Lausanne / Opera de Lausanne: Werther am 20. Mai 2022
Héloise Mas (Charlotte). Foto: Jean-Guy Python.
Werther und Charlotte verlieben sich unsterblich ineinander. Doch Charlotte heiratet Albert, da sie es ihrer sterbenden Mutter versprochen hat. Diesen Schwur will sie unbedingt halten. Werther zeigt zunächst Verständnis und ergibt sich sogar Charlottes Wunsch nach Distanz zu ihm. Schnell ist allerdings klar, ohne Charlotte will er nicht leben.
Der Regisseur Vincent Boussard setzt mit seiner Vision der Dinge neue Akzente. Er macht aus Charlotte – aber auch ihre Schwester Sophie – zu den grossen Opfern dieses Dramas, bis hin zum Wahnsinn. Der letzte Abschied von Werther wird als das Delirium einer Frau dargestellt, die an ihrer unmöglichen Liebe und der allgegenwärtigen Präsenz ihres Mannes Albert zerbrochen ist. Das strenge Bühnenbild von Vincent Lemaire, welche durch die Kostüme von Christian Lacroix subtil aufgewertet wird, dient eher der Demonstration als der Identifikation.
Nebst den sehr ästhetischen Kostümen, die viel Stoff zeigen und farbenprächtig sind, ist das Bühnenbild eher karg und wird in Abfolge vieler fotografisch ähnlichen Bildern dargestellt. Der Vorhang fällt sehr oft zwischen den einzelnen Stücken und die Darsteller zeigen sich in verschiedenen neuen Posen.
Albert akzeptiert nicht, dass Charlotte sich einsam fühlt ohne ihren Werther und sie langsam anfängt in ein Delirium zu verfallen. Er würgt sie bis zur Bewusstlosigkeit. Er verspürt den Drang sie zu töten. Charlotte mit ihren langen Haaren, ähnelt einer Lucia di Lammermoor die dem Wahnsinn verfällt. Schreiend und aus dem armen ihres Albert wehrend, will sie den Tod ihres Werthers verhindern, ergebnislos.
Musikalisch ist dieser Abend ein Meisterwerk und ein Sängerfest sondergleichen. Es zeigt sich immer wieder, dass französische Opern mit französischen Stimmen besetzt werden sollten, um auch sprachlich wie gesanglich das Beste herausholen zu können.
Jean-Francois Borras singt ein eindringlich schöner und gefühlvoller Werther. Seine Stimme kann leise und gefühlvoll sein wie auch den dramatischen Ausbrüchen voll entsprechen.
Die Charlotte der Héloise Mas ist sehr dramatisch. Sie verkörpert die verletzliche Frau sehr intensiv und verfügt über einen klaren Mezzo-Sopran, der sehr gefällt.
Jean Francois Borras (Werther) , Mikhail Timoshenko (Albert), im Hintergrund Marie Lys (Sophie). Foto: Jean Guy Python
Die Sophie der Marie Lys ist klar und hell und voller schöner Intonationen. Nebst ihren gesanglichen hohen Qualitäten spielt sie die Trotzige, sich dieser Männerwelt entziehen wollende Schwester der Charlotte überaus gelungen.
Die undankbarste Rolle des Abends ist der Albert von Mikhail Timoshenko. Seine Frau liebt ihn nicht und er fühlt nur hass für ihre Nähe zu Werther, macht aus ihm den unsympathischen Darsteller des Abends. Gesanglich hingegen verfügt er über eine gut geführte grosse Stimme.
Die Hauptdarsteller werden hervorragend ergänzt vom glänzenden Ensemble. Nennenswert sind Vincent Le Texier als Le Bailli, Aslam Sofia als Johann, Etienne Anker als Bruhlmann, und Clémentine Bouteille als Käthchen.
Der Maestro des Abends ist Laurent Campellone, welcher diese wunderbare nuancierte Musik hervorragend begleitet. Die feinsten Töne wie auch die starken Ausbrüche der Musik werden subtil herausgearbeitet. Er begleitet das bestens vorbereite und hochmotivierte Orchestre de Chambre de Lausanne ausgezeichnet und gibt dem Choeur de l’Ecole de Musique de Lausanne den nötigen Raum.
Die Opera de Lausanne endet die Saison mit diesem einmaligen Werk und das Publikum empfängt diesen denkwürdig schönen Abend mit entsprechenden grossen Ovationen. Möge die neue Spielzeit ebenso schön starten wie sie geendet hat.
Marcel Emil Burkhardt