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KÖTHEN: INTERNATIONALE BACH-FESTTAGE 2018

„BachundKöthen-dasgehörtzusammen, undwirsinddabei“

01.09.2018 | Konzert/Liederabende


Das Bach-Denkmal in Köthen. Copyright: Andrea Masek

KÖTHEN: Internationale Bach-Festtage 2018

BachundKöthendasgehörtzusammen, undwirsinddabei

29.8. bis 31.8. – Karl Masek

Köthen im Bundesland Sachsen – Anhalt. Ein Städtchen mit etwa 27 000 Einwohnern. Weitab von ausgetretenen Tourismus-Pfaden. Die (auch Bach)Stadt strahlt Gemütlichkeit aus, eine entschleunigte, charmant –  unhektische, aparte Provinzialität.


Das Plakat. Foto: Andrea Masek

26mal fanden die Bach- Festtage im Zweijahres-Rhythmus bisher statt, im Rummel der großen Prominenzfestivals aber eher an den Rand gedrängt.

Seit 2016 ist Intendant Folkert Uhde für die künstlerischen Geschicke verantwortlich. Er startete sehr ermutigend mit neuem Konzept. Geprägt durch ein Orchester, durch Ensembles und Solisten, die während einer Woche durchgehend anwesend sind und nicht von „Stars auf der Durchreise“. Uhdes Intendanz fällt weiters mitten in die Zeit intensiver Bau- und Restaurierungsarbeiten. Auch der berühmte Spiegelsaal im Köthener Schloss ist nach intensiver Bautätigkeit vor der Wiedereröffnung. Also auch hier Veränderung, Renovierung, Weiterentwicklung.

Orchester „in Residence“ ist das eigens gegründete Köthener BachCollektiv.   Unter der künstlerischen Leitung der österreichischen Geigerin mit bayerisch-japanischen Wurzeln, am Mozarteum Salzburg ausgebildeten Midori Seiler, trafen sich 2016 für sieben Tage 18 Musikerinnen und Musiker, um sich gemeinsam auf Bachs Spuren zu begeben. Diese Idee eines Residenzorchesters nach der Tradition und dem Vorbild der Köthener Hofkapelle  zu Zeiten des damals noch ziemlich jungen J.S. Bach (in den 7 Jahren seines Köthener Wirkens war er 32 bis 39 Jahre alt) erwies sich als unbedingt fortsetzungswürdig. Die Begeisterung war enorm, Mitwirkende wie Publikum erzählten vom speziellen „Köthen-Feeling“ und der besonderen Atmosphäre. Bach und Köthen-das gehört zusammen, und wir sind dabei! wurde zum geflügelten Wort. Fast alle Mitwirkenden von 2016 sind auch heuer wieder mit von der Partie.

Mit dem genialen Eisenacher verbindet man vor allen den Leipziger Thomaskantor. Dass er in der Köthener Zeit als Hofkapellmeister u.a.  die berühmten „Brandenburgischen Konzerte“ komponiert hat, ist vermutlich weniger bekannt. 1721 wurde eine Sammelhandschrift mit 6 Instrumentalkonzerten zusammengestellt und dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg gewidmet.

 

29.8.: Beim eigentlichen Eröffnungskonzert in der evangelischen Kirche St. Agnus (ein „Vorspiel“ fand schon am 26.8. statt) waren die Brandenburgische Konzerte Nr. 3 und Nr. 6 angesetzt. Beide sind den Streichinstrumenten vorbehalten. Jedes einzelne Instrument hat gleichermaßen Solo- wie Tuttiaufgaben. Eine starre Einteilung in Soloabschnitte und Orchesterbegleitung ist hier auf kunstvolle Weise aufgehoben und es entsteht ein wunderbarer „perpetuum mobile“ – Sog. Im Falle des violinlosen B-Dur-Konzerts BWV 1051 mit deutlich abgedunkeltem Klangbild. Die beiden Bratschen haben besonders anspruchsvolle Aufgaben (eindrucksvoll: Christian Goosses und Corina Golomoz), homogen und mit bestem Aufeinder-Hören die übrigen Streicher und Flóra Fàbri am Cembalo.

Doch zunächst zur Dramaturgie dieses Abends: Man könnte ihn „Von der Nacht zum Licht“ nennen.  Zunächst dominierten depressive Gefühle, die Emotion der Trauer. Bach hatte in der ersten Zeit in Köthen Schicksalsschläge erlitten.  Einer seiner Söhne starb, dann auch seine erste Frau. Mit Weinen hebt sichs an ließ die österreichische Sopranistin Miriam Feuersinger gemeinsam mit vier Stimmen von Cinquecento-Renaissance Vokal diese Emotionen beredt Klang werden. Bach heiratete jedoch bald darauf die Köthener Hofsängerin Anna Magdalena Wilcke. Etwa zeitgleich entstand die berühmte „Hochzeitskantate“ (Weichet nur, betrübte Schatten, BWV 202, für Sopran, Oboe, Streicher und Basso continuo) mit der noch dunkel getönten instrumentalen Einleitung und der sukzessiven Aufhellung der Stimmungen (Rezitativ Die Welt wird wieder neu“) bis hin zu beschwingter, ungestüm drängender, vergnügter, beinahe übermütiger Lesart mit ausdrucksstarken Textauslegungen. Die couragierte Residenz-Einspringerin Feuersinger (für die erkrankte tschechische Barockspezialistin Hana Blaziková) vereinte sich fast symbiotisch mit der famosen Oboistin Clara Blessing zu glückhaftem Musizieren. Beide „sangen“ und „tanzten“ da förmlich um die Wette, als „Sich üben im Lieben“ lustvoll absolviert wurde. Gigue, Passepied und Gavotte wurden zu Unterhaltungstänzen eines ausgelassenen Hochzeitsfestes (wie bei Bach mit Anna Magdalena 1721, bei dem mehr als 300 Liter Wein geflossen sein sollen)…

Und das „3. Brandenburgische“, G-Dur, BWV 1048, klang entfesselt. Das perlte und swingte, da wurden musikalisch die Bälle zugespielt, dass es eine helle Freude war. Was jedem/r Musiker/in ins Gesicht geschrieben stand.  Und das pflanzte sich ins Auditorium fort. Standing ovations schon bei der Eröffnung erlebt man nicht bei jedem Festival!


Die romanische, zweigeschossige Kapelle St. Crucis (Cinquecento Matinee). Copyright: Andrea Masek

30.8.: Der große Vormittag des Wiener a-Capella-EnsemblesCinquecento. Ein Ausflugskonzert führte uns in den 30 km entfernten Ort Landsberg und in die romanische Doppelkapelle St. Crucis und die pittoreske Stadtkirche St. Nicolai. Hier wurde Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525-1594) gewürdigt. Palestrina – sehr viel später der Titelheld in Hans Pfitzners Oper – wird als genialer Vollender einer vokalen Poyphonie der Renaissance gesehen. Von der Perfektion eines vierstimmigen Palestrina-Satzes zu Bach, mehr als ein Jahrhundert später, ist es nicht mehr weit. Naheliegend, diese ganz spezielle a-Capella-Musik Terry Wey (Countertenor), Axel Schulz (Tenor), Tore Tom Denys (Tenor), Tim Scott Whiteley (Bariton) und Ulfried Staber (Bass) anzuvertrauen. In der spirituellen Atmosphäre von St. Crucis erklangen drei „Klagegesänge des Propheten Jeremia“, bei denen es um die Zerstörung Jerusalems durch babylonische Truppen geht. In der trockenen, nachhallfreien Akustik ergab sich ein idealtypisches, feinst gesponnenes Klanggefüge. In unmittelbarer Nähe zu den Ausführenden spürte man fast körperlich, wie da während des Singens jeder auf jeden hörte. Jeder kleinsten Verästelung des polyphonen Geschehens wurde sensitiv nachgespürt, durch kleinste räumliche Veränderungen der „Singekreise“ wurden minimale Änderungen im „Raumklang“ evoziert.  Die fünf sangen „wie mit einer Stimme“, zugleich der Eindruck von wellenförmiger Vielstimmigkeit. Musikmagie, die man kaum für möglich hielt.


Miriam Feuersinger, Terry Wey, Axel Schulz, Ulfried Staber, Tim Scott Whiteley, Tore Tom Denys vor der Apsis in St. Nicolai. Copyright: Andrea Masek

Man musste sich den zweiten Teil erwandern. In St. Nicolai Palestrinas sechsstimmige Missa sine nomine, hier übernahm Miriam Feuersinger den Sopranpart, als wäre sie schon immer Cinquecento-Mitglied.

Starke Akklamation eines sichtlich und hörbar beeindruckten Publikums.

 

31.8.: Bis in den Nachmittag hinein ein Besuch der Lutherstadt Wittenberg. Eine Matinée im Refektorium im Lutherhaus. Wir folgten gerne der Einladung der Wittenberger Hofkapelle.

Ein moderiertes Konzert. Tobias Höhne machte das instruktiv und humorvoll. 60 km von Köthen entfernt liegen die Wurzeln der Reformation, ohne die man sich Bach kaum denken und vorstellen kann. Luther war musikalisch sehr begabt, und er komponierte auch. Mit Ein feste Burg ist unser Gott gab es auch eine musikalische Kostprobe seines musikalischen Schaffens. Die vier Mitglieder – neben Tobias Höhne, die Solistin Shirley Radig (Sopran), die Instrumentalist/innen Gesine Friedrich und Thomas Höhne. Was heißt hier Instrumentalisten? Vier fabelhafte Erzmusikanten gab es da zu bestaunen. Was hatten die nicht alles für Instrumente dabei! Eine überaus edel klingende „Wartburg-Harfe“, Gamben verschiedener Stimmlagen, eine ebensolche Vielfalt an Renaissanceblockflöten, 2 Lauten, 1 Langhalslaute, eine italienische „Guitarra Patente“, Perkussionsinstrumente- und: GEMSHÖRNER in verschiedenen Stimmlagen (butterweich, geradezu „sahnig“ klingende Engelsinstrumente, wie Höhne anmerkte), HÜMMELCHEN (Dudelsack-ähnliche Blasinstrumente, bei denen man vermeint, in einen Hummelschwarm hineinzugeraten. Und ein KRUMMHORN, das die quäkenden und krächzenden Töne produziert. „Der Rabe unter den Instrumenten“, so Höhne launig.

Die aufgeführten Komponisten (Melchior Vulpius, Ludwig Senfl, Hans Leo Hassler, Heinrich Isaac, Michael Farinell, Martin Luther,u.a.) bezogen sich mit ihren Liedern, Tänzen (auch den Chorälen!) auf das breite Volk, von dem sie verstanden werden und dem sie gefallen wollten. Da waren schon Kultnummern dabei. Ludwig Senfl mit Ach Elslein, liebes Elslein mein oder H.L. Hassler mit Jungfrau dein schön Gestalt: Das waren schon Liebeslieder mit Poesie und kuscheliger Melodik! Shirley Radik sang diese Kleinodien mit farbiger, kristallklarer Stimme und der aparten Mischung „unschuldig- wissend“, oder anders gesagt: mit keuscher Erotik.

Die instrumentalen Nummern boten ein Füllhorn an Gefühlsschattierungen, was Renaissancemusik so frisch, so ewig neu, so zeitlos modern daherkommen lässt. Imponierend das Können des Instrumentaltrios, das auf allen Instrumenten mit virtuosen Qualitäten glänzte und das Gefühl vermittelte, genau so hat dies „damals“ geklungen! Etwa die temperamentvollen „Folia“-Variationen des Michael Farinell (1649-1726) oder durchaus schlüpfrige italienische Canzonen der damaligen Zeit. Oder der Abschiedsschmerz in Innsbruck, ich muss dich lassen,..

Starker Beifall wurde mit einer Zugabe belohnt. Eine weitere lustig-frivole Canzonetta.

 
Midori Seiler,Valer Sabadus, Terry Wey und das Köthener BachCollektiv danken für Ovationen. Copyright: Andrea Masek

Am Abend schließlich wieder Köthen: Inspirationen Bach & Pergolesi. diesmal in der Kirche St. Jakob. Eingeleitet vom Brandenburgischen Konzert Nr.1 mit den konzertierenden Hörnern im 1.Satz (makellos Stephan Katte und Dette Alpheis).  Pergolesis berühmtes Opus summum „Stabat Mater“ war katholisch inspiriert. Das Werk erfuhr durch Bach eine „protestantisch gefärbte“ Veränderung, indem er der lateinischen Meditation über die klagende Maria einen deutschen Text geben, musikalisch in vielen Details (Satztechnik!) seine „Sprache“ einfließen ließ. Tilge, Höchster, meine Sünden heißt nun diese  Motette (BWV 1083 nach Pergolesi). Und aus der Schilderung der “Schmerzensreichen“ wurde das Bekenntnis eines bereuenden Sünders. Was bei den Protestanten besser ankam. Man hört auch: Bachs Version hat mehr „Testosteron“…

Rundheraus gesagt: Was wir da von den beiden Counterstars Valer Sabadus und Terry Wey zu hören bekamen, war schier atemberaubend und scheint mir kaum mehr zu toppen. Schmerz ist hier bitter, hat keinen süßlichen Beigeschmack. Auch das Leid wird in kräftigeren Farben geschildert. Das abschließende „Amen“ wirkt entschlossener. Die beiden passen stimmlich unglaublich gut zusammen. Wie Topf und Deckel, auch wenn der Vergleich etwas banal anmutet. Perfekt sämtliche Duette, seien es die auseinander laufenden Linien, seien es die Parallelitäten. Ausdruckswille geht über geschmäcklerische und gefällig sein wollende Phrasierung. Die Intonation beider ist exemplarisch. Bei den Arien beider scheint die Zeit still zu stehen. Mit der Akustik wird gekonnt gespielt. Höhepunkt an Höhepunkt!

Zeit ist es, Midori Seiler und ihr Wirken in diesen festlichen Tagen zu preisen. Nur wenige üben so uneitel ihre Leitungsfunktion aus. Sie ist auf ganz „leise“ Art offenbar eine Teamplayerin und Motivationskünstlerin. Spielt ihren Violinpart ohne herausfordernde Gestik, dirigiert fast unmerklich – und hat jede Sekunde die Fäden in der Hand. Im Orchester wieder: Aufeinander hören,   positive Körpersprache, sichtlich und hörbar Lust und Spaß an der Sache. Geboren aus künstlerischem Ernst. Das Köthener BachCollektiv möge in ähnlicher Form weiter zusammenbleiben!

Nach dem Triumph mit Bach & Pergolesi gelang die abschließende Kantate „Falsche Welt, dir trau ich nicht“ mit dem optimistischen Gottvertrauens-Finale noch ein Stück weit entspannter. Der Sopran von Miriam Feuersinger schwang sich zu glockigen Höhenflügen auf, und Cinquecento setzte (auch da war Terry Wey wieder dabei) mit dem Choral „In dich hab ich gehoffet, Herr“ den Schlusspunkt eines Weltklasse-Konzerts.

 Und Ende August 2020 geht es wieder los. Fazit: Die Köthener Bachfesttage haben ein künstlerisches Ausrufezeichen gesetzt und postuliert: Für Bach kann kein Weg zu weit sein. Also: Auf nach Köthen! Im August 2020!

Karl Masek

 

 

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