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KRAKAU/ Opernhaus: DON PASQUALE – „Il poverino sogna vendetta, non sa il meschino quel che l’aspetta!”

01.05.2023 | Oper international

„Il poverino sogna vendetta, non sa il meschino quel che l’aspetta!” – Don Pasquale an der Oper Krakau, Aufführung vom 28. April 2023

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Foto: Oper Krakau

Bereits 1628 begann die Operntradition in Krakau und 2008 wechselte das Haus aus dem historischen Juliusz-Słowacki-Theater von 1893 (in welchem heute stattdessen Spieltheater gegeben wird) in einen Neubau, der allen heutigen Anforderungen an Akustik und ein modernes Opernhaus voll und ganz entspricht. Bereits beim Betreten des Hauses bemerken wir bereits zahlreiche Plakate, die wirklich vielversprechende Impressionen in vergangene Produktionen geben. Und auch die Einblicke, die wir vorab in den heutigen Abend im Vorfeld bekamen, weckten wohlwollende Neugierde bei uns:

Jerzy Stuhr ist als Regisseur und Schauspieler auch über die Grenzen Polen durchaus bekannt (beispielsweise durch „Drei Farben: Weiß“ oder „Habemus Papam“). Weniger bekannt ist, daß er bereits 2016 an der Oper Krakau eine Inszenierung von Donizettis Don Pasquale auf die Bühne brachte, die nun ebendort wiederaufgenommen wurde. Zu Recht wie wir meinen, denn sie widerspricht vollumfänglich den Dogmen des zeitgenössischen „Regietheater“ welches unter dem Vorwand der Verjüngung noch immer auf die Bühnen gebracht wird und dennoch keine Häuser. Das ist keinesfalls langweilig, museal oder gar unoriginell, im Gegenteil. Herrn Stuhrs Inszenierung bleibt dabei werktreu und setzt das Stück in jene Umgebung, welche nun einmal im Libretto verankert ist, nämlich das Anwesen des über siebzigjährigen, sehr wohlhabenden Privatiers Don Pasquale. Wie wir im Laufe des Abends dann sehen werden, orientieren sich die Inszenierung allerdings nicht ganz an der zeitlichen Vorlage, nämlich dem Rom der 1840er Jahre, sondern ist überwiegend – mit einigen sinnbringenden Ausnahmen –  in der Zeit des Rokoko zu verorten.

Da ist zunächst Don Pasquale selbst zu nennen, der an diesem Abend vielmehr als nur ein knauseriger alter Kerl ist. Gemeinsam mit dem Konzept Herrn Stuhrs gelingt es Grzegorz Szostak bravourös der Figur facettenreiches Leben einzuhauchen. Zu Beginn ist dieser Pasquale um die Zukunft seines Neffen besorgt. Für ihn ist finanzielle Absicherung jenes, das im Vordergrund steht. Natürlich ein Anwesen ist wichtig, aber es übermäßig auszustaffieren tut nicht Not und auch eine überbordende Nutzung kostet nur zusätzlich Geld und zusätzliches Personal. Auch hier können Kosten minimiert werden. So gesehen entspricht dieser Charakterzug Don Pasquales dem Optimierungsdrang unserer Zeit, bis hierhin würde er einen bravourösen Manager abgeben. Doch sobald nun das bessere Geschlecht ins Spiel kommt, lässt er eben alle seine Qualitäten fahren: Offensichtlich will er all die Entbehrungen nachholen, die ihn zu dem Reichtum gebracht haben, der er erwirtschaftet hat. Dass eine junge Frau wie Norina Interesse an ihm haben soll weckt dabei keinerlei Misstrauen in ihm. Und dies zeigt seine zweite Eigenschaft auf, die gleich zu Beginn des Stückes die Oberhand gewinnt: Don Pasquale ist eitel! Und zwar so eitel, daß er gar nicht bemerkt, wie affektiert er in seinem antiquierten Aufzug wirkt, als er sich für die zukünftige Braut herausputzt und im nahezu tuntigem Rokoko-Outfit die Aufwartung macht. So ist es seine eigene Eitelkeit, die letztlich ihm selbst jene Lektion erteilt, welche er seinem Neffen Ernesto erteilen wollte – und ihn zum Ende des Abends in einen Liegestuhl in seinem Garten setzt. Seinen Ruhestand soll er genießen und mit Sonnenbrille und kühlem Drink das Szepter an die Jugend übergeben. Herr Szostak garniert die wirklich ausdrucksstarke Verkörperung dieser Rolle mit fabelhaften Parlandi und bringt die Rolle, als sei sie ihm auf den Leib geschrieben. Bravo, bravissimo, ein wunderbarer Don Pasquale!

Der Themenkomplex des „Sugardaddy“ zeigt natürlich deutliche Parallelen zum Heute auf und Paula Maciołek als Norina bildet hier das Pendant des „Golddigers“ ebenfalls bravourös. Wir sehen sie im 1. Akt noch in einem einfachen Badezuber Abenteuergeschichten lesend. Doch auch schon hier weiß sie sehr wohl, wie sie als junge Frau das von Männern bekommt, was sie haben möchte: „So anch’io la virtù magica/ d’un guardo a tempo e loco/ so anch’io come si bruciano/ i cori a lento foco” – und genauso verlockend und verführerisch ist Frau Maciołek schon an dieser Stelle. Ob sie nur deshalb Interesse an Ernesto hat, weil dieser Don Pasquales Neffe und Alleinerbe ist, bleibt zwar offen, ist aber durchaus möglich. So nutzt sie dann auch die Chance, die sich durch die fingierte Hochzeit mit Don Pasquale bietet voll und ganz: Das Personal wird hochgefahren und livriert, der Juwelier heran zitiert und mit zahlreichen Schmuckstücken beauftragt, eine Modistin die als weiblicher Karl Lagerfeld dargestellt ist bringt neue Hüte und Kleider, schließlich sehen Norina selbst in einem ausladenden, imposanten Rokoko-Kostüm, in welchem man sich sonst auch die Pompadour oder die Dubarry vorstellen könnte. Hier schöpft das Bühnenbild wahrlich aus dem Vollen und mittels einiger Anachronismen werden nicht nur humoristische Effekte erzeugt, sondern auch die Parallelen zur Gegenwart hergestellt. Dass Norina tatsächlich dann in die Boshaftigkeit kippt und dies sich selbst gegenüber dann noch als angemessen rechtfertigt, zeigt, wes Geistes Kind sie wirklich ist. In Lederleggins und vampartigem Lackmantel beendet sie das Stück und es bleibt zu Recht abzuwarten, ob diese Norina, Ernesto glücklich machen wird. Fest steht, daß Frau Maciołek diese Figur meisterhaft interpretiert und gesungen hat, brava!

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Foto: Oper Krakau

Nicht ganz so meisterhaft ist Adam Sobierajski an diesem Abend. Insbesondere in den exponierten Szenen wirkt sein Tenor etwas angestrengt, so daß beispielsweise bei der berühmten Serenata im letzten Akt nicht ganz umwerfend ist. Nichtsdestotrotz gelingt es auch ihm, den Charakter des Ernesto weiter zu beleuchten. Wir sehen hier einen weinerlichen, wohl auch verwöhnten jungen Mann, den man heute als Schneeflöckchen bezeichnen würde. Er geht keinerlei Arbeit nach und hat auch kein Interesse daran, in die Zukunft zu denken, viel lieber fokussiert er sich auf das Dienstmädchen Norina. Wozu sollte er sich auch über Anderes Gedanken machen, hat er doch bislang durch seinen reichen Onkel ein sorgloses Leben als „Nepo-Kid“ führen können. Und selbst da ihm nun alle finanziellen Mittel gestrichen werden sollen, weiss er nicht, was er tun soll, läuft weinend weg und schmollt. Dass er sich nicht „offended“ fühlt und auf der Straße festklebt fehlt eigentlich nur noch, gleichwohl ist diese Inszenierung zu alt für dieses absurde Phänomen der Wohlstandsverwahrlosung. Auch dieses sitzt und unter dem Strich bietet Herr Sobierajski eine sehr solide gesangliche und sehr gute spielerische Leistung, die das gezeigte Sittenbild weiter ergänzt, bravo!

Bleibt schließlich noch Doktor Malatesta, der Drahtzieher jener Schelmerei. Er selbst durchschaut das Kabinett der Eitelkeiten, in dem sich alle drei weiteren Protagonisten bewegen. Doch warum nimmt er selbst nicht daran teil? Die Intention, es allen ein wenig zu zeigen und ihren moralischen Kompass zurechtrücken zu wollen, wirft letztlich ebenso Fragen auf. Wer ist dieser Malatesta, dass er sich so erhaben wähnt, in die Geschicke von drei Menschen einzugreifen und zumindest das Hab und Gut des Don Pasquale zu schädigen (denn all die Kleider, Juwelen, Luxusgüter gilt es ebenso zu bezahlen, wie auch das zusätzliche Personal)? Mit völliger Selbstverständlichkeit spielt Mariusz Godlewski diesen Mann, der mit der Seriosität des Arztes getarnt einen argen Unfug treibt. Die Wissenschaft sozusagen als Vorwand, als Tarnung nehmend hintergeht er Don Pasquale, missbraucht sein Vertrauen und sichert so Ernesto weitere Geldflüsse. Auch hier bietet sich die Parallele zur Gegenwart und die Finesse der Inszenierung von Jerzy Stuhr zeigt sich erst in der Rolle des Malatesta in vollem Umfang: Auch heute wird unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit oder anderen vermeintlichen Notwendigkeiten dem Steuerzahler das Geld aus der Tasche gezogen um staatsnahe Akteure weiter versorgen zu können – Steuersenkungen bei Rekordeinnahmen? Sparen beim öffentlichen Staatsfunk? Das ist doch sozial ungerecht und weder wissenschaftlich noch politisch zu rechtfertigen! „Non sa il meschino quel che l’aspetta/ invano freme, invan s’arrabbia/ è chiuso in gabbia/ non può scappar.”…
Die gnadenlose Sachlich- und vermeintliche Alternativlosigkeit mit der Herr Godlewski diesen Mann darstellt ist genauso erschreckend, wie seine gewitzte Art zu singen und exzellente Parlandi aus dem Ärmel zu schütteln – Bravo, bravissimo!

Im Garten des dritten Aktes zeigt sich dann auch im Bühnenbild schließlich das Spiel, welches sich im Leben so häufig abspielt: Drehende Gartenskulpturen in verspieltem Schnitt (zeigen sie Fabelwesen oder Schachfiguren?) bilden bei eleganter Ausleuchtung den Abschluss zum Finale dieses wunderbaren Don Pasquale. Ohne es zu verabsäumen, einen durchaus scharfen und zeitgenössischen Inhalt herauszuarbeiten, schafft sie farbenfrohe Bilder und kreiert höchste Unterhaltung in exzellenter Qualität. Diese Produktion zeigt damit einmal mehr, woran es dem so genannten „Regietheater“ krankt: Jenes besteht aus selbsternannten Avantgardisten, die lediglich ein großes Theater für sich selbst und ihre Entourage erzeugen. In immer weiteren Iterationen entfernen sich diese dann vom eigentlichen Stück, sodass es kaum mehr wiederzuerkennen ist. Übrig bleibt nur noch ein (Regie)Theater, in dem sich der „Regisseur“ selbst inszeniert um aller Welt zu beweisen wie groß sein Intellekt ist, da er ja noch progressiver ist, als die Inszenierungen vor ihm und er deshalb der allerklügste und genialste Kopf der Welt ist. Dass die Finanzierung dieser „Avantgarde“ mitnichten aus Einnahmen des zahlenden Publikums, sondern aus Steuergeldern besteht, schließt den Kreis zu dieser Produktion: Viele kleine Norinas und Ernestos nehmen die Don Pasquales dieser Welt aus und werden durch „Wissenschaft“ und „Staat“ noch gedeckt – „non vede, il semplice/ che nella trappola/ da sè medesimo/ si va a gettar.“!

Ein fabelhafter Abend also, der auf mehreren Ebenen ordentlich Zunder gibt, richtig Spaß macht, vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert wird und letztlich im Libretto selbst beschrieben wird: „Com’è gentil a notte a mezzo aprii!“ Bravi tutti!

E.A.L.

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