Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KÖLN/ Staatenhaus: DIE TOTE STADT als Live-Stream-Premiere der Oper Köln

05.12.2020 | Oper international

Die tote Stadt« von Erich Wolfgang Korngold | Theater in Köln
Copyright: Theater Köln

Erich Wolfgang Korngold: „Die tote Stadt“ als Live-Stream-Premiere der Oper Köln (4.12.2020)

AUFWÜHLEND UND ELEKTRISIEREND

„Ich finde an Marietta das Spannendste, dass sie keine wahre Person ist“, sagt die Sopranistin Ausrine Stundyte, die die Tänzerin Marietta in Korngolds Oper „Die tote Stadt“ eindrucksvoll verkörpert. 100 Jahre nach der Uraufführung ist dieses unglaubliche Werk eines 23jährigen „Wunderkindes“ wieder am selben Ort zu erleben. Unter der Leitung von Otto Klemperer wurde es am 4. Dezember 1920 im Stadttheater Köln aus der Taufe gehoben. Die Texte stammen übrigens von einem gewissen Paul Schott, einem Pseudonym, unter dem der bekannte Wiener Musikkritiker Julius Korngold, Erich Wolfgang Korngolds Vater, und der Komponist selbst zusammenarbeiteten.

In der suggestiven Inszenierung von Tatjana Gürbaca (Bühne: Stefan Heyne: Kostüme: Silke Willrett) werden bei dieser denkwürdigen Premiere im Staatenhaus Saal die Elemente des Unterbewusstseins sehr stark beschworen. Im ersten Akt mutiert Pauls Zimmer in Brügge als „die Kirche des Gewesenen“ zu einer riesigen Bar mit seltsamer Club-Atmosphäre. Alles erinnert ihn an seine verstorbene Frau Marie, die im Hintergrund in einer überdimensionalen Video-Projektion (Video: Sandra van Slooten, Volker Maria Engel) immer wieder erscheint. Eine halbnackte Frau ist als amerikanische Freiheitsstatue zu sehen. Die Bühne dreht sich geheimnisvoll, die Erscheinung von Marie als Vision scheint Wirklichkeit zu werden. Als Pauls Haushälterin Brigitta ihm die Tänzerin Marietta ankündigt, vollzieht sich bei Paul eine mysteriöse seelische Verwandlung. Diese Metamorphose arbeitetet Tatjana Gürbaca sehr überzeugend heraus. Da gewinnen auch unbewusste Vorgänge auf der Bühne plötzlich starke Präsenz. Er gibt ihr die Laute und den Schal seiner verstorbenen Frau, damit Marietta ihr noch ähnlicher sieht. Versehentlich enthüllt Marietta aber ein Bild von Marie – Paul erschrickt und vertreibt gleichzeitig Marietta. Der in Marietta inzwischen verliebte Paul sucht diese fast schon verzweifelt. Er findet sie bei einer Theatergruppe, die die „Totenerweckung von Helene“ aus der Oper „Robert der Teufel“ von Giacomo Meyerbeer probt. Auch diese Szene gelingt der durchaus einfühlsamen Regisseurin Tatjana Gürbaca plastisch und geradezu elektrisierend. Schneeflocken scheinen das Geschehen zu „beflügeln“. Paul erklärt Marietta, dass er sie nur liebe, weil sie seiner verstorbenen Frau gleiche. Ausrine Stundyte gelingt es, bei ihrer psychologisch glaubwürdigen Darstellung der Tänzerin Marietta auch deren Verführungskünste packend zu verkörpern, denen der leidende Paul schließlich rettungslos ausgeliefert ist. Flammen der Leidenschaft scheinen in einer Säule zu lodern, Paul wird in einen viereckigen Kasten gesteckt und als „Mörder“ beschimpft. Er droht indirekt mit Selbstmord. Im dritten Akt kommt es dann zu einem dramatischen Höhepunkt, wobei es Tatjana Gürbaca in ihrer aufwühlenden Inszenierung gut gelingt, die scheinbare Katastrophe drastisch zu beschwören.

Auch darstellerisch ist ihr der exzellente Tenor Burkhard Fritz als verzweifelter Paul ebenbürtig. Er stellt Paul als Mischung von lyrischem Tenor und Heldentenor dar. Gesanglich gehört diese Partie zu den schwersten des Opernrepertoires. Als Marietta vor Paul orgiastisch tanzt, erwürgt er sie. Doch Paul kommt wieder zu sich und erkennt erschrocken, dass das Geschehen nur ein Traum war.  Sein Freund Frank rät ihm eindringlich, die „Kirche des Gewesenen“ zu verlassen. Und Paul will Brügge („die tote Stadt“) tatsächlich für immer verlassen. Das Geschehen löst sich auch in der Inszenierung praktisch im Nichts auf. Doch es gelingt der Regisseurin, die starken Assoziationen zwischen Musik und Handlung herauszuarbeiten und an bestimmten Passagen auch zu verfeinern. Den Reliquienkult drängt sie dagegen zurück. Dasselbe gilt für die Erscheinung der Prozession, den Tanzpantomimen Gaston sowie Tänzer und Tänzerinnen. Neben dem Rondell ist das Gürzenich-Orchester Köln platziert, das unter der vor Energie vibrierenden Leitung von Gabriel Feltz meisterhaft musiziert. Da wird dann an vielen Stellen deutlich, dass Erich Wolfgang Korngold eben nicht nur ein Eklektiker war, sondern ein Genie der Klangfantasie und unglaublicher theatralischer Effekte. Ausrine Stundyte verleiht Mariettas Arie „Glück, das mir verblieb“ einen betörenden gesanglichen Glanz. Im Duett mit dem von Burkhard Fritz mit voluminösen Spitzentönen interpretierten Paul kann sie sich gegen die gefährlichen Klangfluten des mit vier Pauken, Orgel, sieben tiefen Glocken und einem gewaltigen Schlagzeugarsenal aufwartenden Riesenorchesters ausgezeichnet behaupten. Anklänge an Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky, Richard Wagner und Richard Strauss sind nicht zu überhören. Selbst der Verismo eines Giacomo Puccini kommt bei den Chorpassagen eindringlich zur Geltung, die Gabriel Feltz mit fast überirdisch-sphärenhafter klanglicher Schönheit akzentuiert. Doch Korngold war melodisch ein noch originellerer Erfinder als der ihm ähnliche Franz Schreker. Die grandiose Virtuosität der Blechblasinstrumente ist wirklich erstaunlich. 29 Mädchen und Knaben der Dommusik gehören hier neben dem Chor der Oper Köln (Chorleitung: Rustam Samedov) zu den Mitwirkenden. Wolfgang Stefan Schwaiger gestaltet die schwärmerische Bariton-Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ (die sogar schon Hermann Prey gesungen hat) mit nie nachlassender Emphase und einem prägnanten Timbre. Reizvolle chromatische Entwicklungen und eine ausgefeilte Leitmotiv-Technik beherrschen dabei das zentrale harmonische Geschehen, das sich bei dieser höchst konzentrierten Wiedergabe aber auch immer weiter auffächert. Die Musik ist tatsächlich in der Lage, psychologisch in die Handlung einzugreifen. Das gelingt auch bei der Premiere mit wenigen Abstrichen. Dem magischen Zauber dieser filmisch gedachten Musik kann sich niemand entziehen. In weiteren Rollen fesseln bei dieser Premiere Dalia Schaechter (Alt) als Pauls Haushälterin Brigitta, Anna Malesza-Kutny (Sopran) als Tänzerin Juliette, Regina Richter (Mezzosopran) als Tänzerin Lucienne, John Heuzenroeder (Tenor) als Regisseur Victorin sowie Martin Koch (Tenor) als Graf Albert. Wolfgang Stefan Schwaiger (Bariton) stellt ebenfalls ausdrucksstark Pauls Freund Frank dar. So ist die Premiere zu einer Hommage an den berühmten Hollywood-Filmkomponisten Erich Wolfgang Korngold geraten, der zwei Oscars erhielt und als Opernkomponist zeitweilig zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Bleibt zu hoffen, dass man das Werk bald wieder im richtigen Opernhaus erleben kann. 

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken