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KÖLN / Staatenhaus: KÖLN: JEANNE D’ARC – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna. Premiere

15.02.2016 | Oper

KÖLN: JEANNE D’ARC – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna

(Walter Braunfels) Premiere am 14.Februar 2016


Walter Braunfels

Die Premiere von Walter Braunfels‘ „Jeanne d’Arc“ hing am seidenen Faden. Zunächst fiel die ursprünglich vorgesehene Titelrollensängerin Claudia Rohrbach krankheitsbedingt aus, die rechtzeitig als alternative Besetzung verpflichtete Natalie Karl hatte auf der Generalprobe einen Unfall und musste ins Krankenhaus gebracht werden. In wirklich letzter Minute wurde man der Sopranistin JULIANE BANSE habhaft, welche schon 2001 bei der konzertanten Uraufführung in Stockholm und bei den Salzburger Festspielen 2013 die Johanna verkörpert hatte. Nun sang sie die von kaum jemandem sonst beherrschte Partie im derzeitigen Provisorium der Kölner Oper (Staatenhaus auf dem Messegelände) aus dem Klavierauszug, während Regisseurin TATJANA GÜRBACA das Bühnenspiel übernahm. Für die weiteren sieben En-Suite-Vorstellungen bis incl. 6. März werden neue Lösungen gesucht. Ein neues Abenteuer: immerhin handelt es sich nicht um irgendeine etablierte Repertoire-Oper. Da die Premiere den Umständen entsprechend problemlos (und erfolgreich) verlief, ist für die kommenden Aufführungen allerdings Günstiges zu erhoffen.

Ähnlich wie Franz Schreker oder auch Alexander Zemlinsky gehörte der 1882 in Frankfurt geborene, zuletzt aber stark mit Köln verbundene Walter Braunfels zu den erfolgreichsten Komponisten der Jahre vor 1933, war sogar für Richard Strauss ein echter Konkurrent. Doch wie die genannte Jahreszahl andeutet: als Jude wurde Braunfels die Berufsausübung von heute auf morgen verboten, aus dem Amt des Rektors der Kölner Musikhochschule wurde er entlassen. Eine Emigration fasste der Komponist niemals ins Auge, weil er seine Heimat Deutschland als „wichtigste Wurzel meines Schaffens“ betrachtete. Er fand ein Unterkommen in Überlingen am Bodensee, komponierte weiter, allerdings nur für die Schublade. Wie quälend es für ihn war, seine Werke nicht hören zu können, bezeugen Tagebuchaufzeichnungen jener Jahre.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Braunfels rehabilitiert und übernahm neuerlich sein einstiges Kölner Hochschulamt. Das im Gürzenich-Gebäude beheimatete städtische Orchester spielte wieder (meist unter Günter Wand) seine Werke. Zum 70. Geburtstag von Braunfels (1952) leitete Wand, diesmal mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, Aufführungen der „Berlioz-Variationen“ und des „Te Deums“ mit den Vokalsolisten Leonie Rysanek und Helmut Melchert (diese Aufnahme wurde auf CD veröffentlicht). 1948 erfolgte in der Universitätsaula (damaliges Provisorium der Oper) die Uraufführung der „Verkündigung“ (von der Premiere gibt es einen Mitschnitt). An seine frühen Erfolge als Pianist (seit 1904) knüpfte Walter Braunfels mit einer Tournee an, bei welcher er sämtliche Beethoven-Sonaten spielte. 1954 starb der Komponist.

Aus diesem Jahr stammt sein letztes vollendetes Werk, „Das Spiel von der Auferstehung des Herrn“. Von ihm gibt es eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks, der sich überhaupt für das Schaffen von Braunfels stets sehr bemühte. So hat der Pianist Michael Braunfels viele Klavierstücke seines Vaters im WDR-Studio eingespielt. Es existiert auch noch eine vom Komponisten selber dirigierte Einspielung des Liederkreises „Die Gott minnende Seele“ von 1952, bei welcher die vorzügliche Sopranistin Ellen Bosenius den Vokalpart inne hat.

Trotz künstlerischer Ermutigungen blieb der von den Nazis bewirkte Einschnitt in der Karriere von Braunfels zunächst unüberbrückbar. Dies hatte auch damit zu tun, dass sich eine neue Komponistengeneration zu Wort meldete, welche eine prinzipiell tonal gebliebene Tonsprache wie die seine (und anderer) ablehnte, sogar regelrecht anfeindete. Ob das Oeuvre von Braunfels trotz günstiger Anzeichen in jüngerer Zeit wieder zu dauerhafter Berücksichtigung im öffentlichen Konzertleben findet, muss abgewartet werden.

Die Kölner Oper wählte jetzt (nach einer Inszenierung des einstigen Hits „Die Vögel“ 1998) „Jeanne d’Arc“ zur Aufführung. Das Werk ist mit „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ untertitelt, legt es also nicht – wie ansatzweise die stoffgleichen Bühnenwerke Verdis oder Tschaikowskys – auf ein psychologisch stimmiges Referat historischer Ereignisse an. Die Episoden werden eher blockhaft aneinander gereiht, was einem interpretatorischen Nachfantasieren viele Chancen bietet. Diese Möglichkeit nutzte der bereits todkranke Christoph Schlingensief in Berlin ausgiebig, indem er in seine Inszenierung Videosequenzen von Todesritualen in Nepal einbaute, die er bei einer eigens unternommenen Reise festgehalten hatte.

Tatjana Gürbaca belässt es bei ihrer Kölner Arbeit eher beim Oratorischen, der groß besetzte Chor schwingt mitunter nur seine Körper langsam hin und her. Den Solisten erlaubt die Regisseurin freilich ein expansives und expressives Spiel, wobei ihr die erweiterten Raummöglichkeiten im Staatenhaus (statt der „normalen“ Bühne im zunächst vorgesehenen und als saniert erhofften Opernhaus am Offenbach-Platz) fraglos zugute kommen. Dass das von einem Bühnensteg geteilte, von LOTHAR ZAGROSEK aber souverän zusammengehaltene GÜRZENICH-ORCHESTER nicht in einem Graben sitzt, sondern sichtbar bleibt, möchte man bei dieser großtheatralischen Produktion gleichfalls nicht als Nachteil werten. Es entsteht auf diese Weise sogar der besondere Eindruck eines „teatrum mundi“. Die Kostüme von SILKE WILLRETT halten eine attraktive Balance zwischen historisch und modern, STEFAN HEYNEs Bühne zeigt eine zerstörte, von allerlei Gerümpel übersäte Zivilisationslandschaft, welche Erinnerungen an Kriegszeiten beschwört. Für die Gegenwart kommen einem Bilder von Aleppo in den Sinn.

Die Musik von Walter Braunfels, welche vom Gürzenich-Orchester übrigens aus einem nur bedingt augenfreundlichen Notenmaterial gespielt wird, besitzt – zumal in den Chorszenen (THEATER– sowie DOMCHOR mit seinen Mädchen und Jungen) eine oftmals plakative Wucht. Sie wirkt trotz harmonischer Orientierung in keiner Weise „gestrig“, bietet über weite Strecken ja auch dissonante Querständigkeiten, stets mit dem Ziel eines enorm expressiven Ausdrucks, welcher das Ohr des Hörers auch unmittelbar erreicht. Lothar Zagrosek, welcher 1994 mit den „Vögeln“ für die Decca-Reihe „Entartete Kunst“ bereits Braunfels-Erfahrungen sammelte, steuert das großdimensionierte Klanggeschehen mit Feuer, verhilft aber auch lyrisch filigranen Passagen zu starker Wirkung. Wenn man den Beifall des Publikums richtig deutet, stehen für dieses Werk (und andere von Braunfels) die Chancen im Moment gut; vielleicht vermag sich Braunfels neben Schreker. Zemlinsky und anderen wirklich neu zu etablieren. Bei Bertold Goldschmidt gab es freilich nur ein Strohfeuer, leider.

Der immer noch mädchenhaft gefärbte Sopran von Juliane Banse (in Bälde gestaltet sie in der Kölner Philharmonie Paul Hindemiths „Marienleben“) erfasste die Figur der Johanna mit exemplarischer Sensibilität, wie sie auch im Spiel der Regisseurin Ausdruck fand. Sieht man vom Sänger des Schäfers Collin ab, sind bei den mittleren und kleineren Partien nur überzeugende Leistungen zu bilanzieren. Die große Anzahl der Mitwirkenden (teils aus dem Opernstudio) lässt nur eine pauschalisierende Namensaufzählung zu: FERDINAND VON BOTHMER (Hl. Michael), JUSTYNA SAMBORSKY (Hl. Katharina), JUDITH THIELSEN (Hl. Margarete), LUKE STOKER (Erzbischof, Florent d’Illiers), MARTIN KOCH (Bischof Cauchon), DENNIS WILGENHOF (Johannas Vater), JOHN HEUZENROEDER (Herzog von Alencon), CHRISTIAN MIEDL (besonders intensiv als Baudricourt), ADRIANA BASTIDAS GAMBOA (seine Frau), ALEXANDER FEDIN (Poulengy – und 1998 der Hoffegut in den „Vögeln“) sowie DOGMIN LEE (Page). Besonders hervorzuheben sind der Sängerdarsteller par excellence MATTHIAS KLINK als Franzosenkönig Karl von Valois, BJARNI THOR KRISTINSSON als undergroundiger Trémouille und OLIVER ZWARG mit seinem dramatisch auftrumpfenden Bariton. Der von ihm verkörperte Gilles de Rais steht Johanna zur Seite. Ihren Tod vermag er nicht zu verarbeiten und wirft der Macht Gottes die von Satanas mit verzweifelten Worten entgegen. Ein bitterer Unterton im verklärenden Schluss-Dur.

Ein Sonderlob hat für das exzellente Programmheft (samt Librettoabdruck) zu gelten

Christoph Zimmermann

 

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