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KÖLN/Staatenhaus: DAS LIED DER FRAUEN VOM FLUSS – („Cantos de Sirena“) – Musiktheater von La Fura dels Baus. Premiere

21.05.2017 | Oper

KÖLN: DAS LIED DER FRAUEN VOM FLUSS („Cantos de Sirena“) – Musiktheater von La Fura dels Baus                                            

Premiere am 20. Mai 2017

Dass folgende Rezension gegen ersten persönlichen Widerstand geschrieben wurde, verdankt sich ein wenig auch der Berichterstattung der verehrten Kollegin Renate Wagner über die Produktion von Haydns „Schöpfung“ durch die Theatertruppe LA FURA DELS BAUS im Theater an der Wien (die Wanderinszenierung hatte dort am 15. Mai Premiere). Nur fünf Tage später sah man in Köln von dem Team „Das Lied der Frauen vom Fluss“. Der führende Kopf von La Fura, CARLUS PADRISSA, hat das Ganze natürlich nicht binnen einer knappen Woche auf die Bühne des Staatenhauses gewuchtet (mittige Spielfläche, Seitentribünen für die Zuschauer). Vielmehr fand die Originalpremiere 2015 am koproduzierenden Theater Luzern statt.

Die Entstehung des Werkes verlief nicht ohne Abenteuer. La Fura wollte seinen norwegischen Eisbrecher (Baujahr 1965, Länge 60 Meter) zu einem Kulturzentrum umbauen. Finanzielle Gründe torpedierten das Unternehmen, es wurde sogar eine Verschrottung des Schiffes in Erwägung gezogen. Dann aber erfolgte eine Einladung aus Duisburg für „Theater 2000 – Kulturhauptstadt Europa“, wo man das Stück „Global Rheingold“ herausbrachte, mit Rheintöchtern samt Loreley als weiblichen Protagonisten. Die bei der Premiere anwesende Kölner Opernintendantin war für eine Weiterspinnung des Sujets offen, und so hat man jetzt also glücklich „Das Lied der Frauen vom Fluss“ vor Ort. Ursprünglich sollten die Aufführungen auf einem („dem“?) Schiff stattfinden, aber der Rheinpegel ließ den Transport nach Köln zum anvisierten Premierentermin nicht zu. Jetzt also Staatenhaus, szenisch wahrscheinlich kein so großer Verlust.

Sirenen tauchen in dem hundertminütigen Szenenspektakel bis hin zu Dvoraks Rusalka mehrfach auf, aber die zentrale Gestalt ist Fausta, der verweiblichte Dramenheld Goethes also. Diese Idee ist nun wahrlich kein Novum, aber La Fura hat sich mit dieser (ohnehin immer noch weiter ausschöpfbaren) Figur bereits mehrfach beschäftigt, beginnend mit dem Operndebüt in Salzburg („La damnation de Faust“ von Berlioz), danach mit „Faust 3.0“ für das Teatre Nacional de Catalunya und der Verfilmung „Faust 5.0“.

Der jetzige Faust wird als Künstler(in) gesehen, welcher glaubt, sein kreatives Potential und damit sein reales Leben ausgeschöpft zu haben. Den Suizid verhindert eine innere Stimme (Ersatz für Mephisto), welcher das bisherige Kunstschaffen in neue, ganz auf sich selbst bezogene Bahnen lenkt. Daraus wird ein Egotripp, der Körper Fausts mutiert zum Kunstobjekt. Und damit ist man sogleich bei der stets weitläufigen Spielweise von La Fura.

Der Bericht Renate Wagners über die Haydn-Aufführung zeigt, dass sich – bei aller zu belobigender Fantasie des Inszenierungsteams (zu ergänzen sind ROLAND OLBETER/Bühne & Sound Machines, CHU UROZ/Kostüme), SANDRA MARIN GARCIA/Choreografie) – szenische Bilder gerne wiederholen, etwa Sänger im Wasserbassins oder (trockenen Kostüms) an Kranbauten karussellierend. Dazu in Köln geheimnisvolle Tänzerwesen, Projektionen, hieroglyphische Texte, denen man irgendwann nicht mehr zu folgen in der Lage ist. Bedeutungsschwere noch und noch – bei allem Spielwitz, welcher Drama und Kabarett zu amalgamieren versucht. Es ist „für den Betrachter ein Mühsal, dem Ganzen zuzusehen“. Dieses Fazit von Renate Wagner ist auch das des Kölner Berichterstatters. Und wie sie weiß er sich in Opposition zur jubelnden Mehrheit des Premierenpublikums.

Zu seiner Partitur (Eigens und bearbeitetes Altes, vornehmlich aus dem Zeitalter des Barock) äußert HOWARD ARMAN Absichtsvolles. Sinn, Zweck und Güte seiner Kompilation sind nicht eindeutíg. Das GÜRZENICH-ORCHESTER dirigiert er ohnehin weitgehend mit automatenhafter Zeichengebung. Die Fausta von ADRIANA BASTIDAS GAMBOA ist bühnenfüllend, ein vokaler und darstellerischer Kraftakt sondergleichen. LENNART LEMSTER gibt den „Sprecher“, ein Tanzensemble sorgt für nicht nachlassendes Szenengewusel. Das Männertrio JEONGKI CHO, MARTIN KOCH, MATTHIAS HOFFMANN gefällt, was auch immer es macht, CLAUDIA ROHRBACH singt lyrisch erfüllt u.a. die „Rusalka“-Arie, MARIA KUBLASHVILI das Olympia-Lied, welches sie ebenso virtuos präsentiert wie vor kurzem bei der Kinderopern-Fassung von „Hoffmanns Erzählungen“.

Sollte man gegen Ende der Aufführung einen Mangel an Erschütterung spüren, könnte möglicherweise Didos Farewell aus Purcells Oper noch dafür sorgen; Adriana Bastidas Gamboa singt es nämlich, in Stricken hängend, ausgesprochen klangschön. Als Finale folgt, womöglich ernst gemeint, das finale „Alles Vergängliche“ aus Liszt „Faust“-Sinfonie. Während dieser Nummer streifen Statisten durchs Auditorium und streichen die Anwesenden mit zartflaumigen Federbüschen. Wem da nicht der Körper zu vibrieren beginnt…

Christoph Zimmermann

 

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