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Konstanz / Stadttheater: CABARET

Tanz auf dem Vulkan als Kammerspiel

14.04.2019 | Operette/Musical

Im kleinen Stadttheater Konstanz mit seinen 400 Sitzplätzen wird niemand eine opulente Broadway-Show erwarten. So verwundert es auch nicht dass Regisseurin Rosamund Gilmore den Musical-Klassiker aus der Feder von Jon Kander (Musik), Joe Masteroff (Buch) und Fred Ebb (Gesangstexte) eher als Kammerspiel inszeniert. Der angesagteste Club im Berlin des Jahres 1929 erinnert dann auch eher an eine wenig glamouröse Rotlichtbar, als an ein mondänes Etablissement von Weltruhm. Eine Truppe von sechs Tänzerinnen, von denen sich zwei bei genauerem Hinsehen als Männer entpuppen, bilden das Stammpersonal des Hauses, in dem Sally Bowles der Star ist und der Conférencier ein wenig Flair von großer weiter Welt versprüht. Das Bühnenbild (Carl Friedrich Oberle) ist Dank Einsatz von Versenkungen schnell wandelbar und stellt mal den Kit-Kat-Klub, dann ein Bahnabteil und im nächsten Moment den Gemüseladen von Herrn Schulz dar.

Kit Kat – TAKTIK
Arlen Koniez als überzeugender Clifford Bradshaw – Foto: Bjørn Jansen

Interessant – ob beabsichtigt oder nicht: Da die Zuschauer sich mit den Akteuren im Inneren des Kit-Kat-Klubs befinden und die Beschilderung spiegelverkehrt von hinten zu sehen bekommen, liest man den Abend über immer wieder T-A-K-T-I-K. Die Taktik, zu überleben und die Form zu wahren begleitet die Figuren die kompletten drei Stunden Spieldauer hindurch. Sei es der Herrenbesuch der scheinbar auf Matrosen spezialisierten leichten Dame Fräulein Kost in der Pension Schneider, die Doppelmoral der Betreiberin Fräulein Schneider, die auf gleichbleibend hohe Mieteinnahmen angewiesen ist, aber auf jeden Fall verhindern möchte, wegen des ausgeübten Gewerbes der Fräulein Kost in Verruf zu kommen. Selbst bei einem Schäferstündchen mit dem jüdischen Gemüsehändler Schulz erwischt, spricht dieser spontan die angeblich in drei Wochen geplante Hochzeit an. Die schwangere Sally Bowles will nicht mit dem Kindsvater Mr. Bradshaw nach Amerika auswandern und gibt stattdessen ihren Pelzmantel zur Begleichung der Arztrechnung für die Abtreibung des Kindes her. Zahlreiche weitere Beispiele zeugen davon, dass die oft verherrlichte Freizügigkeit im Berlin der 20’er Jahre von Überlebensstrategien dominiert war und der schöne Schein trug. Im Programmheft findet sich die Erklärung, dass der allseits verbreitete Vergnügungstaumel dieser Zeit als Angstausgleich sogar eine wichtige politische Funktion erfüllte.

Sehr plastisch zeigt Regisseurin die völlig unterschiedlichen Weltanschauungen der Nachtclub-Sängerin Sally Bowles, die von ihrer großen Karriere in Berlin träumt, und dem erfolglosen amerikanischen Schriftsteller im Streitgespräch im zweiten Akt: Beide Partner schauen sich kaum an, kreisen im Raum umeinander und finden nicht zusammen. Ein spannender und sehenswerter Ansatz, der weit über reine Unterhaltung hinaus geht.

Darstellerisch begeistern vor allem Katrin Huke als pointiert agierende Frau Schneider, Arlen Konietz mit der besten Gesangsleistung des Abends in der Rolle des Clifford Bradshaw und auch die sehr präsente Nike Tiecke in der kleineren Partie der Prostituierten Fräulein Kost. Anne Simmering als Sally Bowles gestaltet die Hauptrolle als einerseits nach Ruhm strebende und sich andererseits nach Geborgenheit sehnende Künstlerin. Weder das eine noch das andere findet sie. Entsprechend subtil wirkt die Interpretation der Figur. Trotz einiger Hits, die sie im Musical zum besten geben darf,  mutiert sie nicht nicht zum dominierenden Star des Abends, sondern fügt sich als wichtige Stütze in das höchst motivierte Ensemble ein. Ingo Biermann scheint als Conférencier von Anfang bis Ende die Fäden zu ziehen und hinterlässt den stärksten Eindruck des Abends.

Ingo Biermann als Conférencier – Foto: Bjørn Jansen

Musikalisch wurden die Darsteller durch die 7-köpfige Damenkapelle Tingeltangel begleitet. Allesamt männliche Musiker, die den ganzen Abend über in Frauenkleidern auf der Bühne spielten. Die reduzierte Orchesterfassung von Chris Walker erlaubt es keinem der Instrumentalisten, sich hinter seinen Musikerkollegen zu verstecken und verlangt ununterbrochene Konzentration. Die Realisierung gelingt nicht fehlerfrei, aber unter der musikalischen Leitung von Tobias Schwencke auf gutem Niveau.

Zu bemerken ist noch die sehr gute Textverständlichkeit aller Darsteller, die nicht zuletzt der erst im März installierten neuen Lautsprecheranlage des Hauses zu verdanken sein dürfte.

Marc Rohde

 

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