischen Gattung lockt man kaum das Publikum, das üppige Klänge von groß besetzten Orchestern hören will. Dabei könnte man diese kleineren Besetzungen der Kunstform Kantate als das Labor der Komponisten bezeichnen. Beim Einführungsgespräch werde ich „Sweeter than roses“ von Henry Purcell singen – dieses Lied inspirierte Benjamin Britten zu Oberons Arie im 1. Akt, „I know a bank where the wild thyme blows“.
Alle Genres, Lied, Kantate, Oper hängen zusammen! Anhand von Richard Wagners Kompositionsskizzen wird klar, dass er zunächst mit dem Gesangslinien und der Basslinie anfing, darüber entwickelte er erst die Harmonie!
Shakespeare’s A Midsummer Night’s Dream ist ein Kosmos auf verschiedenen Ebenen: die Oberschicht, die Handwerker, die jugendlichen Liebenden, das mystische Element der Feenwelt. Und nicht alles läuft wie geplant. In anderen Worten, ein akkurates Abbild der Gesellschaft und der Welt, in der wir auch heute leben!
Interessanter Gedanke! Das stimmt natürlich, einer unserer Hauptsorgen heutzutage ist der Klimawandel. Und es ist der elisabethanische Gedanke, dass alles zusammenhängt. Menschliche Auseinandersetzungen hinterlassen ihre Spuren in der Natur. Mittlerweile spüren wir die Auswirkungen. Wir haben alle Mittel, diesen Planeten zu schützen, zu retten, doch darin liegen keine wirtschaftlichen Vorteile. Wenn man aus Solarzellen eine echte Industrie entwickeln könnte, würde alles anders aussehen!
Während Shakespeares Stück am Hof von Theseus beginnt, setzen Benjamin Britten und Peter Pears gleich im Feenreich ein, am Hof von Oberon, mit dem Ehezwist der Oberhäupter. Dieser hat wieder Auswirkungen auf die Umwelt, was Oberon durch sein Einmischen nicht gerade verbessert. Doch das Stück endet als lebensbejahende Komödie und zeigt uns, wie es funktionieren könnte!
Sie haben außer Gesang auch Englische Literatur studiert. Ihnen eilt der Ruf voraus, dass Sie besonders akribisch recherchieren – haben Sie Shakespeares Theaterstück gesehen?
Ich muss gestehen, ich glaube nicht! (lacht) Und es ist absolut richtig, dass ich mich in die Materie vertiefe, doch innerhalb bestimmter Grenzen. Shakespeares Stück folgt sozusagen anderen Schwerpunkten als das Werk von Britten. Zum Beispiel unterscheiden sich manchmal die Atempausen innerhalb eines Absatzes. Was würde es mir nützen, zu sehen, wie es Shakespeare gedacht hatte, wenn ich das Werk von Britten singe? Sicher, wenn etwas unklar ist, geht man auf die Grundlage zurück. Das ist jedoch nicht immer hilfreich.
Ich recherchiere, um Antworten auf Fragen zu finden, die beim Studieren eines Werkes auftauchen. Ungereimtheiten – wie eben beispielsweise bei meinem Händel-CD-Projekt! –, dann grabe ich nach und gerate oft immer tiefer in die Materie und stoße oft auf unglaubliche Dinge.
Benjamin Britten kürzte die Geschichte von fünf auf drei Akte, hielt sich allerdings an den Originaltext. Die relative moderne Tonsprache Brittens verträgt sich jedoch besonders gut mit der feinen „alten” Sprache Shakespeares?
Sprache war sowohl für Shakespeare, als auch für Britten etwas Essentielles. Britten hat die Worte, die Farbe der Sprache wunderbar in Musik gegossen! Interessanterweise hielt er sich beim Vertonen zwar meistens an den natürlichen Sprachrhythmus, bricht ihn jedoch in einigen Stellen. Da ergibt sich die Frage, ob das einfach wegen der Melodieführung sein musste, oder ob er absichtlich bestimmte Worte hervorheben wollte. Simone Young machte mich auf einige Details aufmerksam, die mir vorher nicht aufgefallen waren, obwohl ich das Werk in sieben oder acht Produktionen gesungen habe!
Es gelang Britten in dem Werk, eine faszinierende Klangwelt zu kreieren!
Britten schuf tatsächlich für jede Welt eine eigene Klangarena. In der Feenwelt hören wir diese sphärischen Klänge in einer betörenden Instrumentierung, er wählt helle Farben, hohe Stimmen mit klarer Klangqualität und Instrumente wie Harfen, Celesta und Vibraphon. Und Brittens Komposition für Countertenor sind nach wie vor unübertroffen in ihrer Aussagekraft. Ich werde nie müde, diese Partie zu singen.
Théo Tuvet (Puck), Lawrence Zazzo (Oberon) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Was können Sie uns über die kommende Inszenierung erzählen?
Irina Brook bietet kein großes „Konzept“ an, keine Metaphern oder Allegorien. Das Setting mutet wie die Ruine eines Landhauses an, eine schöne Szenerie – menschliche Baustrukturen, die von der Natur zurückerobert wurden. Das Gebäude ist leicht verfallen, vielleicht war es einmal eine Schule, denn es liegen Bücher auf dem Boden. Es spielt definitiv in einer Fantasiewelt. Shakespeare lässt das Stück in Athen spielen, doch nach griechischen Elementen wird man vergebens suchen. Die Szenerie führt die Zuhörer absichtlich an einen Platz, wo sie nicht sicher sind, wo sie sich gerade befinden. Um sie in eine Welt zu entführen, wo rationales Denken verstummt. Wir können weder in die Gedanken der Komponisten, noch in der der Feen schauen!
Die Feen werden von Kindern dargestellt – wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?
Die Zusammenarbeit mit den Kindern liebe ich! Kinder sind so neugierig, und dieses Werk kann – wie bei mir! – den Weg zur Oper öffnen! Vor rund zwei Jahren sang ich das Werk in Hamburg, danach war ich für Julius Cäsar in Dresden. Dort ich erhielt ein Schreiben von einem der Feen-Buben aus Hamburg. Er hatte einen Geburtstagswunsch frei – und er wünschte sich, die Oper mit „Larry“ in Dresden zu sehen. Das war so berührend!
Mit Kindern auf der Bühne zu stehen, macht viel Freude. Sie sehen mich nie als Erwachsenen, sondern als eine Art Peter Pan! (lacht) Ich freue mich schon sehr auf die Proben mit den Kindern hier!
- Oberon ist der König der Feen. Er ist aber auch recht „menschlich”, ein eifersüchtiger Ehemann, der all seine Tricks einsetzt, um das Schicksal der Liebe – nicht nur für sich selbst – zu beeinflussen. Wie würden Sie diese Figur beschreiben?
Im Prinzip findet man im Verhalten der Feen viel Menschliches. Sie sind allerdings nur „humanoid“, sie unterscheiden sich von uns in ihren Gedankengängen. Sie sind fasziniert von den Menschen, können von Musik verzaubert werden, zaubern jedoch auch selbst mit Klängen. Helena betört Oberon mit ihrem Gesang! Doch die Feen haben auch die Gabe, Kreaturen – und so auch die Menschen! – zu segnen, ein schöner Gedanke! Am Ende eine positive Nachricht, dass wir uns selbst heilen können. Jedenfalls endet die Oper gut. Auf natürliche Weise – nicht wie bei manchen Händel-Opern, in denen plötzlich alles gut ist, weil es so sein muss. Hier löst sich alles ganz natürlich in Wohlgefallen auf! Eine Komödie mit Schattenseiten undTiefgang – aber eben mit diesem zutiefst positiven Touch.
Und Oberon? Britten findet für seine Charaktere eine starke klangliche Charakterisierung, für Oberon wählt er hypnotisch langsame Klänge, denn Oberon hat die Fähigkeit zu hypnotisieren. Man kann gar nicht anders, als sich diese Figur schlangenartig vorzustellen, mit einem Hauch von Boshaftigkeit. Wobei wir ihn nicht zu boshaft darstellen wollen, sondern eher als Art rationaler Ehemann, der nicht verstehen kann, warum er nicht bekommt was er will, obwohl doch alles so logisch ist – seine Frau ist doch aus der Rolle gefallen!
Ganz andere Frage, unter Ihren Gesangslehrern findet sich lediglich ein Countertenor. Natürlich müssen Lehrer und Student nicht das gleiche Fach singen, doch es scheint mir wichtig, dass ein Lehrer die Stimme seiner Schüler “versteht”. War das in irgendeiner Form mal “Thema” für Sie?
Mittlerweile unterrichte ich selbst, auch einige Countertenöre. Jede Stimme ist anders – und alle Stimmen sind gleich. Doch die Stimmen von Countertenören weisen mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten auf. Wenn ich ihnen also beibringe, was meiner Stimme hilft, heißt das noch lange nicht, dass es für sie passt!
Was ich immer brauchte war ein Lehrer, der Countertenor-Stimmen mag und nicht versucht, mich in einen Mezzosopran oder einen Knabenalt zu verwandeln. Die Stimmfarbe muss sich auf natürliche Weise entfalten dürfen und nicht künstlich manipuliert werden. Mein derzeitiger Lehrer ist ein Bariton. Und er hat mir die wichtigste Lektion beigebracht: Wie man „lernt“. Wie man selbst auf gesangliche Fragen eine Antwort findet und gesangliche Probleme löst. Er hat mir quasi eine Angel gereicht statt einem Fisch! Der Trick besteht darin, nicht sich selbst zuzuhören, sondern dem Körpergefühl nachzugehen. Wenn sich ein Ton im Körper nicht richtig anfühlt, was kann ich verändern, damit er wieder richtig sitzt?
Reichen Sie diese „Angel“ nun an Ihre Studenten weiter?
Ja – was ihnen nicht immer zusagt, weil sie manchmal lieber ein Rezept für ihr Problem hätten. Ich möchte ihnen einen Werkzeugkoffer mitgeben, damit sie eigenverantwortlich arbeiten können! Natürlich brauchen die Studenten dafür eine Portion Selbstvertrauen, Vertrauen in die eigene Stimme, und das kommt erst mit der Zeit. Meiner Meinung nach beginnt die Gesangsausbildung bei den meisten sowieso zu früh. Man muss einem Menschen Zeit geben, die eigene Persönlichkeit wachsen zu lassen! Letzten Endes muss ein Student eine Menge Kritik einstecken können, ich arbeite mit manchen Schülern an einem einzigen Ton, was frustrierend sein kann. Viele verstehen jedoch später, warum diese Arbeit so wichtig war – weil es nicht um den Ton per se ging, sondern um ein größeres Thema wie etwa Stimmsitz, und wenn das gelöst ist, verschwinden plötzlich viele andere Schwierigkeiten wie von selbst.
Stimmen entwickeln sich unterschiedlich, mal geht es schneller vorwärts, dann muss man wieder einen Schritt zurücktreten. Doch nicht nur die Entwicklung der perfekten Stimme ist wichtig, sondern eine Persönlichkeit entfalten zu lassen. Dazu muss die Chemie zwischen Schüler und Lehrer passen! Insgesamt habe ich am meisten durch das Lehren gelernt, weil Studenten Fragen aufwerfen, auf die ich nicht gekommen wäre. Weil man durch das Erklären, wie beispielsweise ein Vokal korrekt produziert wird, oder worin der Unterschied besteht, laut oder leise zu singen, über die eigene Stimme, den Stimmsitz reflektiert!
Die Welt der Oper ist eine große Herausforderung. Was machen Sie in Ihrer Freizeit (wenn es so etwas gibt)?
Ich koche sehr gern, zum Beispiel Lasagne! Kochen finde ich höchst therapeutisch. Außerdem liebe ich es, ins Kino zu gehen …
… welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?
Oh, das weiß ich gar nicht mehr … es ist zu lange her! (lacht) Meine letzte Oper war Hoffmanns Erzählungen. Mein letzter Film war „Moonstruck“ – eine wunderbare Version von La Bohème. Eine wundervolle Hymne, wie Oper unser Leben beeinflusst. Es reflektiert unsere Emotionen – wie Bohème überhaupt eine zutiefst menschliche Geschichte erzählt. Doch bei mir dreht sich nicht alles um Oper, ich mag zum Entspannen Filme über amerikanische Superhelden! Avengers Endgame fand ich faszinierend.
Allerdings muss ich meine Zeit aufteilen zwischen Singen, Familie, und Unterrichten – und den dafür notwendigen Nachforschungen. In Newcastle werde ich ein Opernprojekt leiten, Dido und Aeneas, wo ich nicht nur inszeniere, sondern sogar dirigiere. Das wird im Frühjahr stattfinden, und ich freue mich auf den Perspektivenwechsel. In dieser Oper habe ich die Hexe gesungen, doch nun muss ich mich mit Themen wie Barocktanz beschäftigen. Damit hatte ich als Sänger nie zu tun!
Ich trainiere, um mich fit zu halten, spaziere gern durch Parkanlagen, und ich vermisse es, Bücher zu meinem Vergnügen zu lesen. Dafür bleibt mir leider zu wenig Zeit.
Herr Zazzo, vielen Dank für das Gespräch und toi, toi, toi für die Aufführungen!