„Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ im Wallraf-Richartz-Museum von Köln
Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger
Susanna und die Alten: Detail von Artemisia Gentileschi 1622. Foto: Andrea Matzker
Ein Leben, total gezeichnet von dem fürchterlichen Verbrechen, dass ihr in jungen Jahren angetan wurde von einem namentlich bekannten und letztendlich zur Rechenschaft gezogenen Täter, war Artemisia Gentileschi keine aufstrebende, ehrgeizige, für Erfolg zu manchen Kompromissen bereitwillige junge Dame, die erst einmal 30 Jahre lang abwartete, bis sie das ihr angetane Unrecht vor Gericht brachte, sondern sie war eine schöne, junge, erfolgreiche und hochbegabte Frau aus bestem Hause, die damals gegen eine reine Männerwelt kämpfen musste, sich als weibliches Wesen in dieser harten Berufswelt behaupten musste und es insofern viel schwerer hatte als die Anhängerinnen der MeToo-Debatte heutzutage, die durch Vorgängerinnen wie sie erst auf offene Ohren stießen. Bereits in jungen Jahren galt sie als Ausnahmekünstlerin, stand unter dem Schutz ihres berühmten Vaters Orazio Gentileschi und brauchte keinerlei Protektion von anderen mächtigen Männern. Das ihr angetane Verbrechen verfolgte sie ihr gesamtes Leben lang auf schmerzhafteste Weise. Ihr Mut, dies augenblicklich und schonungslos publik gemacht zu haben, bestätigte sich im Nachhinein als einzige konsequente Lösung, auch wenn sie dadurch zu Lebzeiten und postum, ja theoretisch bis 1980 beschämt und verhöhnt wurde. Außerdem wurde von ihrem bedeutenden Lebenswerk dadurch abgelenkt. Sonst hätte sie schon viel eher großen Ruhm erfahren. Der Täter wurde damals bestraft. Durch dieses eigene Erleben ist ihre Darstellung der Susanna besonders ergreifend. Vor allem die Interpretation in Form eines Diptychons in Anlehnung an Artemisia Gentileschi von Kathleen Gilje, unter deren Oberfläche noch eine wesentlich wehrhaftere und verzweifeltere „Susanna“als fiktives Pentimento hervorschimmert, die im Museum zusätzlich in einem schwarz-weißen Röntgenbildbetrachter neben dem Original hängt und die aufs Äußerste verletzten Gefühle der Susanna zeigt.
Als die zwei Autoren dieses Beitrags am Vortag der Eröffnung der Susanna-Ausstellung zur Pressekonferenz das Museum betraten, zogen sie augenblicklich in Erwägung, zwei der wunderschönen, großen Samtkissen mit der Abbildung des „Mädchens mit Perlenohrringen“ von Johannes Vermeer aus dem Museumsshop im Anschluss an die Pressekonferenz zu kaufen, da sie am Eingang desselben platziert waren und ausgesprochen angenehm auffielen. Daraus wurde nichts, da der Aufenthalt länger als geplant ausfiel, und noch ein ausgiebiges Beisammensein mit Kollegen im Museumscafé stattfand. Als sie am Tag darauf von dem neuerlichen Anschlag durch Klimaaktivisten auf ein weltberühmtes Gemälde hörten, erschien es ihnen schon recht seltsam, dass es sich ausgerechnet um dieses Gemälde handelte, zumal sie noch während der Pressekonferenz den Kurator Dr. Roland Krischel der Ausstellung daraufhin angesprochen hatten, dass sie sich Sorgen machen wegen dieser zurzeit stattfindenden Anschläge in Anbetracht der herrlichen Exponate der Susanna-Ausstellung. Ein seltsamer und recht makabrer Zufall.
Tintorettos sogenannte Wiener Susanna konnte leider aus terminlichen Gründen wieder einmal nicht nach Köln entliehen werden, dafür aber ein früheres Gemälde von ihm zum gleichen Thema. Das Gemälde fasziniert derart, dass man stundenlang davor sitzen, wandeln und es betrachten möchte. Die Künstlerin Heike Gallmeier schuf ein modernes Pendant zu Tintorettos Susanna, das im Foyer des Museums ausgestellt ist. Äußerst interessant ist die Gegenüberstellung mit einer direkt daneben hängenden Susanna von Jacob Jordaens, auf der einer der zwei ekligen, widerwärtigen Spanner und Bedränger der schönen Susanna tatsächlich an eine Abbildung von Harvey Weinstein erinnert, der auch gerade wieder durch die aktuellen Tagesberichte flimmert und sich einem weiteren Prozess mit möglichen über 100 Jahren Gefängnis gegenübersieht.
Susanna. Detail von Artemisia Gentuleschi 1649. Foto: Andrea Matzker
Susanna. Detail von Kathleen Gilje nach Artemisia Gentileschi mit durchschillernde fiktivem Pentimento-1998. Foto: Andrea Matzker
Diese erste Ausstellung zur biblischen Susanna in der Kunst im Wallraf-Richartz-Museum stellt eine Weltpremiere dar. Mit mehr als 90 Exponaten aus über sieben Jahrhunderten zeigt die Ausstellung bis zum 26. Februar 2023 Darstellungen aus Malerei, Graphik und Kunsthandwerk, darunter drei Papyrusfragmente, um 200 nach Christus, den mehr als 1000 Jahre alten Lothar-Kristall bis hin zu einem Zyklus zu Hitchcocks Film „Psycho“ in einem eigenen Kabinett und Abbildungen zur Besetzungscouch in Hollywood. Im Film „Psycho“ aus dem Jahr 1960 wird eine Darstellung von Susanna und den Alten aus dem 18. Jahrhundert benutzt, um das Guckloch des Voyeurs an der Wand im Film zu verdecken. Dabei handelt es sich um ein 1731 entstandenes Werk des Niederländers Willem van Mieris, das 1972 aus seinem Museum in Perpignan gestohlen wurde und seitdem verschollen ist. Hitchcock selbst wurde auch massiver sexueller Übergriffe beschuldigt, unter anderem von seiner Hauptdarstellerin im Film „Die Vögel“, Tippi Hedren, die angeblich aufgrund ihrer eindeutigen Ablehnung im Anschluss an ihre Arbeit mit dem Regisseur in der gesamten Filmwelt dank Hitchcocks Intervention komplett auf Eis gelegt wurde und nie mehr eine bedeutende Rolle bekam. Die Mutter von Melanie Griffiths und Großmutter von Dakota Jones bzw. Johnson ist lediglich ein Paradebeispiel unter den weiblichen Filmstars, die mit ihm gearbeitet hatten, denn viele andere Schauspielerinnen hatten ihn ebenfalls dieser Übergriffe beschuldigt. Im Übrigen, wie die Verteidigung von Harvey Weinstein in diesen Tagen aktuell vor einem Gericht aussagte, sei dies damals „gang und gäbe“ gewesen. Davon können auch viele andere, unbekanntere Darstellerinnen, gerade durchaus hier im provinziellen Deutschland, ein Lied singen, nur sie sagten eindeutig „NEIN“, wehrten sich heftig und drohten glaubhaft mit der Polizei, akzeptierten die bitteren Konsequenzen und bekamen daher nicht die bedeutenden Rollen, die ihnen unter gewissen Voraussetzungen versprochen worden waren. Und insofern hörte man nie mehr von ihnen. Es wäre sowieso einmal dringend an der Zeit, von diesen (echten und wahren!) Titelheldinnen zu sprechen! Den Autoren dieses Berichtes sind viele Fälle dieser Art bekannt, nur wollte bisher niemand davon Notiz nehmen.
Insofern waren sie auch sehr ergriffen nach der ausführlichen Besichtigung der einmaligen Ausstellung, da diese verletzten Gefühle beim Betrachten der eindringlichen Abbildungen, Gemälde und Zeichnungen lebhaft in Erinnerung kamen und einem fast den Hals zuschnürten.
Susanna. Detail von Kathleen Gilje nach Artemisia Gentileschi mit fiktivem Pentimento 1998. Foto: Andrea Matzker
Susanna, Detail von Jacopo Tintoretto 1546-47. Detail Alter Spanner im Gebüsch- Foto: Andrea Matzker
Susanna, Detail von Jacob Jordaens 1653. Ein Harvey Weinstein von damals. Foto: Andrea Matzker
Die Besetzungscouch in Hollywood. Titelbild The New-Yorker, 8.3.2018 von Chris Wave. Foto: Andrea Matzker
Zur Ausstellung gibt es viele interessante Veranstaltungen, einen unbedingt zu empfehlenden Audioguide und einen ausführlichen, reichhaltigen und höchst interessanten Katalog.
Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger