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KONSTANZ/ Sommerwiese im Bodenseestadion: OPERNGALA „VERACHTET MIR DIE MEISTER NICHT“

04.08.2020 | Oper

 


Foto: Facebook Volle

 

Operngala „Verachtet mir die Meister nicht“

Sänger-Gala beim Konzert der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz
 im Rahmen der „Sommerwiese im Bodenseestadion“

Konstanz war die erste  deutsche Stadt, in der am 1. August eine Operngala mit Starsängern vor Publikum mit groß besetztem Orchester nach der-Zwangspause stattfand.

Fast umgehauen hat es den Verfasser dieser Zeilen, als er den Rasen im  Bodenseestadion, auf dem sonst Fußball gespielt wird,  bei diesem von der „Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz“ organisierten Konzert  betrat.  Er traute seinen Augen nicht. Das Orchester präsentierte sich in voller Besetzung mit ca. 60 Musikern auf einer relativ engen Bühne. Möglich wurde dieser Auftritt vor 500 Besuchern, weil alle Mitwirkenden während der Probentage und vor dem Konzert auf das Corona Virus negativ getestet wurden. Nur deshalb konnte der vorgeschriebene Abstand zwischen den Musikern verringert werden. Entscheidend  für das Gelingen waren jedoch die Ideen der Sänger, die Initiative des Dirigenten Marcus Bosch und die brennende Leidenschaft aller Mitwirkenden, endlich wieder unter normalen Umständen zu spielen, zu singen und das Publikum zu beglücken.  

Gabriele Scherer, Sopran, und Michael Volle, Bariton, berichten:

„Die Idee zu diesem besonderen Abend entstand vor einigen Wochen, als uns mehr und mehr bewusst wurde, dass durch die aktuelle Krise so viele wunderbare Künstler sehr schwere Zeiten durchmachen. So kamen wir ins Gespräch mit Massimo Giordano, (Tenor), der uns erzählte, wie seine persönliche Lage, aber auch die allgemeine Lage in Italien ist – nämlich verheerend – und wir waren zutiefst erschüttert. Die erste spontane Idee war, in einem kleinen Film zu berichten, wie es uns Künstlern und Künstlerinnen auf der ganzen Welt geht, und so kontaktierten wir Barbara Frittoli (Sopran). Fassungslos  über ihre Erzählungen beschlossen wir,  für diese und mit diesen Künstlern ein Konzert zu organisieren. Zum einen, um ihnen schlicht und ergreifend zu helfen, aber auch um uns allen in  Erinnerung zu rufen, dass die Kunst unser Erbe ist, dass die Kunst niemals untergehen darf!“

In der das Konzert eröffnenden Verdi-Ouvertüre zur „Macht des Schicksals“ spielte das Orchester unter der energischen Leitung des erfahrenen Dirigenten Marcus Bosch so leidenschaftlich, energisch, befreit, als gelte es, jetzt alle Fesseln zu sprengen und das Schicksal endgültig zu besiegen. Auch die Arie „Blick ich umher in diesem edlen Kreise“ aus Wagners „Tannhäuser“ war in der  aktuellen Situation treffend gewählt, zumal der Weltklasse-Bariton Michael Volle mit beweglicher Stimme, vollendeter mezza voce,  Pianokultur und größter Wortverständlichkeit genau die gewünschte Stimmung schaffen konnte.                                                                                                                

Mit der Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“Schöne Nacht, du Liebesnacht“, servierten die  beiden wunderbaren Soprane Barbara Frittoli und Gabriele Scherer eines der schönsten Duette für Frauenstimmen. Spätestens jetzt ließ das Publikum durch  jubelnden Beifall und Bravorufe seiner Begeisterung freien Lauf.

Aufhorchen ließ bereits bei seinem Auftritt der italienische Tenor Massimo Giordano in der Arie des Andrea Chénier „Un di all’azzuro spazio“ von Giordano. Mit schönster Italianità, sängerischer Ausdruckskraft und einer Stimme, die nicht nur in der strahlenden Höhe, sondern in allen Lagen technisch hervorragend geführt wird, huldigte er effektvoll dem neuen Zeitgeist der Revolution.

Der Glücksfall des Abends war, dass neben dem exquisiten Sängerquartett mit Holger Wemhoff als Moderator sicherlich die populärste Stimme der deutschen Opernberichterstattung  gewonnen werden konnte. Der langjährige Chefmoderator des Senders Klassik Radio ist durch seine Sendungen, in denen er seine Fans und die Hörer*innen  mit höchster fachlicher Kompetenz, gewinnender Stimme und Sprache in locker, eingängiger Art für die Welt der Klassik begeistert, eine unverwechseIbare Institution geworden. Alles was im Musiktheater Rang und Namen hat, wurde und wird von Holger Wemhoff bei Klassik Radio präsentiert und interviewt. Auch in der Konstanzer Sängergala erfüllte der Starmoderator den ihm vorauseilenden Ruf durch kompetente, locker servierte Beiträge brillant. Wemhoff war es auch zu verdanken,  dass das denkwürdige Konzert deutschlandweit übertragen wurde.
Zwischen den Gesangsvorträgen führte Holger Wemhoff Kurzinterviews mit den Protagonisten. Die italienischen Sänger  schilderten Ihre Not.

Massimo Giordano  musste über vier Monate Arbeitslosigkeit ohne jegliche Unterstützung mit seiner Familie überstehen, Barbara Frittoli, die zwei Familien zu ernähren hat, erhielt 600 Euro Unterstützung, die allerdings zurückbezahlt werden müssen. Lebhaft, bildhaft, temperamentvoll sprudelnd gelang  es der Intendantin Insa Pijanka das eher trockene Thema Organisation so mit Beispielen, Bildern, Erlebnissen zu füllen, dass man förmlich spürte, mit welchem Enthusiasmus die ganze Südwestdeutsche Philharmonie die Herkulesarbeit der Vorbereitung dieses außergewöhnlichen Konzerts angepackt hat. Das Konstanzer Wunder der Erweckung der großen Oper aus dem Corona-Tiefschlaf wird mit diesem Team und der Motivationskraft dieser Intendantin sicherlich positive Kräfte für die Zukunft geschaffen haben. Weiter so!
Professor Marcus Bosch wies auf die zum Teil unverständlichen Regelungen und Benachteiligungen der Kultur beim Lockdown hin, gab jedoch auch einen positiven Ausblick. Er wird ausgehend vom Erfolg des Konstanzer  Experiments ähnliche Projekte initiieren und durchführen. 


Michael Volle, Bariton – Marcus Bosch am Pult und die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz im vollen Einsatz ( Monolog des Falstaff „E‘ sogno? O realita?). Foto: privat

 Nach der Pause spielten die Musiker der Südwestdeutschen Philharmonie unter der souveränen Leitung  von Marcus Bosch noch befreiter auf. Auch die Sänger konnten ihr ausgezeichnetes Leistungsniveau halten und zum Teil noch steigern. Die Stärke der Sopranistin Gabriele Scherer ist der Herzenston in ihrer Stimme. In der Sterbeszene aus Puccinis „Manon Lescaut“ „sola, perduta, abbandonata“ konnte sie die Verzweiflung  der verlassenen Frau ergreifend glaubhaft machen. Michael Volle macht aus dem expressiven Monolog des Falstaff „E‘ sogno? O realitá“? aus Verdis letzter Oper eine singschauspielerische Meisterleistung. Barbara Frittoli bewies vor allem in der großen Arie der Elisabeth „Tu che le vanitá“ aus Verdis „Don Carlo“, warum sie zu den gefragtesten italienischen Opernsängerinnen mit weltweiter Karriere zählt. Mit voluminöser Stimme, vollendeter Legato-/Belcanto-Gesangstechnik gestaltet sie, alle Register makellos beherrschend, die dramatischen Emotionen wie Ehrfurcht, Sehnsucht und Entsagung eindrucksvoll. Eine Demonstration schönster italienischer Gesangskunst.


 Ovationen für die Mitwirkenden am Ende der Sängergala „Verachtet mir die Meister nicht“ Verdiente Anerkennung  für das deutschlandweit  erste große Konzert nach der Corona-Zwangspause. (von links Massimo Giordano, Niklas Lippe, Barbara Frittoli, Marcus Bosch, Gabriele Scherer, Michael Volle, Holger Wemhoff. Foto: privat

Gekrönt wurden die Solostücke,  als  sich die Ausnahmestimmen in berühmten Duetten vereinigten. Höhepunkt war das Duett Carlos/Posa aus Verdis „Don Carlo“ „Dio, che nell’alma infondere amor“. Mit feurigem Vortag spielten Michael Volle mit seinem edel, dunkel timbrierten, warmen  Bariton und der Tenor Massimo Giordano mit seiner typischen Träne in der großen, metallisch gefärbten Tenorstimme ihre gesanglichen und darstellerischen Fähigkeiten noch einmal voll aus. 

Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst“  war Motto und Appell dieser denkwürdigen Operngala. Wie anders als mit der Schlussansprache aus Wagners „Meistersingern“  hätte  dieser Konzertabend würdiger beendet werden können, zumal wenn man mit dem Bayreuth-bewährten  Michael Volle einen Sänger gewinnen konnte, der immer häufiger als Jahrhundert- Sachs bezeichnet wird. Mit voll tönender Stimme und dem gebotenen feierlichen Ausdruck zelebrierte Volle die bedeutungsvollen Worte.

Ein Auftrag an uns alle, das zu erhalten, was uns eint:
 Die Liebe zur Musik, zur Oper, zu Sängern und schönen Stimmen.

„Die holde Kunst sie werde jetzt zur Tat!“

Hans A. Hey

 

 

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