KREMS / Salon Krenek: Unterhaltsamer Ausklang der NÖ-SALONKONZERTE
27. Oktober 2024
Von Manfred A. Schmid
Die unter dem Motto „Musik am Ursprung“ seit mehr als 60 Jahren veranstalteten Salonkonzerte verfolgen das Ziel, Werke bedeutender Komponisten mit Schauplätzen in Niederösterreich zu verknüpfen, die in ihrem Leben und künstlerischem Schaffen eine Rolle gespielt haben. Dabei kommt es immer wieder zu Erweiterungen und Neuentdeckungen. So stand heuer erstmals die „Gottfried-von- Einem-Serenade Oberdürnbach“ auf dem Programm, und die Musikwissenschaftlerin Irene Suchy, im Salon Krenek auch als Moderatorin im Einsatz, ist gewiss längst dabei, endlich auch eine Komponistin und den dazu passenden Aufführungsort ausfindig zu machen, die dann in diesen Kreis aufgenommen werden könnte.
Am Beginn des Kremser Salonkonzerts – eigentlich ein Liederabend – stehen sechs Lieder aus Ernst Kreneks Reisebuch aus den österreichischen Alpen op 62, die der Komponist, der auch die Texte verfasst hat, nach einer Reise durch einige Bundesländer 1929 niedergeschrieben hat. Es ist eine Liebeserklärung an seine Heimat, nicht ohne leise Kritik und Ironie, und wohl auch erfüllt von Melancholie angesichts von Eingriffen der modernen Welt und des Tourismus, die die Landschaft ebenso verändern und bedrohen wie manche unerfreuliche politische Verhältnisse die Gesellschaft der Zwischenkriegszeit. Kammersänger Adrian Eröd, der nicht nur ein herausragender Opernsänger ist – am Tag vor dem Kremser Liederabend war an der Staatsoper als Leutnant Mr. Redburn in Benjamin Brittens Billy Budd zu erleben -, sondern er wird auch als Liedsänger hochgeschätzt. Der Bariton hat sich zuletzt besonders mit Kreneks Reisebuch und O. M. Zykans Das unterösterreichische Liederbuch beschäftigt und in Konzerten, u.a. im Muth, aufgeführt. Beide Werke stehen auch in Krems auf dem Programm und loten die Höhen und Tiefen der österreichischen Seele aus. In „Motiv“, Eröffnungslied von Kreneks Liederzyklus, macht sich der Komponist auf, um seine Heimat zu entdecken: „So reis‘ ich aus der Stadt / In die Berge, die in meine Fenster schauen. / Und den Horizont unsrer Tage freundlich umschließen, / neugierig, ob ich’s finde: / mein Vaterland.“ Das Lied „Unser Wein“ lobpreist den köstlich vergorenen österreichischen Rebensaft in einer „holden Pilgerfahrt“ von Wien über Gumpoldskirchen bis in den Süden der Steiermark.
Nach Kärnten führt das Lied „Heißer Tag am See“, wo der Reisende Sicherheit und Gnade verspürt, bevor ihn in „Ausblick nach Süden“ über die Grenzen der Karawanken hinweg die Sehnsucht nach dem „Welschland“ und sein „italisches Licht“ überfällt, dann aber doch die Genügsamkeit wieder Oberhand gewinnt: „Und doch muß die Distel ihr Glück auf ihrem Boden finden, denn in den schönsten Garten verpflanzt, wird doch nie eine Rose aus ihr, und nur wenn wir uns still bescheiden, wird uns jenes Glück vielleicht zuteil.“ Das Fazit in „Heimkehr“, dem letzten Lied, fällt offen aus. „Jedes Ziel ist ein neuer Anfang,“ heißt es da. Adrian Eröds singt in einem schlichten, innigen Ton. Jedes Lied ist eine kleine, in sich geschlossene Erzählung. Krenek hat seinen in tonaler Art komponierten Liederzyklus an Schuberts Winterreise ausgerichtet, nur ist seine Reise eben nicht so ausweglos wie in dessen „Der Wegweiser“ in dem der Wanderer eine Straße gehen muss, „die noch keiner ging zurück.“ Kreneks Reise durch die österreichischen Alpen endet vielmehr hoffnungsfroh: Er wolle gerne wieder reisen, um „eine Heimat dann zu finden, wenn ich wiederkehre.“ Damals wusste er nicht, was noch kommen sollte: Knapp zehn Jahre später wird Krenek, als „entarteter Künstler“ diffamiert, das Land verlassen und in die Emigration gehen.
Die Nähe Kreneks zu Schuberts prägt auch der zweite Programmpunkt: Eröd singt nicht nur das oben bereits genannte Schubert-Lied, sondern auch „Der Wanderer an den Mond“, in dem ein Heimatloser, „nirgend -ach – zu Haus“, jeden beneidet, der „auf der Heimat Boden steht“ sowie das rastlos gehetzte Lied „Über Wildemann“, in dem das Erreichen des Ziels ebenfalls in Frage gestellt bleibt. Einfühlsam begleitet wird Eröd bei der Gestaltung dieser Lieder vom Pianisten Albert Sassmann. Man hört und spürt, dass beide gut aufeinander eingestimmt sind und nicht zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne stehen.
Was darauf folgt, ist ein ebenfalls mit Sinn für österreichische Befindlichkeiten, nun aber auch mit Auenzwinkern vorgetragener Liederzyklus nach Texten von Achleitner, Brecht, Franzobel und der Komponisten Otto M. Zykan und Michael Mautner mit dem Titel Das unterösterreichische Liederbuch. Eröd wird dabei bei einigen Liedern von den Sängerinnen Katharina Adamcyk (Sopran) und Johanna Zachhuber (Mezzosopran) unterstützt. Auch der Pianist Sassmann singt zuweilen mit. Grundlage des Liederbuchs sind, wie es scheint, musikalische Skizzen und Fragmente aus dem Nachlass des 2006 verstorbenen Otto M. Zykan, Komponist, Sprachkünstler, Pianist und Sänger. Michael Mautner hat das vorliegende Material in Absprache mit Irene Suchy, der Witwe Zykans, ergänzt, vervollständigt und wohl auch erweitert. Was von Zykan und was von ihm stammt, wurde bisher noch nicht offengelegt. Das sollte aber bei einem Komponisten wie Otto M. Zykan möglichst bald klargestellt werden, über den in einem biographischen Porträt auf Wikipedia zu lesen ist, „Zykan widersetzte sich auch beharrlich der Vermarktung seiner Musik. Er legte zwar großen Wert auf minutiöse Dokumentation seiner Arbeit, suchte aber zu seinen Lebzeiten zu verhindern, dass Aufführungen ohne ihn und ohne seine Aufsicht stattfanden. Manchmal gingen auch die Unterlagen zu seinen Kompositionen nach der Uraufführung verloren oder wurden zerstört.“
Der dreiteilige Zyklus, gegliedert in „Im Himmel“, „Auf Erden“ und „Im Keller“, besteht aus 21 Liedern und ist eine z.T. satirische, parodierende und kabarettistische Auseinandersetzung mit den Untiefen der österreichischen Seele. Da geht es manchmal liebevoll beobachtend zu, wie etwa in Friedrich Achleitners Mundart „Aus’m Bett aussi“, dann wieder boshaft, wie in Franzobels „Der Bierbauch“, oder auch voll Lebensweisheit, wie im Text „Etwas Trauriges“ von Zykan, der zudem sowohl auf Kreneks Reisebuch wie auf Schuberts Winterreise zutrifft und so einen Bogen über das gesamte Programm des Salonkonzerts spannt: „Etwas Trauriges soll man nicht erzählen / weil es sonst noch trauriger ist. / Trauriges / soll man singen, soll man singen, singen.“