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Kohl / Steiger-Moser (Hg.): DIE ÖSTERREICHISCHE ZUCKERINDUSTRIE

05.04.2014 | buch

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Die österreichische Zuckerindustrie und ihre Geschichte(n) 1750-2013
Hg. Werner Kohl, Susanna Steiger-Moser
488 Seiten, Böhlau Verlag, 2014

Geschichtsschreibung ist immer auch Wirtschaftsgeschichte, das weiß unsere Zeit noch besser als jede vorangegangene, Wirtschaftsgeschichte ist Sozialgeschichte, kurz, ein unentbehrlicher Teil der komplexen Betrachtung einer Epoche. Darum vermag ein Buch über die österreichische Zuckerindustrie – was eigentlich als Spezialthema am Rande das Interesse nur weniger Leser erregen könnte – zu einem stellenweise geradezu faszinierenden Beitrag von ein paar hundert Jahren heimischer Geschichte zu werden.

Die Herausgeber Werner Kohl und Susanna Steiger-Moser sind Fachleute – er als Chemotechniker und Chemiefachmann, sie als Historikerin und Ausstellungsgestalterin. Sie haben zum Thema „Die österreichische Zuckerindustrie und ihre Geschichte(n) 1750-2013“ nach einer Chronik, die 1722 beginnt und bis 2008 (letzte Eintragung) reicht, also an die drei Jahrhunderte umfasst, nicht nur viele Spezialthemen (behandelt von verschiedenen Autoren) zusammen getragen, sondern auch ein Kompendium von Bildern und Dokumenten.

Gleich zu Beginn übrigens ein Beweis dafür, wie Wirtschaft und Politik zusammen hängen – als Kaiser Karl VI. der Ostindischen Gesellschaft 1722 ein Privileg erteilte, im Territorium der kaiserlichen Erblande Zuckerfabriken zu errichten, zog er dieses Privileg wieder zurück, als er es gegen die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion „eintauschte“. Erst seine (durch diese „Pragmatische Sanktion“ zur Herrschaft gekommene) Tochter Maria Theresia hat dann 1750 ein 25jähriges Privileg für die „Fiumer Zuckerkompagnie“ erteilt, was dieser Konkurrenzschutz gab. Nach Ablauf allerdings entstanden Zuckerraffinerien allerorten, weil das Bedürfnis nach diesem Genussmittel ein enormes war – neben den vielen Süßigkeiten im Nachspeisen- und Konditoreiwesen spielte natürlich auch das Süßen des Kaffees (nur dadurch hat sich das bittere Getränk durchgesetzt) eine Rolle.

Immer wieder ist die Frage des Zuckers auch eine der von der Politik bedingten Handels – so hatte, als Napoleon 1806 die Kontinentalsperre und damit Einfuhrverbot für Genussgüter verhängte, der nicht von Napoleonischen Truppen kontrollierte, also davon nicht betroffene Hafen Triest einen enormen Wettbewerbsvorteil.

Die zahlreichen Zuckerraffinerien im Bereich der Monarchie stellten einen gewaltigen Wirtschaftsfaktor dar. 1842 wurde das Patent des Würfelzuckers von Jakob Christoph Rad eingereicht. Teils waren die Unternehmen in jüdischer Hand – so gründeten die Brüder Strakosch 1867 die Hohenauer Zuckerfabrik in Niederösterreich, die hohes Prestige genoß, bis der Nachfolgebesitzer Agrana sie 2006 schloß. Immer wieder wird das Buch auch zur Geschichte einzelner bedeutender Unternehmerpersönlichkeiten. Oder zu einer Untersuchung über Sozialstrukturen innerhalb der Zuckerindustrie.

Darüber hinaus gibt es auch viele Sonderbetrachtungen, von der Geschichte des Zuckerrohrs und der Zuckerrübe bis zur Untersuchung dessen, was „süß schmecken“ eigentlich bedeutet, von der Sinnesphysiologie bis zur Psychologie. Und da wird dann die Wirtschaftsgeschichte ganz allgemein interessant, denn das „Süße“ spielt in jedem Menschenleben unweigerlich eine Rolle – von der Sucht bis zur Verweigerung.

Renate Wagner

 

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