Kai Wessels, Miljenko Turk. Copyright: Hans-Jörg Michel/ Oper Köln
KÖLN/Staatenhaus: Mare nostrum von Mauricio Kagel
Premiere am 23. September2018 Besuchte Zweitaufführung am 26. September 2018
Gleich dreier Komponisten, die gebürtige oder zumindest assimilierte Kölner sind, gedachte bzw. gedenkt die Oper der Stadt. An Bernd Alois Zimmermann wurde mit den vor Ort 1965 uraufgeführten „Soldaten“ spektakulär erinnert, des französisierten Offenbach wird in Bälde mit der „Herzogin von Gerolstein“ und einem Abend „Je suis Jacques“ gedacht. Die aktuelle Hommage gilt Mauricio Kagel, in Argentinien geboren, ab 1980 aber deutscher Staatsbürger und durch Wohnsitz und Lehrtätigkeit an der Musikhochschule (Neues Musiktheater) letztlich zum Kölner geworden. Das Handwerk der Oper lernte er u.a. bei Erich Kleiber, welcher ihn vor allem das „Denken“ lehrte. Das Genre in seinem traditionellen Habitus hat Kagel nie bedient, er war stets auf der Suche nach neuen, innovativen Formen. Bei „Mare nostrum“ kann man bereits den Untertitel „Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien“ als entsprechendes Signal nehmen.
Schon an der geografischen Umkehrung historischer Gegebenheiten läßt sich die typisch ironisierende Dramaturgie Kagels ablesen. Bei ihm wird kein europäischer Weltensegler à la Christoph Columbus (wie im Bühnenwerk von Werner Egk) oder ein anderer Eroberer (wie Vasco da Gama in Meyerbeers romantisierender „Afrikanerin“) porträtiert. Kagels Konquistador stammt aus Amazonien. Er hat sich auf eine Reise nach Europa gemacht und klappert ebenso neugierig wie machtlüstern die Mittelmeerstaaten ab. Wirkliche Zivilisationskritik ist in Kagels 1975 an der Berliner Hochschule der Künste uraufgeführtem Stück aber nur rudimentär auszumachen, zu bizarr wirkt der szenische Entwurf. Alleine die Erzählkommentare mit ihrem (teilweise freilich witzigen) Deutsch-Kauderwelsch verweigern sich tiefer gehenden Konfliktschilderungen. Wohl wird das Heikle sozialer Konfrontationen deutlich, aber das geht in theatralischen Explosionen weitgehend unter.
Daß Kagel keine „Arien“ schreibt, keine Wohlfühl-Musik bietet, versteht sich bei diesem weltkritischen Komponisten. Gleichwohl wirkt die musikalische Substanz von „Mare nostrum“ reichlich dünn, was selbst bei einer limitierten Aufführungsdauer von 75 Minuten zu spüren ist. Die Forderung an beide Sängerdarsteller (Counter, Bariton) nach denaturierten Lautäußerungen (von Gesang ist generell nicht zu sprechen) mag man vielleicht als virtuose Delirien empfinden, aber dem wohl doch intendierten Ernst des Sujets dient das nicht. Die Aufführungsstatistik von „Mare nostrum“ ist denn auch überschaubar: nach Berlin engagierte sich 2014 die Wiener Kammeroper, ein Jahr später sogar ein kleines Theater wie Plauen/Zwickau. Das scheint’s bis Köln aber weitgehend gewesen zu sein.
Hier bietet Regisseur VALENTIN SCHWARZ (von ihm stammt auch die zermüllt wirkende Bühne) kritisch gemeinte Bilder, die aber vorrangig pittoresk wirken. Die Inszenierung wartet fraglos mit starken und frappierenden Bildern auf, aber sie dienen – wie das Stück auch – der eigentlich guten Absicht nicht wirklich. So ist es gut, daß der Regisseur nicht versuchte, auch noch Parallelen zu heutigen Vorkommnissen zu ziehen.
Das sechsköpfige Instrumentalensemble (Flöten, Oboe/Englischhorn, Gitarre/Laute, Harfe, Cello und Schlagzeug), sicher gelenkt von ARNAUD ARBET, ist wie der Dirigent auch gesichtsgeschminkt. Wozu? Die Plattform, auf welcher die Musiker sitzen, wird kurz nach Aufführungsbeginn in Zeitlupe auf die Bühne zugefahren. Tiefere Bedeutung?
Die Schlagzeugerin YUKA OTHA hat eminent viel zu tun. Zu ihrem klangerzeugenden Inventar gehören u.a. eine Glasmurmel, zwei Papierseiten, eine Kartonfolie, ein Blockflötenkopfstück und mancherlei Exotisches. Nicht alles dringt wirklich ans Ohr. Aufwendige und fraglos etwas selbstverliebte Kageliaden. Auch die beiden Sänger haben sich gelegentlich mit Instrumenten zu präsentieren. Sowohl der darstellerisch aus allen Nähten platzende Bariton MILJENKO TURK wie auch der seine Counterstimme mitunter extrem belastende KAI WESSEL machen das mit Vitalität und Verve.
Wessel hätte schon früher einmal auf Wunsch Kagels (mit dem er gut bekannt war) in „Mare nostrum“ auftreten sollen, aber seine Partie war für ihn um eine Quinte zu hoch notiert. Bei der jetzt benutzten Version (auch sie stammt vom Komponisten) ist dieses Extrem korrigiert. Der Sänger stand übrigens trotz einer Erkältung auf der Bühne. Vor der Vorstellung (die zweite nach der Premiere) erfolgte eine entsprechende Ansage. Sie atmete vermutlich unfreiwillig Kagelsche Ironie. Sollte man etwaige vokale Einschränkungen bemerken, möge man nachsichtig sein. Bitte um Nachsicht: wo und wie hätte man bei den Vokalparts von „Mare nostrum“ Einschränkungen überhaupt konstatieren können?
Christoph Zimmermann