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Kristina BAUTINA – Arbeitsplatz auf dem Trapez in 9 Meter Höhe

30.03.2015 | Tänzer

Kristina BAUTINA – Arbeitsplatz auf dem Trapez in 9 Meter Höhe

Das Gespräch führte Marc Rohde

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Kristina Bautina auf dem Trapez. Foto: Privat

Die Oper Frankfurt ist weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Die großen Orchester dieser Welt geben sich ein Stelldichein im Konzerthaus Alte Oper. Die Museen sind immer eine Reise wert und unzählige Theater bereichern das Kulturleben der Stadt. Die Mainmetropole kann aber auch mit einer ganz anderen Kunstform aufwarten und spielt hier ebenfalls wieder in der ersten Liga. Die Frankurter Allgemeine Zeitung sprach sogar von „Europas führendem Varieté Theater“:

 Der Tigerpalast eröffnete am 30. September 1988 seine Tore. Zum damaligen Zeitpunkt pflegte lediglich noch das Hansa-Theater in Hamburg die Tradition einer ganzjährig spielenden Varietébühne. Von Dienstag bis Sonntag stehen täglich zwei Vorstellungen auf dem Programm, in denen internationale Varietékünstler und Zirkusartisten auftreten. In einem Saal mit 190 Plätzen und einer Bühne von sechs mal vier Metern traten im Laufe der Jahre zahlreiche Stars der internationalen Varietészene auf. Das aktuelle Frühjahr- Sommerprogramm ist bis 16. Mai zu sehen.

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Kristina Bautina vor dem Tigerpalast. Foto: Privat

 Nach einer atemberaubenden Show mit packender Livemusik traf ich Trapezkünstlerin Kristina Bautina aus Moskau in der hauseigenen Palast-Bar. Die 1984 geborene Artistin übt ihren Beruf seit nunmehr 13 Jahren aus. Im modernen Jazz Milieu präsentiert Kristina Bautina ihren außergewöhnlichen Trapez-Akt. Der legendäre Moskauer Artisten-Choreograph Alexander Grimailo kreierte mit ihr gemeinsam eine der innovativsten Präsentationen in der Geschichte der Trapezkünste: „Kristin-Wave“ wurde seit 2003 mit den wichtigsten internationalen Festival-Preisen ausgezeichnet. Die sympathische Russin erzählt, sie sei kein klassisches Zirkuskind gewesen: Ich liebte den Zirkus und wollte unbedingt einen Beruf in dieser Welt ausüben. Eine Freundin nahm mich mit in die Zirkusschule und erst dort wurde mir vom Trainer erklärt was ein Trapez überhaupt ist. Ich habe erst im Alter von 15 Jahren begonnen. Zuerst einmal pro Woche, nach einem halben Jahr drei Mal wöchentlich und schließlich haben wir die Einheiten so weit gesteigert dass ich sechs Stunden Training pro Tag hatte. Ich hatte vorher keinen Sport getrieben und somit war die harte Ausbildung anfangs schrecklich für mich.

 Auf meine Frage nach Gemeinsamkeiten zwischen Deutschlands Finanzmetropole und Russlands Hauptstadt findet sie spontan einige Parallelen: In beiden Städten wird sehr intensiv gelebt. Auch die vielen Banken haben beide Orte gemeinsam. Bad Oeynhausen, Hannover und Düsseldorf, wo ich auch schon gearbeitet habe, erschienen mir typisch deutsche Städte zu sein. In Frankfurt fühle ich mich wie zu Hause. Es ist eine verrückte Stadt! Natürlich ist Moskau viel größer. Frankfurt kann man mit dem Auto in 15 Minuten durchqueren, in Moskau reicht die Zeit gerade mal dazu, von einem Stadtviertel ins nächste zu gelangen.

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Kristina Bautina vor dem Auftritt in der Garderobe.  Foto: Privat

 Denken wir Deutschen an Zirkus kommen uns meistens Wohnwagen und Zelte in den Sinn. In Russland gibt es diese Art von Zirkus überhaupt nicht. In jeder größeren Stadt steht ein Zirkusgebäude. In meinem Heimatland existieren etwa 40 bis 50 solcher Bauten. Ich habe mehr als acht Jahre in russischen Zirkussen gearbeitet und glaube, fast überall im Land aufgetreten zu sein. Ein Wanderzirkus wäre nichts für mich. Ich bin auch kein großer Freund von Tierdressuren, da sie stets mit Quälerei verbunden sind. In den traditionellen russischen Zirkussen wird häufig mit Tieren gearbeitet. Eine wahre Leistung ist es hingegen, wenn Menschen – wie wir Artisten selbst etwas Außergewöhnliches präsentieren.

 Wie darf man sich nun den Arbeitsplatz von Frau Bautina vorstellen? Mit einer Arbeitshöhe zwischen fünf und neun Metern ist er doch so ganz anders als mein Schreibtisch im Büro. Beim Besteigen des Trapezes ist sehr viel Adrenalin im Spiel. Das gehört einfach dazu. Sobald der Act beginnt, legt sich die Aufregung und ich kann mich voll und ganz auf meine Darbietung, die ich komplett ohne Sicherungsvorkehrungen absolviere, konzentrieren. Mein Trainer hatte eines Tages eine verrückte Idee. Er hatte sich für den Schluss meines Auftritts eine Pirouette ausgedacht. Als ich das erste Mal von diesem Gedanken hörte, habe ich nur gelacht und gedacht: Sehr lustig! Ich habe jahrelang am Trapez verbracht und war ganz sicher, dass es unmöglich sei, eine Pirouette am statischen Trapez umzusetzen. Man kann physikalische Gesetze schließlich nicht einfach aushebeln. Ich war dennoch bereit, es auszuprobieren und nach einem Jahr Übung habe ich es doch geschafft. Das war ein ganz großartiges Gefühl! Ich bin der erste Mensch in der Zirkusgeschichte, der das geschafft hat und bis heute gibt es niemanden auf der Welt, der diesen Trick ohne Sicherung im Repertoire hat. Im Nachhinein würde ich sagen, dass es relativ leicht für mich war, dieses Kunststück erstmals zu schaffen. Die wahre Herausforderung liegt darin, diese Leistung täglich erbringen zu können. Für meinen Abschlusstrick, die Pirouette, muss ich mich auch mental vorbereiten. Normalerweise beginne ich eineinhalb Stunden vor dem Auftritt mit Aufwärmübungen. Das ganze wiederholt sich vor der zweiten Show.

 Kristina Bautina zeigt ihr Programm nun schon in der zweiten Saison in Folge im Tigerpalast. Wie vermeidet die Künstlerin, dass die Darbietung für sie und für das Publikum zur Routine wird? Ich habe den Eindruck, dass das Frankfurter Publikum ganz genau versteht, was ich ausdrücken will. Wir haben hier ein sehr qualifiziertes Publikum. Man könnte glauben, dass sich Routine einschleicht, aber jede Show ist einzigartig. Ich sehe unterschiedliche Gesichter, die Emotionen und die Resonanz sind jeden Abend anders. Ich versuche, mit den Zuschauern zu interagieren und aufzunehmen, was sie brauchen.

 Nur ein einziger freier Tag in der Woche ist wenig. Was macht eine junge Russin in ihrer spärlichen Freizeit? An meinem freien Tag ist Ausspannen angesagt. Ich lese gerne und ich schaue gern Filme. Manchmal sind es sehr blöde Filme, bei denen ich wunderbar abschalten kann. Als Hobby entwerfe ich Kostüme für mich selbst und auch für Kollegen. In Moskau habe ich ein Studio dafür. Diese Arbeit ist mir sehr wichtig, weil ich hier etwas mit meinen Händen erschaffe.

 Artistin ist für die Trapezkünstlerin ein Wunschberuf. Dennoch oder gerade deshalb interessiert es mich, ob eine andere Profession für sie vorstellbar wäre. Kostüme entwerfen! Und das tue ich ja schon. Im Zirkus sind wir sehr glückliche Menschen, da wir meistens zwei Leben haben. Ich kann natürlich nicht bis zur Rente als Artistin arbeiten und so habe ich meine zweite Karriere bereits begonnen. Ich habe sehr viele Künstlerkontakte in Moskau und schon heute treten einige Kollegen in meinen Kostümen auf. Sogar im Tigerpalast habe ich meine Entwürfe schon an anderen Artisten gesehen!“

 Die Zeit, die wir zwischen den beiden Vorstellungen für das Interview haben, neigt sich leider schon dem Ende zu. Schade, denn es macht Spaß, Kristina beim Erzählen über ihre Leidenschaften zuzuhören. Gibt es noch etwas, was sie mir und den Merker-Lesern mitteilen möchte? Nach kurzem Überlegen fällt ihr Folgendes ein: Der Tigerpalast ist für mich ein ganz besonderer Ort. Hier fühle ich mich wie zu Hause. Die Direktorin Margareta Dillinger tut für uns Künstler alles. Sie liebt uns wie eigene Kinder. Sie versucht immer, mich zu unterstützen und das Beste aus mir herauszuholen. Für mich ist mit meinem Engagement im Tigerpalast ein Traum in Erfüllung gegangen! Dieser Ort hat Stil und Atmosphäre. Es ist tatsächlich eine Ehre im Tigerpalast auftreten zu dürfen. Als Margareta mich gefragt hat, ob ich hier arbeiten möchte, habe ich sofort geantwortet: Ja, natürlich! Als ich meinen ersten Vertrag in Händen hielt, bin ich vor Freude durch die Gegend gesprungen.

 
Kristina Bautina am Trapez: www.youtube.com/watch?v=3myaxCISkFw

Homepage des Tigerpalasts: http://www.tigerpalast.de

 

 

© Marc Rohde, März 2015

 

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