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KÖLN: TURANDOT. Premiere

03.04.2017 | Oper
Oper Köln TURANDOT Musikalische Leitung: Claude Schnitzler Regie: Lydia Steier Bühne + Video: Fettfilm Kostüme: Ursula Kudrna Licht: Andreas Grüter Darsteller: C.Foster, A.Fedin, M.Kares, M.Muehle, Guanqun Yu, W.S.Schwaiger, J,Heuzenroeder, M.Koch, M.Mrosek Darsteller: Claudia Rohrbach, Miljenko Turk, Michael Mrosek, Lucas Singer, Martin Koch, Dalia Schaechter, Emily Hindrichs

Foto: Copyright Bernd Uhlig

KÖLN: TURANDOT. Premiere am 2. April 2017

Bei Puccinis „Turandot“ hat man wahrscheinlich spontan Birgit Nilsson vor Augen, wie sie in schleppenlangem Prachtkostüm auf einer ausladenden Palasttreppe steht und das Schicksal ihrer Ahnin mit gleißenden Tönen beschwört („In questa reggia“). Ein Rollenfoto der Sängerin findet sich übrigens aktuell in der Met-CD-Edition von Warner, mit welcher an die Eröffnung des Neuen Hauses im Lincoln Center 1966 erinnert wird. Turandots Erzählung ist eine Hasstirade auf das Geschlecht der Männer mit all ihren sexuellen Brutalitäten. Dass die Prinzessin in pubertärem Alter solche Racheobsessionen entwickelte und dabei ihre weiblichen Emotionen einkerkerte, ist zwar eine extreme Entscheidung, bleibt jedoch psychologisch nachvollziehbar. Aber unter dem Eispanzer brodelt der Wunsch nach Liebe halt doch. Dezidierte Absicht Puccinis war es, bei Turandot eine „Vivisektion ihrer Seele“ vorzunehmen, was im Finale zu einer wie auch immer gearteten „Lösung“ hätte führen sollen. Dazu kam es durch den frühen Tod des Komponisten aber nicht. Weder nachträgliche Notenfunde noch die die Ergänzungen Franco Alfanos oder Luciano Berios haben die entstandene Lücke wirklich befriedigend aufzufüllen vermocht. Dies bleibt nunmehr eine Daueraufgabe von Inszenierungen.

Ältere Kölner Opernbesucher mögen sich noch an die Ponnelle-Arbeit von 1981 erinnern, welche am Schluss ein dezentes, aber unerhört wirksames Bildsignal setzte. Aus einem den Bühnenhintergrund beherrschenden Marmorgesicht (Turandots) rannen blutige Tränen, Zeichen für eine schmerzvolle Erlösung. Jetzt bei LYDIA STEIER wird ein aufgekratztes Happy End gefeiert, bei dem kritische Momente schemenhaft bleiben. Es ist zunächst zwar Turandot, welche den entscheidenden Kuss wagt, aber am Schluss steht sie weit entfernt von Calaf. Sie schäkert mit dem Herrn Papa (Altoum), mit den drei Ministern und sogar mit Leuten aus dem Volk. Kein Blick für den frisch errungenen Geliebten. Der hat nun freilich auch anderes zu tun. Mit imperatorischer Kühle unterzeichnet er eine Heiratsurkunde, Dokument einer seelisch grausamen Inbesitznahme, die Turandot in ihrer Arie angeprangert hatte. Wiederholt sich die historische Tragödie etwa?

In der ehrenwerten Absicht, bei Puccinis Oper äußerlichen China-Pomp bzw. -Kitsch aus dem Wege zu gehen, ist Lydia Steier auf ein „panem et circenses“-Konzept gekommen. Sie geht von einer Besatzersituation aus, wie sie in der Vergangenheit in der Tat bestand (das schlägt Brücken zu „Madame Butterfly“). Die Unterdrücker missbrauchen landeseigene Rituale und auch Turandots Privatbereich zu ordinärer Freizeitbelustigung („Pe-Kino“-Atmosphäre) und zwingen das Volk zu devoter, fähnchenschwingender Teilnahme. Man könnte die politischen Gedankensplitter dieser Regieidee noch vermehren – nur: was bringt sie der Oper? Die Deutung liest sich im Vorfeld nicht uninteressant, auf der Realbühne wirkt sie jedoch immer fragwürdiger. Letztlich bleibt das Geschehen wie gehabt auf den Charakter der „eisumgürteten“ Prinzessin konzentriert.

Kostümbildnerin URSULA KUDRNA steckt die Titelheldin bei ihrem ersten, starren Auftritt (sie wird hereingefahren) in eine rot-pompöse, von einer Krinoline gewölbte Robe; dazu kommt ein üppiger Kopfaufsatz – ein wahrer Stoffpanzer. Überraschend dann der Frack im dritten Akt, dazu eine gewellte Blondperücke. Turandot als eine Mischung aus Hollywood-Vamp und schwulem Entertainer, mit Zigarettenrauchen als passendem Gehabe. Was bringt das? Calaf reißt ihr später ohrfeigend das Kunsthaar vom Kopf, und es wallen die natürlichen weiblichen Haare. Nun ist Turandot wieder ganz Frau – oder? Rätselraten mit Lydia Steier. Zuletzt, wie bereits beschrieben, der finale Happy-End-Zirkus.

Zu den Positiva der Inszenierung zählt der greise Kaiser Altoum, welcher das Tun seiner Tochter eindeutig missbilligt und dies auch aktiv kundtut, vor Turandot zuletzt sogar ausspuckt. (das alles spielt ALEXANDER FEDIN sehr schön aus). Auch die Minister erhalten relativ differenzierte Umrisse, werden, nach ihren politischen Routineeinsätzen, immer wieder „Mensch“. WOLFGANG STEFAN SCHWAIGER, JOHN HEUZENROEDER und MARTIN KOCH singen und agieren ebenso launig wie differenziert. In ihren Umkleidekabinen (sie gehören zur bewegten Ausstattung von MOMME HINRICHS und TORGE MOLLER (fettFilm) lassen sie offizielle Hüllen fallen, in welche sie aber sehr bald wieder hinein gezwängt werden. MIKA KARES gibt einen charismatischen Timur, GUANQUN YU eine sehr berührende Liu mit silbrigen, schmerzdurchsetzten Pianotönen.

Die Turandot von CATHERINE FOSTER gerät prinzipiell tadellos. Dass ihre Stimme nicht ganz die stählerne Expressivität einer Nilsson besitzt, hat durchaus rollenpsychologische Vorteile, setzt aber auch leichte vokale Wirkungsgrenzen. Das wird an der Seite von MARTIN MUEHLE besonders deutlich, welcher mit attraktivem Timbre den Calaf vokal wahrhaft prunkvoll, geradezu verschwenderisch ausstattet.

Oper Köln TURANDOT Musikalische Leitung: Claude Schnitzler Regie: Lydia Steier Bühne + Video: Fettfilm Kostüme: Ursula Kudrna Licht: Andreas Grüter Darsteller: C.Foster, A.Fedin, M.Kares, M.Muehle, Guanqun Yu, W.S.Schwaiger, J,Heuzenroeder, M.Koch, M.Mrosek Darsteller: Claudia Rohrbach, Miljenko Turk, Michael Mrosek, Lucas Singer, Martin Koch, Dalia Schaechter, Emily Hindrichs

Foto: Copyright Bernd Uhlig

Das GÜRZENICH-ORCHESTER spielt vollmundig und süffig. Der hierorts schon mehrfach Puccini-bewährte CLAUDE SCHNITZLER dirigiert durchaus flüssig, partiell machen zögerliche Tempi den Sängern freilich zu schaffen. Dass visuell fast gänzlich abgeschottet auf der Hinterbühne gespielt wird, hat keine akustischen Mangel zur Folge, ist zudem optisch von Vorteil, wie bereits frühere Aufführungen im Provisorium „Staatenhaus“ bewiesen haben, wo ja kein vertiefter „Graben“ existiert. Am Ende der Premiere volle Zustimmung des Publikums.

Christoph Zimmermann

 

 

 

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